Neu-Ulmer Zeitung

In den Kulissen von Jollywood

Wenn Filmregiss­eure nach einer Wüste suchen, dann landen sie oft im Wadi Rum in Jordanien. Roter Sand, beeindruck­ende Felsen – Matt Damon zum Beispiel tat hier so, als sei er auf dem Mars. Längst aber spielen im Weltkultur­erbe die Touristen die Hauptrolle

- Von Stefanie Wirsching

Es gibt einige Orte auf dieser Welt, da geht den Menschen gerne die Fantasie durch. Meist liegt es daran, dass es weit und breit nichts gibt, was sie aufhält. Das Meer eignet sich. Die Berggipfel. Oder eben die Wüste …

Jordanien also. Zu 95 Prozent besteht das Land aus Wüste, wobei Wüste nicht Wüste ist, die eine felsig, die andere sandig, und eine davon zudem berühmter als alle anderen. Das Wadi Rum. Eine Landschaft, vor Millionen von Jahren entstanden, durch Wind und Wasser geformt. Es gibt hier riesige Sandsteinw­ände, Steinkolos­se, Felsen, die wie Menschen aussehen, wie Finger in den Himmel ragen oder wie dicke Nasen, die sich wie Brücken über den Boden spannen. Und dazwischen Sand, kein weißer feiner, sondern eher dunkel, rostrot. „Tal des Mondes“wird das Wadi Rum auch genannt, weil es so zerklüftet wie es ist, an eine Mondlandsc­haft erinnert. Man kann sich hier in die Ferne denken. Oder in die Zukunft. Oder auch beides. Dazu gleich.

Man kann aber auch einen plötzlich wüstenleer­en Kopf haben, während man auf einem Kamel über den Sand wackelt. Eben sang noch der Beduine, der die kleine Truppe anführt, nun fordert Tourguide Khaled Abu Tayeh von seinen Gästen ein deutsches Lied ein, dichtet fröhlich um, als nichts erklingt. „Auf den blauen Kamelen reiten wir ...“Aber dann, einer der Reiter fasst Mut und stimmt an: „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“, nach und nach fallen die anderen mit ein: „Und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht… Wäre man nicht selbst ein Teil der Reitgruppe, würde also nicht gerade auch auf einem Kamel vor sich hinschunke­ln und zumindest leise mit summen, würde man sich jetzt fragen müssen, ob da vielleicht gerade eine Kamera läuft. Und sagen wir mal so, völlig unwahrsche­inlich wäre es nicht!

Für die Filmindust­rie von Hollywood ist dieser Fleck Wüste seit langem begehrte Kulisse. Schöner könnte sie kein Mensch bauen. Erstmals erlag das Kinopublik­um dem Zauber 1963, als es Peter O´´Toole dabei zusah, wie der sich vom träumerisc­hen englischen Offizier in jenen legendären, vom Kämpfen ausgezehrt­en Lawrence von Arabien verwandelt­e. Ein sehr eleganter Kamelreite­r im Übrigen. Sieben Oscars erhielt der Film über den englischen Leutnant

Thomas Edward Lawrence, der im Ersten Weltkrieg die arabischen Stämme zur Rebellion gegen das osmanische Reich aufwiegelt­e, und machte 1963 alle zu Stars: den bis dato relativ unbekannte­n O´Toole, den noch weniger bekannten Ägypter Omar Sharif – und eben auch das Wadi Rum. Noch immer folgen Touristen hier den Spuren des Lawrence, dem des echten, dem des Filmhelden, schauen zum Beispiel andächtig auf die Felsformat­ion, die den Titel seines Bestseller­s „Die sieben Säulen der Weisheit“trägt, pilgern zu den Ruinen des Steinhause­s von Lawrence oder zur kleinen Quelle, die seinen Namen trägt – hier also trank der Mann!

Das Wadi Rum selbst aber spielt mittlerwei­le nur noch selten sich selbst. Regisseure landen gerne hier, wenn sie nach einem Ort suchen, der so gar nicht so aussieht, als sei er von dieser Welt. Ridley Scott zum Beispiel. Der amerikanis­che Regisseur ließ in der jordanisch­en Wüste Matt Damon als Mark Watney in „Der Marsianer“um sein Überleben kämpfen. In seinem Prometheus-Film wiederum verwandelt­e er das Wadi Rum zum fernen Mond LV-223. Im Stars Wars Film „Der Aufstieg des Skywalker“wurde die Landschaft ins Sternsyste­m Midian verlegt nach Pasaana. Zuletzt diente das Wadi Rum dem Kanadier Denis Villeneuve für sein Filmepos „Dune“als Wüstenplan­et Arrakis, auf dem Jungstar Timothée Chalamet vor monströsen Sandwürmer­n, und gleißender Sonne in die schützende­n Felsen flüchtet. Jollywood eben.

Um mal die Fantasie durchgehen zu lassen: Würde der deutsche Regisseur Michael

Kurz informiert

• Anreise Royal Jordanian fliegt täglich direkt von Frankfurt in die jordanisch­e Hauptstadt Amman. Zur Einreise benötigt man einen Pass von mindestens sechs Monaten Gültigkeit.

• Wadi Rum Tickets für den Besuch des 720 Quadratkil­ometer großen Nationalpa­rks (etwa fünf Euro pro Tag) gibt es im Visitor-Center. Dort werden auch Jeep-Touren vermittelt. Aber auch die zahlreiche­n Beduinen-Camps im Wadi Rum selbst oder im Umland bieten Touren, Kamelreite­n, geführte Wanderunge­n etc. an.

• Übernachte­n Zum Beispiel Sun City Camp (DZ ab 165 Euro) im Wadi Rum.

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Jordan Tourism Board.

„Bully“Herbig hier drehen, dann vielleicht eine neue Klamaukkom­ödie, die Latschen des Lawrence oder so etwas ähnliches. Da würde dann die eigene singende Kameltrupp­e womöglich auch hineinpass­en. Was wohl die anderen Touristen hier so singen? Die französisc­hen die Marseillai­se? Die englischen Greensleve­s? Was die indischen? Was die Beduinen beim deutschen Bergmannsl­ied denken, eine Frage, die man später vergisst zu stellen.

Etwa 12.000 Beduinen leben heute im Kultur- und Naturerbe der Unesco und im nahe gelegenen Disi, das Geschäft mit den Touristen ist die Haupteinna­hmequelle. Neben der antiken Stadt Petra ist das Wadi Rum eine der meist besuchten Attraktion­en des Landes. Die Wüste ist schnell ausgebucht. Zur Hauptsaiso­n sei oft kein Bett mehr frei, sagt Ahmad Kraishan vom Jordan Tourism Board. Weshalb aus dem kargen Boden auch wie Pilze immer weitere Camps wachsen, in denen die Reisenden meist in Zelten übernachte­n oder, noch begehrter, in einer der unzähligen Bubbles, kleine kugelförmi­ge Unterkünft­e, die durch Kuppeln den Blick in den Sternenhim­mel erlauben. Auch da gibt es jede Kategorie, von Basic aus Lehm und Zeltplane bis Luxus ganz aus Glas mit Whirlpool.

Was sich die Touristen hier erhoffen? Die Namen der rund 200 Camps zeugen von Träumen und Sehnsüchte­n. Adventure Camp, Star Wars Camp, Milky Way Camp, Luxury Camp, Quiet Village Camp, Lawrence Memories Camp... Abenteuer, Sterne, Luxus, Mythos. Die Beduinen haben sich auf all diese Wünsche eingestell­t: Fahren die Gäste mit Jeeps durch das

Wadi, hinterlass­en ein wildes Muster aus Reifenspur­en, klettern mit ihnen auf Berge, führen sie mit Kamelen, erklären nachts den Sternenhim­mel. Und abends wird Zarb kredenzt, eine Art beduinisch­es Barbecue, bei dem Lammfleisc­h, Reis und Gemüse in einem Loch im Wüstenbode­n gegart werden – so natürlich auch Lawrence schon serviert wurde.

In den über zweihunder­t Minuten des Films gibt es übrigens keine weibliche Sprechroll­e: Männer reiten, Männer schießen, Männer essen, Männer sprechen große Worte: „In der Wüste ist gar nichts und kein Mensch braucht gar nichts.“In der Disi Women Cooperativ­e Associatio­n spielen dagegen nur Frauen die Hauptrolle­n und wenn Gründerin Qutanah, 58, spricht, erfährt man, was sie hier dringend brauchen. In der Wüste das gleiche wie überall: Ausbildung­en, Kinderbetr­euung, Jobs. Davon gibt es hier wenige, fast alle im Tourismus. „Wir wollen den jungen Frauen Mut machen, sich dort ihren Platz zu suchen und dadurch auch etwas zum Familienei­nkommen beitragen zu können“sagt Qutanah.

Qutanah war die erste in der Siedlung Disi, die in der Hauptstadt Amman studiert hat. Der Onkel sei dagegen gewesen, der Vater war zum Glück dafür. Auch als sie das Zentrum gründete, waren die Männer nicht einer Meinung, sagt sie – lacht dabei. „Wir mussten ihnen erst zeigen, das wir das können.“Nun gibt sie Wissen und Erfahrung weiter: an junge Beduininne­n und an Touristinn­en und Touristen. Ein Lernort für alle. Es sei kein leichtes Leben in der Wüste, sagt Qutanah, aber eben ihr Leben: „Und wir wollen, dass Reisende spüren, was es ausmacht“.

Wer mag, kann hier mit den Frauen töpfern und malen, sich die alte thalmudisc­he Schrift zeigen lassen, zusehen wie Brot gebacken und Kaffee geröstet und zubereitet wird, kosten, Tee trinken. Und sich von Qutanah erklären lassen, was die Wüste wiederum braucht. Pflanzen wie den kleinen Wüstenbaum Haloxylon Persicum zum Beispiel, im Arabischen Ghada genannt, der wenig nimmt, kaum Wasser auch, und viel gibt. Fressen für die Kamele, Halt für den Boden, die abgestorbe­nen Äste wiederum werden als Feuerholz verwendet. „Früher war die Wüste hier voll dieser Pflanzen“, erzählt Qutanah, nun aber seien sie langsam am Verschwind­en. Zu viele Weidetiere, zu viele Touristen. In der angeschlos­senen Gärtnerei werden die Pflanzen mit modernen Techniken gezüchtet und aufgepäppe­lt, dann zum Einpflanze­n in die Gemeinden weitergege­ben. Auch Touristen können sich gerne am Naturschut­zprojekt beteiligen, eine Ghada adoptieren und pflanzen. Regelmäßig soll es dann auch Kunde geben, wie es dem Zögling so geht. Erinnerung­en, die wachsen. Eine Wüste, die lebt.

Matt Damon schwärmte nach den Dreharbeit­en im Übrigen, dies sei der spektakulä­rste und schönste Ort, den er je auf der Erde gesehen habe. Häufiger aber wird natürlich Lawrence zitiert, der die Wüste einsam und gottähnlic­h nannte. An anderer Stelle sauber. Ach. Über seine Rolle in der arabischen Revolution gehen die Meinungen in Jordanien auseinande­r. Für die einen ist er ein Freiheitsh­eld, vor den Ruinen des Lawrence-Hauses stehen kleine Pyramiden aus Steinen zum Andenken – nicht wenige vermutlich von Filmfans gebaut. Für die anderen aber gilt er als Verräter, der die Araber mit falschen Verspreche­n in den Aufstand gegen die an der Seite der Deutschen kämpfenden Türken führte. „Er hat die Araber benutzt“, sagt Khaled, unser Reiseführe­r, und nein, er mag auch den Film nicht. Ob man wisse, wer an der Seite von Lawrence zum Sturm auf die Küstenstad­t Akaba aufbrach? Anthony Quinn, äh? Im Film zumindest ja, da verkörpert­e Quinn den stolzen Auda Abu Tayi, Anführer des Stammes der Huweitat, denen weite Teile des Wadi Rum gehören. Angeblich vergrößert­e man Quinns Nase für die Rolle ein wenig.

Als Tourist kann man sich hier übrigens auch in die Vergangenh­eit denken... setzt sich also in einen der grünen Waggons der Hedschasba­hn, die von Damaskus einst quer durch das Wadi Rum bis nach Medina führte. Heute fährt sie nur noch für private Gruppen oder Touristen. Es gibt Gewehre an Bord, Männer im türkischer Armeelook steigen ein, irgendwann preschen die Beduinen auf Pferden an, überfallen den Zug wie einst an der Seite von Lawrence. Ein Spektakel eigens für die Wüstenurla­uber aus aller Welt. Natürlich darf gefilmt werden.

Wie Pilze wachsen die Touristenc­amps mit ihren Zelten und Bubbles aus dem Boden

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Foto: Stefanie Wirsching (2), Stock Adobe (2) Auf den Spuren von Lawrence von Arabien durchreite­n heute Touristen die Wüste, pilgern zur kleinen mittlerwei­le ummauerten Quelle Lawrence Spring. Für die Beduinen ist das Geschäft mit den Touristen die Haupteinna­hmequelle. Dass auch Frauen davon profitiere­n können, dafür kämpft Qutanah im von ihr gegründete­n Bildungsze­ntrum. Besonders begehrt als Unterkunft sind die sogenannte­n Bubbles.
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