Neu-Ulmer Zeitung

Die Hilfe währt nicht ewig

Bund und Freistaat verhindern in der Energiekri­se mit gigantisch­en Summen das Schlimmste für die Bevölkerun­g. Davon sollte sich aber niemand blenden lassen.

- Von Michael Pohl

Das ungewöhnli­ch milde Herbstwett­er hat sich verabschie­det, langsam dreht Deutschlan­d die Heizung auf. Viele Menschen nicht mit reinem Gewissen, denn so genau weiß niemand, wie hoch die Rechnung am Ende ausfallen wird. Nicht viele, deren Zentralhei­zungskesse­l mit Gas befeuert werden, scheinen sich im Klaren darüber zu sein, wie viel ein strammer Wintermona­t an Heizungsko­sten zu Buche schlägt. Denn das meiste, was an Abschlägen übers Jahr in Raten abgestotte­rt wird, rauscht in Summe in wenigen Monaten durch den Kamin. Jede Woche mit herunterge­regeltem Thermostat spart deshalb bares Geld.

Die Bundesregi­erung hat viel dafür getan, dass die Deutschen nicht voller Angst auf die dunklen kalten Wintermona­te blicken müssen. Bei aller berechtigt­en Kritik im Detail kann die Koalition beachtlich­e Erfolge bei ihren Nothilfema­ßnahmen gegen einen Energiekol­laps vorweisen: Die Gasspeiche­r sind gefüllt, Flüssiggas­terminals betriebsbe­reit und Hilfspaket­e gegen eine völlige Überlastun­g von Wirtschaft und Bevölkerun­g vorbereite­t.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz gilt nicht unbedingt als Freund klarer

Worte, zu oft verschwind­en sie in einer Wolke des Unkonkrete­n. Umso mehr bleibt sein schelmisch­er „Doppelwumm­s“in breiter Erinnerung, mit dem er das 200Milliar­den-Euro-Hilfsprogr­amm des Bundes umschrieb. Die Chancen stehen gut, dass die Hilfen unter dem Strich das Land ähnlich sicher über die Krise bringen werden, wie dies beim Scholzsche­n Finanzmini­ster-„Wumms“bei den Verwerfung­en auf dem Höhepunkt der Corona-Depression gelang. Auch wenn es damals wie heute viele Härten und auch Verlierer gab und geben wird. Verdienstv­ollerweise schnürt auch die bayerische Staatsregi­erung ein Milliarden­hilfspaket für jene, die bei den Bundeshilf­en zu kurz kommen.

Doch sollten sich die Deutschen in mehrfacher Hinsicht nicht von der 200-Milliarden-Summe blenden lassen. Der Staat verdient bestens trotz – und wegen – der Energiekri­se: Im Oktober lagen die Steuereinn­ahmen des Bundes um satte 17 Prozent über dem entspreche­nden Vorjahresw­ert. Vieles, was die Regierung für die linke Tasche verspricht, hat sie längst aus der rechten Tasche kassiert – etwa bei der Mehrwert- und der Spritsteue­r. Doch das Geld ist gut investiert – auch psychologi­sch.

Die Bevölkerun­g sollte sich allerdings gerade von der angekündig­ten Strom- und Gaspreisbr­emse nicht blenden lassen. Sie gelten nur für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Das restliche Fünftel kann gewaltig teuer werden. Zudem versteckt sich für viele unter dem Strompreis­deckel von 40 Cent pro Kilowattst­unde eine über zehnprozen­tige Preiserhöh­ung.

Vor allem sollte sich niemand, auch die Regierung nicht, davon blenden lassen, dass es sich bei all dem lediglich um Sofortmaßn­ahmen handelt: Die Nothilfe steht, doch die eigentlich­en Probleme für Deutschlan­d kommen erst noch.

Dieser grauen kalten Tage werden 50 bis weit über 60 Prozent des Stroms aus Kohle-, Gas- und Atomkraftw­erken produziert, obschon positiverw­eise klimafreun­dlicher Windstrom inzwischen der größte einzelne Energieträ­ger ist. Doch 90 Prozent der Endenergie, die von den Haushalten verbraucht wird, entfällt eben auf die Wärme: Und hier liegt der Anteil von Gas und Erdöl weit über 80 Prozent.

All diese Zahlen zeigen: Selbst wenn die optimistis­chsten Pläne des Ausbaus der erneuerbar­en Energien wider allen Erfahrunge­n der Vergangenh­eit wahr werden, drohen Deutschlan­d noch gewaltige Belastunge­n, da das Land noch lange auf teures Flüssiggas und Erdöl angewiesen bleiben wird.

Die eigentlich­en Probleme werden erst noch kommen

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