In den Kulissen von Jollywood
Wenn Filmregisseure nach einer Wüste suchen, dann landen sie oft im Wadi Rum in Jordanien. Roter Sand, beeindruckende Felsen – Matt Damon zum Beispiel tat hier so, als sei er auf dem Mars. Längst aber spielen im Weltkulturerbe die Touristen die Hauptrolle
Es gibt einige Orte auf dieser Welt, da geht den Menschen gerne die Fantasie durch. Meist liegt es daran, dass es weit und breit nichts gibt, was sie aufhält. Das Meer eignet sich. Die Berggipfel. Oder eben die Wüste …
Jordanien also. Zu 95 Prozent besteht das Land aus Wüste, wobei Wüste nicht Wüste ist, die eine felsig, die andere sandig, und eine davon zudem berühmter als alle anderen. Das Wadi Rum. Eine Landschaft, vor Millionen von Jahren entstanden, durch Wind und Wasser geformt. Es gibt hier riesige Sandsteinwände, Steinkolosse, Felsen, die wie Menschen aussehen, wie Finger in den Himmel ragen oder wie dicke Nasen, die sich wie Brücken über den Boden spannen. Und dazwischen Sand, kein weißer feiner, sondern eher dunkel, rostrot. „Tal des Mondes“wird das Wadi Rum auch genannt, weil es so zerklüftet wie es ist, an eine Mondlandschaft erinnert. Man kann sich hier in die Ferne denken. Oder in die Zukunft. Oder auch beides. Dazu gleich.
Man kann aber auch einen plötzlich wüstenleeren Kopf haben, während man auf einem Kamel über den Sand wackelt. Eben sang noch der Beduine, der die kleine Truppe anführt, nun fordert Tourguide Khaled Abu Tayeh von seinen Gästen ein deutsches Lied ein, dichtet fröhlich um, als nichts erklingt. „Auf den blauen Kamelen reiten wir ...“Aber dann, einer der Reiter fasst Mut und stimmt an: „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“, nach und nach fallen die anderen mit ein: „Und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht… Wäre man nicht selbst ein Teil der Reitgruppe, würde also nicht gerade auch auf einem Kamel vor sich hinschunkeln und zumindest leise mit summen, würde man sich jetzt fragen müssen, ob da vielleicht gerade eine Kamera läuft. Und sagen wir mal so, völlig unwahrscheinlich wäre es nicht!
Für die Filmindustrie von Hollywood ist dieser Fleck Wüste seit langem begehrte Kulisse. Schöner könnte sie kein Mensch bauen. Erstmals erlag das Kinopublikum dem Zauber 1963, als es Peter O´´Toole dabei zusah, wie der sich vom träumerischen englischen Offizier in jenen legendären, vom Kämpfen ausgezehrten Lawrence von Arabien verwandelte. Ein sehr eleganter Kamelreiter im Übrigen. Sieben Oscars erhielt der Film über den englischen Leutnant
Thomas Edward Lawrence, der im Ersten Weltkrieg die arabischen Stämme zur Rebellion gegen das osmanische Reich aufwiegelte, und machte 1963 alle zu Stars: den bis dato relativ unbekannten O´Toole, den noch weniger bekannten Ägypter Omar Sharif – und eben auch das Wadi Rum. Noch immer folgen Touristen hier den Spuren des Lawrence, dem des echten, dem des Filmhelden, schauen zum Beispiel andächtig auf die Felsformation, die den Titel seines Bestsellers „Die sieben Säulen der Weisheit“trägt, pilgern zu den Ruinen des Steinhauses von Lawrence oder zur kleinen Quelle, die seinen Namen trägt – hier also trank der Mann!
Das Wadi Rum selbst aber spielt mittlerweile nur noch selten sich selbst. Regisseure landen gerne hier, wenn sie nach einem Ort suchen, der so gar nicht so aussieht, als sei er von dieser Welt. Ridley Scott zum Beispiel. Der amerikanische Regisseur ließ in der jordanischen Wüste Matt Damon als Mark Watney in „Der Marsianer“um sein Überleben kämpfen. In seinem Prometheus-Film wiederum verwandelte er das Wadi Rum zum fernen Mond LV-223. Im Stars Wars Film „Der Aufstieg des Skywalker“wurde die Landschaft ins Sternsystem Midian verlegt nach Pasaana. Zuletzt diente das Wadi Rum dem Kanadier Denis Villeneuve für sein Filmepos „Dune“als Wüstenplanet Arrakis, auf dem Jungstar Timothée Chalamet vor monströsen Sandwürmern, und gleißender Sonne in die schützenden Felsen flüchtet. Jollywood eben.
Um mal die Fantasie durchgehen zu lassen: Würde der deutsche Regisseur Michael
Kurz informiert
• Anreise Royal Jordanian fliegt täglich direkt von Frankfurt in die jordanische Hauptstadt Amman. Zur Einreise benötigt man einen Pass von mindestens sechs Monaten Gültigkeit.
• Wadi Rum Tickets für den Besuch des 720 Quadratkilometer großen Nationalparks (etwa fünf Euro pro Tag) gibt es im Visitor-Center. Dort werden auch Jeep-Touren vermittelt. Aber auch die zahlreichen Beduinen-Camps im Wadi Rum selbst oder im Umland bieten Touren, Kamelreiten, geführte Wanderungen etc. an.
• Übernachten Zum Beispiel Sun City Camp (DZ ab 165 Euro) im Wadi Rum.
Die Recherche wurde unterstützt vom Jordan Tourism Board.
„Bully“Herbig hier drehen, dann vielleicht eine neue Klamaukkomödie, die Latschen des Lawrence oder so etwas ähnliches. Da würde dann die eigene singende Kameltruppe womöglich auch hineinpassen. Was wohl die anderen Touristen hier so singen? Die französischen die Marseillaise? Die englischen Greensleves? Was die indischen? Was die Beduinen beim deutschen Bergmannslied denken, eine Frage, die man später vergisst zu stellen.
Etwa 12.000 Beduinen leben heute im Kultur- und Naturerbe der Unesco und im nahe gelegenen Disi, das Geschäft mit den Touristen ist die Haupteinnahmequelle. Neben der antiken Stadt Petra ist das Wadi Rum eine der meist besuchten Attraktionen des Landes. Die Wüste ist schnell ausgebucht. Zur Hauptsaison sei oft kein Bett mehr frei, sagt Ahmad Kraishan vom Jordan Tourism Board. Weshalb aus dem kargen Boden auch wie Pilze immer weitere Camps wachsen, in denen die Reisenden meist in Zelten übernachten oder, noch begehrter, in einer der unzähligen Bubbles, kleine kugelförmige Unterkünfte, die durch Kuppeln den Blick in den Sternenhimmel erlauben. Auch da gibt es jede Kategorie, von Basic aus Lehm und Zeltplane bis Luxus ganz aus Glas mit Whirlpool.
Was sich die Touristen hier erhoffen? Die Namen der rund 200 Camps zeugen von Träumen und Sehnsüchten. Adventure Camp, Star Wars Camp, Milky Way Camp, Luxury Camp, Quiet Village Camp, Lawrence Memories Camp... Abenteuer, Sterne, Luxus, Mythos. Die Beduinen haben sich auf all diese Wünsche eingestellt: Fahren die Gäste mit Jeeps durch das
Wadi, hinterlassen ein wildes Muster aus Reifenspuren, klettern mit ihnen auf Berge, führen sie mit Kamelen, erklären nachts den Sternenhimmel. Und abends wird Zarb kredenzt, eine Art beduinisches Barbecue, bei dem Lammfleisch, Reis und Gemüse in einem Loch im Wüstenboden gegart werden – so natürlich auch Lawrence schon serviert wurde.
In den über zweihundert Minuten des Films gibt es übrigens keine weibliche Sprechrolle: Männer reiten, Männer schießen, Männer essen, Männer sprechen große Worte: „In der Wüste ist gar nichts und kein Mensch braucht gar nichts.“In der Disi Women Cooperative Association spielen dagegen nur Frauen die Hauptrollen und wenn Gründerin Qutanah, 58, spricht, erfährt man, was sie hier dringend brauchen. In der Wüste das gleiche wie überall: Ausbildungen, Kinderbetreuung, Jobs. Davon gibt es hier wenige, fast alle im Tourismus. „Wir wollen den jungen Frauen Mut machen, sich dort ihren Platz zu suchen und dadurch auch etwas zum Familieneinkommen beitragen zu können“sagt Qutanah.
Qutanah war die erste in der Siedlung Disi, die in der Hauptstadt Amman studiert hat. Der Onkel sei dagegen gewesen, der Vater war zum Glück dafür. Auch als sie das Zentrum gründete, waren die Männer nicht einer Meinung, sagt sie – lacht dabei. „Wir mussten ihnen erst zeigen, das wir das können.“Nun gibt sie Wissen und Erfahrung weiter: an junge Beduininnen und an Touristinnen und Touristen. Ein Lernort für alle. Es sei kein leichtes Leben in der Wüste, sagt Qutanah, aber eben ihr Leben: „Und wir wollen, dass Reisende spüren, was es ausmacht“.
Wer mag, kann hier mit den Frauen töpfern und malen, sich die alte thalmudische Schrift zeigen lassen, zusehen wie Brot gebacken und Kaffee geröstet und zubereitet wird, kosten, Tee trinken. Und sich von Qutanah erklären lassen, was die Wüste wiederum braucht. Pflanzen wie den kleinen Wüstenbaum Haloxylon Persicum zum Beispiel, im Arabischen Ghada genannt, der wenig nimmt, kaum Wasser auch, und viel gibt. Fressen für die Kamele, Halt für den Boden, die abgestorbenen Äste wiederum werden als Feuerholz verwendet. „Früher war die Wüste hier voll dieser Pflanzen“, erzählt Qutanah, nun aber seien sie langsam am Verschwinden. Zu viele Weidetiere, zu viele Touristen. In der angeschlossenen Gärtnerei werden die Pflanzen mit modernen Techniken gezüchtet und aufgepäppelt, dann zum Einpflanzen in die Gemeinden weitergegeben. Auch Touristen können sich gerne am Naturschutzprojekt beteiligen, eine Ghada adoptieren und pflanzen. Regelmäßig soll es dann auch Kunde geben, wie es dem Zögling so geht. Erinnerungen, die wachsen. Eine Wüste, die lebt.
Matt Damon schwärmte nach den Dreharbeiten im Übrigen, dies sei der spektakulärste und schönste Ort, den er je auf der Erde gesehen habe. Häufiger aber wird natürlich Lawrence zitiert, der die Wüste einsam und gottähnlich nannte. An anderer Stelle sauber. Ach. Über seine Rolle in der arabischen Revolution gehen die Meinungen in Jordanien auseinander. Für die einen ist er ein Freiheitsheld, vor den Ruinen des Lawrence-Hauses stehen kleine Pyramiden aus Steinen zum Andenken – nicht wenige vermutlich von Filmfans gebaut. Für die anderen aber gilt er als Verräter, der die Araber mit falschen Versprechen in den Aufstand gegen die an der Seite der Deutschen kämpfenden Türken führte. „Er hat die Araber benutzt“, sagt Khaled, unser Reiseführer, und nein, er mag auch den Film nicht. Ob man wisse, wer an der Seite von Lawrence zum Sturm auf die Küstenstadt Akaba aufbrach? Anthony Quinn, äh? Im Film zumindest ja, da verkörperte Quinn den stolzen Auda Abu Tayi, Anführer des Stammes der Huweitat, denen weite Teile des Wadi Rum gehören. Angeblich vergrößerte man Quinns Nase für die Rolle ein wenig.
Als Tourist kann man sich hier übrigens auch in die Vergangenheit denken... setzt sich also in einen der grünen Waggons der Hedschasbahn, die von Damaskus einst quer durch das Wadi Rum bis nach Medina führte. Heute fährt sie nur noch für private Gruppen oder Touristen. Es gibt Gewehre an Bord, Männer im türkischer Armeelook steigen ein, irgendwann preschen die Beduinen auf Pferden an, überfallen den Zug wie einst an der Seite von Lawrence. Ein Spektakel eigens für die Wüstenurlauber aus aller Welt. Natürlich darf gefilmt werden.
Wie Pilze wachsen die Touristencamps mit ihren Zelten und Bubbles aus dem Boden