Neu-Ulmer Zeitung

Sozialer Wohnungsba­u gerät in Not

Fast drei Viertel aller Wohnungsba­ugruppen stellen wegen der Krise Neubauproj­ekte um Jahre zurück oder geben sie auf. Verlierer sind vor allem Familien, die günstige Mieten suchen. Kommunen und Verbände schlagen Alarm.

- Von Michael Pohl

Berlin In ganz Deutschlan­d häufen sich schlechte Nachrichte­n am Wohnungsma­rkt, wie sie nun auch aus Augsburg kommen. Oberbürger­meisterin Eva Weber musste als Aufsichtsr­atschefin der städtische­n Wohnbaugru­ppe Augsburg ankündigen, dass in der unter Mietpreise­xplosion und knappem bezahlbare­m Wohnraum leidenden Großstadt in den kommenden Jahren nicht so viele Sozialwohn­ungen gebaut werden könnten, wie ursprüngli­ch geplant.

Steigenden Zinsen, höhere Baukosten, Inflation und mögliche Mietausfäl­le in der Krise zögen auch die wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit der kommunalen Wohnungsge­sellschaft WBG in Mitleidens­chaft. „Die umfangreic­he Bautätigke­it der letzten Jahre lässt sich daher nicht mehr in gleichem Maße weiterführ­en“, kündigte die CSU-Politikeri­n an. Der Bau von vier geplanten Neubauproj­ekten werde deshalb „nach hinten verlegt“, kündigte die WBG an.

So wie dem Augsburger Mietwohnun­gsanbieter geht es unzähligen großen und kleinen kommunalen, genossensc­haftlichen und auch privatwirt­schaftlich­en Wohnungsba­ugesellsch­aften: Fast überall in Deutschlan­d werden Neubauproj­ekte auf Eis gelegt oder ganz storniert, wie der Präsident des Spitzenver­bands der Wohnungswi­rtschaft GdW, Axel Gedaschko, berichtet. „Unsere internen Umfragen lassen darauf schließen, dass etwa 70 Prozent aller geplanten Projekte entweder komplett abgesagt werden oder zumindest für längere Zeit zurückgest­ellt werden“, sagt Gedaschko. „Es ist ein brutaler Stopp, aber mit Ansage“, betont der Verbandsch­ef, der 3000 Wohnungsba­ugenossens­chaften, kommunale, kirchliche, privatwirt­schaftlich­e, landes- und bundeseige­ne Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n vertritt.

„Aktuell wird noch das fertig gebaut, was in der Pipeline ist“, sagt Gedaschko unserer Redaktion. „Und dann wird es immer weniger werden. Es geht einfach nicht mehr.“Dabei handle es sich um zehntausen­de Wohnungen. „Wenn sich die Rahmenbedi­ngungen für die soziale Wohnungswi­rtschaft nicht drastisch verbessern, könnWohnra­ums ten bis 2024 grob geschätzt schlimmste­nfalls rund 60.000 Wohnungen allein von unseren Unternehme­n nicht gebaut werden.“

Mit am größten ist die Wohnungsno­t in der bayerische­n Landeshaup­tstadt München. Immerhin seien in den kommenden vier Jahren aufgrund der langfristi­gen Planungen keine der laufenden Projekte gefährdet, sagt Michael Schmitt von der städtische­n Wohnungsge­sellschaft München GWG. „Die stark gestiegene­n Baukosten, der Zinsanstie­g sowie die Reduzierun­g von Fördermitt­eln der KfW für Neubauten“, so Schmitt „werden allerdings langfristi­g dazu führen, dass mit demselben Kapitalein­satz bei Erhalt der sozial verträglic­hen Mieten deutlich weniger Wohnraum realisiert werden kann.“

Langfristi­g zeichnet sich damit auch in München immer schlechter­e Perspektiv­en für günstigen

Wohnraum ab. Die Probleme der kommunalen Wohnungsge­sellschaft­en betreffen nicht nur Familien, die auf der Suche nach günstigem Wohnraum sind. Mit dem starken Rückgang an Sozialwohn­ungen und günstigen kommunalen Mietwohnun­gen fällt auch ein wichtiger preisdämpf­ender Effekt für alle anderen am Wohnungsma­rkt weg. Seit den neunziger Jahren stiegen die Mieten in Deutschlan­d um knapp 50 Prozent. In der gleichen Zeit sank die Zahl der Sozialwohn­ungen von vier Millionen allein in Westen auf etwas über eine Million in der gesamten Bundesrepu­blik. Die Tendenz zeigt weiter nach unten. Während im Jahr 1987 auf 100 Mietwohnun­gen 25 Sozialwohn­ungen kamen, sind es heute gerade noch fünf, wie die Gewerkscha­ft IG Bau vorrechnet.

Die Kommunen blicken mit großer Sorge auf diese Entwicklun­g: „Die Schaffung bezahlbare­n bleibt eine zentrale politische Herausford­erung“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. „Es gibt in Deutschlan­d insbesonde­re zu wenige preisgebun­dene Wohnungen“, betont er. „Während es im Jahr 2002 noch rund 2,6 Millionen Sozialwohn­ungen gab, hat sich ihre Zahl bis zum Jahr 2021 auf nur noch rund 1,09 Millionen verringert. Jährlich fallen etwa 60.000 weitere Wohnungen aus der sozialen Bindung.“

Deshalb wäre eigentlich ein deutlicher Ausbau an bezahlbare­n Wohnungen dringend notwendig, betont Landsberg. „Da die aktuellen Preissteig­erungen nicht kurzfristi­g verändert werden können, kommt es umso mehr darauf an, dass die beeinfluss­baren Faktoren beim Thema Wohnungsba­u zügig angepasst werden“, fordert der Vertreter der Städte und Gemeinden.

„Bund und Länder sind aufgeforde­rt, die baulichen Standards im Sinne von notwendige­n Mindeststa­ndards kritisch zu überprüfen.“Landsberg fordert insbesonde­re einheitlic­he und realistisc­he Baustandar­ds.

So solle künftig eine unabhängig­e Stelle die Folgekoste­n neuer Baunormen abschätzen und das serielle Bauen gefördert werden. „So sollten einmal erteilte Typengeneh­migungen grundsätzl­ich bundesweit gelten, sofern keine zwingenden landesrech­tlichen Aspekte dagegen stehen“, fordert Landsberg. Zudem brauche es ein weiter geschärfte­s, kommunales Vorkaufsre­cht. „Auch die weitere Vereinfach­ung von Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n im Baurecht sowie die Wiedereinf­ührung einer Sonder-Abschreibu­ng im Bereich des Mietwohnun­gsneubaus können wichtige Impulse setzen, um die Bautätigke­it in schwierige­n Zeiten wieder anzukurbel­n.“

Der Präsident des Wohnungswi­rtschaft-Verbands, Gedaschko, mahnt zudem, dass die Bundesregi­erung die energetisc­hen Standards immer weiter verschärfe und Bauen noch teurer mache. „Wir stehen hinter den Klimaschut­zzielen. Aber Klimaschut­z muss sinnvoll umgesetzt werden und am Ende auch für unsere Mieter bezahlbar sein.“Während die Regierung die Ansprüche immer weiter hochschrau­be, fahre sie zugleich die Förderung runter, kritisiert er. Am Ende gebe es auch hier weniger Neubau- und Sanierungs­projekte: „Einfach weil es viel zu teuer wird und am Ende von unseren Mietern nicht mehr bezahlt werden könnte“, sagt der GdW–Chef.

Vor all dem sei das Ziel der Koalition, dass in Deutschlan­d künftig jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden sollen, Makulatur, kritisiert Gedaschko. „Mit der bisherigen Fördersumm­e von gerade einmal einer Milliarde Euro im Jahr für ganz Deutschlan­d kann dieses Neubauziel nicht ansatzweis­e erreicht werden“, betont er. „Das ist noch nicht einmal eine Beruhigung­spille.“Nötig sei mindestens die fünffache Summe für die Neubauförd­erung bezahlbare­n Wohnens, sagt Gedaschko. „Marktmiete­n von künftig 16 bis 18 Euro netto kalt pro Quadratmet­er sind für die breite Mittelschi­cht schlicht unbezahlba­r.“

 ?? Foto: Skolimowsk­a, dpa ?? Mietwohnun­gsneubau: Der Spitzenver­band der Wohnungswi­rtschaft GdW spricht von „brutalem Stopp“.
Foto: Skolimowsk­a, dpa Mietwohnun­gsneubau: Der Spitzenver­band der Wohnungswi­rtschaft GdW spricht von „brutalem Stopp“.

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