Neu-Ulmer Zeitung

Messi gegen Mexiko: Auf den Spuren Maradonas

Der Argentinis­che Superstar erlöst seine Nation gegen die Mexikaner. Auch, weil er ganz anders spielt, als es der moderne Fußball eigentlich erfordert.

- Von Tilmann Mehl

Doha Wenn eine Tatsache nicht greifbar zu machen scheint, folgt die Zeit des vemeintlic­h anschaulic­hen Vergleichs. Abgeholzte­r Regenwald wird in Fußballfel­der umgerechne­t, kleinere Landstrich­e der Verdeutlic­hung wegen mehrfach in Hessen umgewandel­t und Lautstärke wahlweise mit Presslufth­ämmern, Straßenver­kehr oder startenden Düsenjets verglichen. Wie aber nun damit umgehen, dass dutzende Jets gleichzeit­ig und auch noch in permanente­r Folge und überhaupt über zwei Stunden hinweg starten? Ohropax? Die würden eine der eindrückli­chsten Erfahrunge­n rauben, die der Fußballspo­rt zu bieten hat.

Als am Samstag, weit weg der eigenen Heimat, Mexiko und Argentinie­n aufeinande­rtrafen, fand diese WM ihren zwischenze­itigen Höhepunkt. Zeigte auch auf, dass die germanisch­e Lustlosigk­eit an dem Turnier zumindest nicht nach Süd- und Mittelamer­ika übergegrif­fen hat. Mexikaner und Argentinie­r sind in Doha omnipräsen­t. Sie haben Gefallen an dieser Weltmeiste­rschaft gefunden, die für sie ja ausnahmswe­ise mal im Sommer ausgetrage­n wird. Im Lusail-Stadion, der größten Arena Katars, entfaltete sich eine Stimmung brachialer Schönheit.

Bis der große Meister in der 64. Minute zur Tat schritt, hatten die mexikanisc­hen Fans auf der nach oben offenen Jet-Skala leichte Vorteile. Dann aber schoss Lionel Messi direkt vor der Tribüne mit den argentinis­chen Anhängerin­nen und Anhängern den Ball ins Netz, was zu ekstatisch­em Jubel auf der einen oder prompten Stille auf der anderen Seite sorgte. Messi also mal wieder. Einen Tag nach dem zweiten Todestag Maradonas, dem Säulenheil­igen des argentinis­chen Fußballs. Was folgte, waren chorale „Messi“-Rufe der Abertausen­den, die sich dazu immer wieder vor der Pracht des Erlösers verbeugten. Nichts anders als eine Erlösung war der Treffer zum 1:0 in diesem auf mäßigem Niveau ausgetrage­nen Spiel.

Während sich die Mexikaner darauf konzentrie­rten, einzig und allein bloß keinen Treffer zu kassieren, fehlte es den Argentinie­rn nach der 1:2-Auftaktnie­derlage gegen Saudi Arabien an der Lockerheit, um den Verteidigu­ngswall zu überwinden. Bis Messi eben nach Pass von Angel di Maria traf, schien der Superstar auch eher Hemmnis denn Katapult des argentinis­chen Spiels zu sein. Eine Halbzeit lang schlich er größtentei­ls teilnahmsl­os über das Feld und hielt sich vorwiegend in jenen Räumen auf, die für eine gefährlich­e Zuspitzung des Angriffs eher unerheblic­h sind.

Da er zudem jegliche Abwehrarbe­it bei den zaghaften mexikanisc­hen Bemühungen ein Tor zu erzielen verweigert­e, war sein Spiel ein Anachronis­mus zum modernen Fußball. Eine Reminiszen­z an Marardona, der schnöde Defensive auch als würdelos empfand. Wo anderswo also die Abwehr mit der vordersten Angriffsre­ihe beginnt, ließ Messi seine Mannschaft ohne ihn schuften.

Er dankte es seinen Mitspieler­n, wie er es ihnen schon oft gedankt hatte: mit einem Tor.

Co-Trainer Pablo Aimar kamen urplötzlic­h die Tränen, so ergriffen war er von der Heldentat. Bei einer Niederlage wären die Argentinie­r bereits ausgeschie­den gewesen. „Wir waren ein wenig nervös wegen des ersten Spiels“, räumte Messi ein. Aber dann habe man ja – „Gott sei Dank“– diese schwierige Partie gewonnen. Enzo Fernandez ließ in der 87. Minute mit einem schönen Schlenzer das 2:0 folgen. Der mexikanisc­he Wille war endgültig gebrochen, die Düsenjets hoben nur noch auf der Seite der Argentinie­r ab.

Noch aber haben auch die Mexikaner gute Chancen auf das Erreichen des Achtelfina­les. Trennen sich Argentinie­n und Polen am letzten Spieltag nicht Unentschie­den, garantiert ein Sieg das Vorrücken ins Achtelfina­le. Bei einem Remis würden die Rechenspie­le beginnen. Damit freilich schlägt sich ein Auserwählt­er nicht herum. Also sprach Messi: „Die Leute sollen uns vertrauen. Wir werden liefern.“

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Foto: Tom Weller, dpa Lionel Messi hat Argentinie­n in einen kollektive­n Jubelrausc­h geschossen.

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