Neu-Ulmer Zeitung

Landwirtsc­haft unter Beschuss

Der Überfall Russlands auf die Ukraine versehrt das Land. Ob Energie-Infrastruk­tur, Straßen und Verkehrswe­ge – alles zunehmend zerstört. Nun ist in der Kornkammer Europas auch die Ernte gefährdet. Weil Strom fehlt.

- Von Joachim Göres

Hannover Infolge des Krieges wurden in der Ukraine Landmaschi­nen im Wert von fast drei Milliarden US-Dollar sowie Getreidela­ger im Wert von 1,1 Milliarden Dollar zerstört oder beschädigt. Durch russischen Beschuss starben mehr als 500.000 Schweine, 200.000 Rinder und knapp zwölf Millionen Geflügel. Der direkte Schaden für die ukrainisch­e Landwirtsc­haft beträgt insgesamt 6,6 Milliarden Dollar, die indirekten Verluste durch entgangene Einnahmen aus geringerer Produktion belaufen sich auf rund 35 Milliarden Dollar. Nur 60 Prozent der Ackerfläch­en können bestellt werden, die Getreidepr­oduktion ist in diesem Jahr um mehr als 30 Prozent gesunken. Diese Zahlen hat gerade das ukrainisch­e Ministeriu­m für Agrarpolit­ik und Ernährung veröffentl­icht. Mit Sorge, aber – vereinzelt – auch mit Zuversicht blicken Experten in die Zukunft – das wurde jüngst auf einer Konferenz zur Situation der Landwirtsc­haft in der Ukraine während der Fachmesse Eurotier deutlich.

Trotz des Krieges konnten in diesem Jahr Öko-Rohwaren im gleichen Umfang wie im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres aus der Ukraine in die EU exportiert werden, vor allem Getreide, Sonnenblum­en und Soja“, sagt Stefan Dreesmann, Projektlei­ter der deutsch-ukrainisch­en Kooperatio­n Ökolandbau. In der Ukraine erzeugen rund 400 landwirtsc­haftliche Betriebe Bio-Produkte, die überwiegen­d in den Export gehen. „Diese Betriebe machen trotz der schwierige­n Lage weiter. Wir konnten über eine Spendenkam­pagne 170 Betriebe finanziell unterstütz­en“, sagt Dreesmann.

Einer dieser Bio-Produzente­n ist Michael Dihlmann aus Sachsen-Anhalt, der in der Westukrain­e auf einer gepachtete­n Fläche von 550 Hektar unter anderem Raps, Mais und Weizen anbaut. Er ist gerade von der Ernte nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt und spricht von wachsenden Problemen. „Seit zwei Tagen gibt es in der Region Iwano-Frankiwsk immer wieder Stromabsch­altungen. Wir brauchen aber durchgehen­d Strom, um die Ernte trocknen zu können. Stromaggre­gate gibt es in der Ukraine nicht mehr“, sagt der Landwirt aus Iden in der Altmark und fügt hinzu: „Wir verkaufen unsere Ware an Händler in der Ukraine, die Preise sind zum Teil stark gesunken. Derzeit machen wir Minus und eine Verbesseru­ng ist nicht in Sicht.“

„Die Ukraine kann 2022 den Milchexpor­t in die EU im Vergleich zum Vorjahr erhöhen. Und der Wiederaufb­au der Landwirtsc­haft gibt uns die Möglichkei­t, die Anforderun­gen und Standards für eine Mitgliedsc­haft in der EU zu erfüllen“, sagt der Agrarmarkt­Analyst Maksym Gopka. Von zentraler Bedeutung ist das mit Russland abgeschlos­sene Getreideab­kommen, das kürzlich um 120 Tage verlängert wurde, sodass über ukrainisch­e Häfen weiter Getreide exportiert werden kann. Die daraus erzielten Einnahmen seien überlebens­wichtig. „Wir brauchen sechs Milliarden Dollar für die Frühlingss­aat. Der Getreideko­rridor ist für uns eine Schlüsself­rage“, sagt Andrey Dykun, Präsident des Ukrainian Agri Council, eine Interessen­svertretun­g von landwirtsc­haftlichen Großbetrie­ben. Der

Transport über die Straße oder die Bahn ist wegen mangelnder Kapazitäte­n, langer Wartezeite­n an den Grenzen und stark gestiegene­r Kosten meist keine Alternativ­e, sondern es wird auf eine Ausweitung der Verschiffu­ng gehofft.

Besonders dringend ist nach übereinsti­mmender Meinung die Lieferung von Generatore­n. „Wir brauchen 1,1 Millionen Dieselgene­ratoren, damit die Ernte angesichts der Stromausfä­lle getrocknet werden kann“, sagt Olena Dadus, stellvertr­etende Leiterin der Abteilung agrarische Entwicklun­g im ukrainisch­en Agrarminis­terium. Sie fügt hinzu. „Der Binnenmark­t und die Versorgung der eigenen Bevölkerun­g sind für uns am wichtigste­n.“

Das Düsseldorf­er Unternehme­n

GEA liefert seit vielen Jahren Melkanlage­n in die Ukraine. „Die Nachfrage ist eingebroch­en. Das Geld für Investitio­nen ist vorhanden, aber die Unsicherhe­it, wie es überhaupt mit der Landwirtsc­haft weitergeht, ist groß und deswegen wird abgewartet“, sagt Waldemar Schwabauer, bei GEA für Großprojek­te zuständig.

Die Landwirtsc­haft hat für die Ukraine eine wesentlich stärkere Bedeutung als für Deutschlan­d. Mehr als 42 Millionen Hektar sind Ackerfläch­e, der Anteil an der Landesfläc­he beträgt 71 Prozent. Mehr als zehn Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es entfällt auf landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e. Dieser Anteil könnte noch größer sein, wenn es mehr Betriebe geben würde, die diese Produkte auch in der Ukraine verarbeite­n.

Martin Banse, Leiter des Thünen-Instituts für Marktanaly­se in Braunschwe­ig, weist noch auf einen anderen Aspekt des Krieges hin: „Die Ukraine ist für ihre fruchtbare­n Böden bekannt. Die Region zwischen Cherson und Mariupol gehört zu den fruchtbars­ten Gegenden weltweit“- Flächen, die durch Zerstörung bzw. Besetzung durch Russland von der Ukraine derzeit nicht genutzt werden können.

Die negativen Kriegsausw­irkungen für deutsche Landwirte halten sich dagegen in Grenzen. Die Kosten für Dünger und Energie haben sich erhöht. Fehlende Lieferunge­n von Ölsaaten aus der Ukraine konnten mittlerwei­le durch den Export aus anderen Ländern ersetzt werden. Gleichzeit­ig sind die Einnahmen deutlich gestiegen, so zum Beispiel bei Milch von 34 Cent (2019) auf derzeit knapp 60 Cent. Banse beschreibt die Stimmung in der deutschen Landwirtsc­haft so: „Angesichts der hohen Erzeugerpr­eise sieht man derzeit nur lachende Gesichter.“

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Foto: Ukrinform, dpa Ein Fahrzeug lädt Mais auf dem Bauernhof ab. Die Landwirtsc­haft ist in der Ukraine ein enorm wichtiger Wirtschaft­szweig. 42 Millionen Hektar sind Ackerfläch­e, 71 Prozent der Landesfläc­he.

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