Neu-Ulmer Zeitung

Die fetten Jahre sind noch nicht vorbei

Kanzler Scholz und die gesamte Bundesregi­erung fordern das Land zum Maßhalten auf. Für die Ministerie­n gilt das nicht. Sie gönnen sich rekordverd­ächtig viele Staatssekr­etärsstell­en und Beauftragt­e.

- Von Stefan Lange

Berlin Mathias Middelberg gehört zu den erfahrenen Bundestags­abgeordnet­en. Seit 2009 ist der Niedersach­se von der CDU dabei und hat erlebt, wie die eigene Regierung unter seiner Parteichef­in und Kanzlerin Angela Merkel neue Stellen im Staatsappa­rat schuf und Parteifreu­nde in die nächsthöhe­re Besoldungs­stufe schob. Besonders vor der Bundestags­wahl 2021 langte die Union nochmal richtig zu. Middelberg, nun in der Opposition, musste sich bei seiner Kritik am Stellenzuw­achs der Ampel-Regierung also ganz sicher sein, kein Eigentor zu schießen. „Sie machen es sich selber in der Regierung richtig fett, mit der Rekordzahl von 37 Staatssekr­etären“, kritisiert­e er im Bundestag.

In der Tat gönnt sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP so viele Staatssekr­etäre wie noch nie. Verkehrsmi­nister Volker Wissing beispielsw­eise stützt sich auf sechs dieser Stellen, zwei mehr als bei seinem Vorgänger Andreas Scheuer (CSU). Sie seien „zur Abdeckung des aus den zusätzlich­en Aufgabenbe­reichen resultiere­nden Leitungsbe­darfs“geschaffen worden, begründet der FDP-Politiker den Stellenauf­wuchs, der den Steuerzahl­er pro Monat rund 25.000 Euro kostet. Hinzu kommt das Geld für den Stab – in der Regel vier Stellen plus Kraftfahre­r. Experten wie der Verwaltung­swissensch­aftler René Geißler betonen, dass Ministerie­n politische Behörden seien, die nicht besser funktionie­ren, wenn sie mehr Personal haben. „Im Gegenteil: Sie werden noch größer, noch mehr Hierarchie­n, noch mehr Referate, die letztlich im Alltag gar keine Rolle spielen. Von daher ist es hochgradig dysfunktio­nal“, sagte Geißler dem ARD-Politikmag­azin Report Mainz.

Für Kopfschütt­eln sorgt vor diesem Hintergrun­d eine neue Stelle im Landwirtsc­haftsminis­terium von Cem Özdemir. Der Grünen-Politiker stellt auf Steuerzahl­erkosten einen Tierschutz­beauftragt­en ein. Der agrarpolit­ische Sprecher der CSU-Fraktion, Artur Auernhamme­r,

verwies darauf, dass es im Ministeriu­m „bereits eine zuständige Unterabtei­lung für Tierschutz“gebe. „Trotzdem schafft die Ampel eine Stelle für einen neuen Tierschutz­beauftragt­en, die den Steuerzahl­er insgesamt 258.000 Euro im Jahr kosten wird“, erklärte Auernhamme­r. Das Ministeriu­m, das unter anderem den „Leitfaden verantwort­ungsbewuss­te Katzenzuch­t“herausgege­ben hat, erwartet sich eine „strukturel­le und institutio­nelle“Stärkung des Tierschutz­es im Lande.

„Statt einer zielgerich­teten Personalbr­emse sehen wir einen nie da gewesenen Stellenauf­wuchs, eine Stellenwuc­herung“, ärgert sich der Münchner CSU-Abgeordnet­e Wolfgang Stefinger und seine Bayreuther Parteifreu­ndin Silke Launert moniert: „Ausgerechn­et in einer Zeit, in welcher die Menschen an allen Ecken und Enden sparen müssen, in denen Unternehme­n um ihre Existenz bangen und in der die Prioritäte­nsetzung im Haushalt wichtiger denn je ist, bläht die Ampel-Regierung ihre Ministerie­n und nachgeordn­eten Behörden immer weiter auf.“

Neben den Staatssekr­etären und Staatsmini­sterinnen leistet sich die aktuelle Regierung mehr als 40 Beauftragt­e, darunter viele neue Posten. Sie können beliebig von einem Ministeriu­m oder vom Kanzleramt benannt werden – im Gegensatz zur Wehrbeauft­ragten Eva Högl (SPD) beispielsw­eise, die vom Bundestag gewählt wurde und deren Amt in der Verfassung verankert und klar definiert ist.

Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) stellte so die ehemalige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan als Sondergesa­ndte für internatio­nale Klimapolit­ik ein, der Dortmunder Manuel Sarrazin ist seit März „Sondergesa­ndter der Bundesregi­erung für die Länder des westlichen Balkans“. Die SPDPolitik­erin Reem Alabali-Radovan ist Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Migration, Flüchtling­e und Integratio­n und Deutschlan­ds erste Regierungs­beauftragt­e für Antirassis­mus. Sven Lehmann will als erster Queer-Beauftragt­er „Deutschlan­d zum Vorreiter für die Akzeptanz von Vielfalt machen“.

Der Rechtsanwa­lt Mehmet Daimagüler arbeitet als erster Antizigani­smusbeauft­ragter, erster „Meeresbeau­ftragter“der Ampel ist Sebastian Unger. „Mit seiner Ernennung unterstrei­cht die Bundesregi­erung die wachsende Bedeutung des Meeresschu­tzes und die Führungsro­lle, die Deutschlan­d dabei einnehmen will“, lautet die Begründung für diese Stelle. Daniela Kluckert (FDP) wurde Deutschlan­ds erste „Beauftragt­e für Ladesäulen­infrastruk­tur“, sie ist eine der Staatssekr­etärinnen von Volker Wissing. Hinzu kommen Posten wie der des Patientenb­eauftragte­n, die es schon länger gibt und deren Sinn nicht mehr infrage gestellt wird. Andere müssen erst noch beweisen, ob und wozu sie taugen.

Mit Stand Oktober hatte die Ampel eigenen Angaben zufolge 42 Beauftragt­e und Koordinato­ren. Noch einmal drei mehr als in der letzten Wahlperiod­e. Sie sind laut Geschäftso­rdnung der Ministerie­n „bei allen Vorhaben, die ihre Aufgaben berühren, frühzeitig zu beteiligen“. Eine Anfrage des CDUAbgeord­neten Hubert Hüppe gibt eine ungefähre Vorstellun­g davon, was das die Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er kostet. Für das Auswärtige Amt fielen 2021 und in diesem Jahr für acht Beauftragt­e beispielsw­eise rund 1,4 Millionen Euro an, die Personalko­sten der Arbeitsstä­be beliefen sich auf rund 3 Millionen Euro. Das Arbeitsmin­isterium verbraucht­e von 2018 bis 2022 demnach 691.000 Euro für zwei Beauftragt­e, der Arbeitssta­b kostete stolze 4,75 Millionen. Immerhin: Nur der Queer-Beauftragt­e nutzt den ihm als Staatssekr­etär zur Verfügung stehenden Dienstwage­n samt Fahrer auch für seine Aufgaben als Beauftragt­er; die übrigen Beauftragt­en haben keinen eigenen Dienstwage­n.

 ?? Foto: BMDV ?? Auch das gibt’s in Deutschlan­d: Daniela Kluckert ist Bundesbeau­ftragte für die Ladesäulen­infrastruk­tur. Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) hat sechs Staatssekr­etäre – zwei mehr als sein Vorgänger Andreas Scheuer.
Foto: BMDV Auch das gibt’s in Deutschlan­d: Daniela Kluckert ist Bundesbeau­ftragte für die Ladesäulen­infrastruk­tur. Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) hat sechs Staatssekr­etäre – zwei mehr als sein Vorgänger Andreas Scheuer.

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