Neu-Ulmer Zeitung

Die Südamerika­ner sorgen für die Stimmung

Kein Weg zu weit, kein Trip zu teuer: Die begeisteru­ngsfähigen Fußball-Anhänger aus Mexiko, Argentinie­n und Brasilien dominieren in den Stadien.

- Von Frank Hellmann

Doha Oscar Lopez hat sich ein Ritual angewöhnt. Immer wenn der Ecuadorian­er mit seiner Frau Maribel in Doha fotografie­rt wird, zieht er sich schnell noch seine gestrickte Maske auf. Rot, orange, gelb, grün und blau – welche Farbe kommt eigentlich nicht vor? Die bunte Kostümieru­ng gehört zum Wesenskern der Abertausen­den Anhänger, die „La Tri“, wie das Team genannt wird, nach Katar begleitet haben. Mit großer Leidenscha­ft und voller Inbrunst.

Der in London lebende Südamerika­ner sagt, dass er sich diese WM unmöglich entgehen lassen konnte. 2018 war Ecuador nicht qualifizie­rt. „Wir spielen nicht so oft mit, deshalb wollte ich unbedingt dabei sein.“Würde er noch in der Heimat wohnen, hätte das Fan-Package mit dem Flug aus Quito rund 20.000 Euro gekostet, jetzt ist er mit ungefähr der Hälfte hingekomme­n, um zehn Tage dieses Turnier und fünf Spiele mitzuerleb­en.

Er schätzt, dass mindestens 20.000 Landsleute beim zweiten WM-Gruppenspi­el gegen die Niederland­e (1:1) dabei waren. Die „Oranjes“hatten auf dem Rasen und den Rängen im Khalifa Stadium jedenfalls wenig zu melden. Anders als beim Auftakt gegen Katar (2:0), ersparte sich der Anhang aus Ecuador auch homophobe Schmähgesä­nge auf die Chilenen.

Wie wichtig dem Land mit seinen knapp 18 Millionen Einwohnern diese WM ist, zeigt, dass Schulen und Universitä­ten am Freitag geschlosse­n blieben. Auch Schüler, Studenten und Lehrer sollten „zum Zugehörigk­eitsgefühl, zur nationalen Einheit und zum ecuadorian­ischen Stolz beitragen“, hieß es. Während in Deutschlan­d Millionen Menschen nicht einschalte­n, werden anderswo die Bürger angehalten, Fußball zu schauen.

Wie schon bei der WM 2018 in Russland, prägen die Südamerika­ner auch in Katar das Erscheinun­gsbild. Ihnen ist kein Weg zu einer WM zu weit, kein Trip zu teuer. Unter den zehn Ländern mit den meisten Ticket-Bestellung­en befanden sich wieder Mexiko, Argentinie­n und Brasilien. Gefühlt fast die Hälfte der mehr als 88.000

Zuschauer im Lusail Stadium trug am Donnerstag bei Brasilien gegen Serbien (2:0) kanarienge­lbe Trikots, am Samstag bei Argentinie­n gegen Mexiko (2:0) dominierte­n dann im imposanten Endspielst­adion die Jerseys mit den drei hellblauen Längsstrei­fen, Erkennungs­zeichen der Albicelest­e. Es ist allerdings ein Irrglaube, dass alle diese Unterstütz­er aus Südamerika kamen.

Das erzählt Sheikh Ferdous am Millennium Plaza, einem netten Public-Viewing-Areal in Al Sadd. Er stand dort gegen Mitternach­t in seinem Argentinie­n-Trikot an einem Brunnen, trällerte Lieder, hielt seinen Schal – und sah verdammt glücklich aus. Mit Argentinie­n, erklärte der in Bangladesc­h geborene, aber in Katar arbeitende Mann, verbindet ihn seit seiner Kindheit die Liebe und Bewunderun­g

für Diego Maradona – und heute verehrt er Lionel Messi. Man müsse sich mal umhören bei anderen Gastarbeit­ern aus Nepal, Pakistan oder seiner Heimat: „Ganz viele unterstütz­en Argentinie­n oder Brasilien.“Was den riesigen Support vor Ort erklären würde.

Fast 100.000 Besucher sollen zuletzt über den Tag verteilt jeweils zum Fan Festival in den Al Bidda Park geströmt sein. Das weitgehend durchgeset­zte Alkoholver­bot scheint gar nicht mehr groß zu stören. Auch die Stadien füllen sich gut ohne Bierverkau­f: Nach der ersten Phase der Gruppenspi­ele vermeldete die Fifa eine Auslastung der Stadionkap­azitäten von 94 Prozent. Von den mehr als drei Millionen verkauften WMTickets gingen die meisten zwar an Staatsbürg­er von Katar, USA und Saudi-Arabien, aber die Südamerika­ner machen die Stimmung.

Motto: Wenn die WM jetzt hier stattfinde­t, machen wir das Beste daraus. Die Gäste aus den Schwellenl­ändern haben eine Grundhaltu­ng mitgebrach­t, die Oscar Lopez so beschreibt: Er verschließ­e nicht den Augen vor der Kehrseite, habe viel über die Ausbeutung der Arbeitsmig­ranten gelesen, aber er möchte das hier nicht ansprechen, denn: „In Südamerika haben viele Menschen ihre eigenen Probleme mit der Regierung, mit der Korruption, mit der Zerrissenh­eit. Es steht uns einfach nicht zu, den Gastgeber zu belehren.“Er hat die letzten Tage beim Fußball viele Menschen anderer Kulturen getroffen, „das bringt am meisten für die Verständig­ung.“Die Komprimier­ung der WM in einer Stadt und deren Umgebung ermögliche viele Kontakte. Der Trip in die Wüste, sagen er und seine Frau vor der Abreise, habe sich auf jeden Fall gelohnt. Zurück in London wird dann weitergesc­haut, natürlich das letzte Gruppenspi­el von Ecuador am Dienstag gegen Senegal. Mit der bunten Maske – natürlich.

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Foto: Tim Groothuis, Witters Und wenn es auch nur eine Maske ist – Maradona darf bei einer Fußball-Weltmeiste­rschaft nicht fehlen. Die Anhänger aus Argentinie­n sind in Katar zahlreich vertreten.

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