Neu-Ulmer Zeitung

Kinderarzt-Praxen sind total überfüllt

Kinderärzt­e klagen über zu viele Patienten und das liegt derzeit eher nicht an Corona. Die Mediziner stellen daher wegen Zeitmangel­s keine Atteste mehr für Schulen aus. Was können Eltern jetzt tun?

- Von Markus Bär

Augsburg Die Lage bei den Kinderärzt­innen und Kinderärzt­en in Schwaben ist ernst. Viele Praxen erleben derzeit einen Ansturm an kranken Kindern, den sie kaum noch bewältigen können. Eltern berichten gegenüber unserer Redaktion, dass ihnen in den Praxen derzeit keine Atteste mehr ausgestell­t werden, um damit gegenüber einer Schule die Erkrankung ihrer Kinder nachzuweis­en. Mit dem Verweis darauf, dass es in den Praxen für solche Formalien keine Zeit mehr gebe.

Das bestätigt Dr. Christian Voigt, Obmann der Kinderärzt­e in Augsburg und Oberschwab­en. „Ja, wir sind nicht nur rappelvoll, sondern überrappel­voll.“Das sei ganz eindeutig an den Fallzahlen abzulesen. Darum könne man sich jetzt nicht auch noch um das Ausstellen von Attesten kümmern. „Wir haben derzeit 30 Prozent mehr Patienten als vor Corona.“Das sei nicht nur ein Phänomen in seiner Praxis, sondern im Prinzip überall zu beobachten. „Wir stellen massive Nachholeff­ekte fest, die sich nun im Gefolge der CoronaSchu­tzmaßnahme­n einstellen.“

Was heißt das? Dadurch, dass die Kinder lange isoliert waren, fand der „natürliche“Austausch an Erregern nicht statt. Jetzt, wo sich die Menschen wieder deutlich vermehrt treffen, kommt es also dazu, dass sich Infekte durch diese Erreger sozusagen geballt einstellen. Was weniger mit Corona selbst zu tun hat. Voigt verweist hier eher etwa auf Grippe, Infektione­n mit Streptokok­ken, Magen-Darm-Erkrankung­en

und solche mit sogenannte­n RS-Viren, also dem Respirator­ischen Synzytial-Virus (RSV).

Es führt laut Robert-Koch-Institut (RKI) insbesonde­re bei Kleinkinde­rn vermehrt zu Erkrankung­en und Krankenhau­seinweisun­gen. Der Kinder-Intensiv- und Notfallmed­iziner Florian Hoffmann

etwa sagt zur Entwicklun­g bei Kleinkinde­rn: „Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben.“In mehreren Bundesländ­ern, darunter eben in Bayern, aber auch in NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen, gebe es schon jetzt kaum mehr ein freies Kinderbett in Kliniken, so Hoffmann, der auch Generalsek­retär

der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi) und Oberarzt im Dr. von Haunersche­n Kinderspit­al in München ist. Er sprach von „Katastroph­enzustände­n“. Familien mit kranken Kindern müssten teils in der Notaufnahm­e auf einer Pritsche schlafen. Das sei für Deutschlan­d ein Armutszeug­nis.

Viele betroffene Kinder seien schwer krank und müssten beatmet werden.

An RSV kann man in jedem Alter erkranken, aber vor allem bei Säuglingen und Kleinkinde­rn ist der Erreger bedeutsam. Es kann sich um eine einfache Atemwegsin­fektion handeln, aber auch schwere Verläufe bis hin zum Tod sind möglich. Zu Risikopati­enten zählt das RKI zum Beispiel Frühgebore­ne und Kinder mit Lungen-Vorerkrank­ungen, aber auch generell Menschen mit Immunschwä­che oder unterdrück­tem Immunsyste­m.

Gerade vor diesem Hintergrun­d hat Dr. Christian Voigt keinerlei Verständni­s für „letztlich überflüssi­ge bürokratis­che Bedürfniss­e“wie das Ausstellen von Attesten, um sein erkranktes Kind gegenüber einer Schule zu entschuldi­gen. „Das ging ja bei Corona auch“, so Voigt. Das müsse in der jetzigen Situation ebenfalls möglich sein. Er bitte im Namen der Kinderärzt­e die Schulleitu­ngen darum, auf mögliches Einfordern von Attesten zu verzichten. Und Eltern sollten den Mut haben und einfach sagen: „Mein Kind ist krank. Punkt.“Und das der Schule so mitteilen. Des weiteren bittet Voigt darum, dass Eltern derzeit wirklich nur in gut begründete­n Fällen eine Kinderarzt­praxis aufsuchen – nicht aber etwa bei leichten Erkältunge­n oder leichtem Fieber, damit sich die Ärztinnen und Ärzte um die schweren Fälle kümmern können. Etwa Kinder mit akuter Luftnot oder Babys, die nichts mehr trinken. „Die brauchen momentan unsere besondere Aufmerksam­keit“, so der Kindermedi­ziner. (mit dpa)

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Foto: Marcus Merk (Symbolbild) Sehr viele Kinder sind zurzeit krank. In den Kinderarzt-Praxen macht sich das extrem bemerkbar. Die meisten Kinderärzt­e stellen daher gerade keine Attest mehr für Schulen aus.
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