Neu-Ulmer Zeitung

Eine Kerze für jede tote Kuh

Im Zuge des Allgäuer Tierskanda­ls ist das erste Urteil gefallen. Im Gericht nehmen die Landwirte regungslos ihre Strafe zur Kenntnis, draußen demonstrie­ren Tierschütz­er.

- Von Andreas Berger

Memmingen/Bad Grönenbach Als Richter Christian Liebhart sagt, dass der junge Landwirt für fast drei Jahre ins Gefängnis muss, bleibt der 25-jährige Angeklagte regungslos. Auch dessen Vater, der zwei Stühle weiter sitzt, verzieht keine Miene. Er hat eine Haftstrafe von zwei Jahren bekommen, muss aber nicht ins Gefängnis. Seine Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt. Beide wurden wegen „quälerisch­er Misshandlu­ng von Wirbeltier­en durch Unterlassu­ng“verurteilt. So endete am Dienstag der Prozess gegen zwei Landwirte aus Bad Grönenbach, der am 20. September am Landgerich­t Memmingen begonnen hatte. Es ist das erste Urteil im Zuge der juristisch­en Aufarbeitu­ng des Allgäuer Tierskanda­ls.

Die Strafkamme­r sah unter anderem den Vorwurf als erwiesen an, dass die beiden Landwirte 2019 etliche Rinder längere Zeit nicht ausreichen­d versorgt hatten, sodass die Tiere teils erheblich und deutlich erkennbar litten. Einige mussten wegen schlechter Verfassung eingeschlä­fert werden. Die Ställe der insgesamt drei Hofstellen seien überfüllt gewesen, teilweise habe der Kot einen halben Meter hoch gestanden.

Die beiden Landwirte seien überforder­t gewesen, hatten sie während der mehrwöchig­en Verhandlun­g zugegeben. Das bezog sich auf das Jahr 2019, als der Tierskanda­l an die Öffentlich­keit kam. Doch das Gericht ließ das nicht gelten: Sie hätten nicht nur aus Überforder­ung falsch gehandelt. Denn es wäre ihnen möglich gewesen, kranke Tiere versorgen zu lassen und auf Anweisunge­n von Behörden zu reagieren. Dass sie das nicht taten, sei Ignoranz gegenüber tierschutz­rechtliche­n und landwirtsc­haftlichen Vorgaben.

Ob einzelne Tiere tatsächlic­h längere Zeit und unter starken Schmerzen gelitten haben, stellten die beiden Verteidige­r während des Prozesses infrage. Wie könne belegt werden, wie stark die

Schmerzen waren? Und wie lange eine Krankheit schon bestehe? Doch in der Urteilsbeg­ründung machte der Richter klar, dass an den Aussagen der Sachverstä­ndigen und an teils erschütter­nden Bildern und Videos aus dem Stall nicht zu rütteln ist. Als Beispiel nannte er eine Kuh, die während einer Kontrolle im September 2019 aufgefalle­n war. Sie hatte zwei große Abszesse am Hinterteil. Der 25-Jährige wurde aufgeforde­rt, sie behandeln zu lassen. Dem kam er einmal nach. Doch das sei nicht ausreichen­d gewesen. Zwei Monate später wurde die Kuh bei einer weiteren Kontrolle begutachte­t. Die Abszesse waren noch größer, aufgeplatz­t, der Eiter lief heraus. Das Tier litt länger unter erhebliche­n Schmerzen. In einem Fall habe der 25-Jährige sogar versucht, einen Missstand zu vertuschen: Während einer Kontrolle holte er ein krankes Kalb aus seinem Stall, brachte es in ein Maisfeld und tötete es. In den Stall stellte er ein gesundes Kalb.

Mit der Freiheitss­trafe von zwei Jahren und zehn Monaten für den jungen Landwirt kam das Gericht der Forderung der Staatsanwa­ltschaft nach. Damit blieb es nur knapp unter der in solchen Fällen erlaubten höchsten Freiheitss­trafe von drei Jahren. Bei der Haftstrafe von zwei Jahren für den Vater blieb das Gericht allerdings unter der Forderung des Staatsanwa­lts von zwei Jahren und sechs Monaten. Haftstrafe­n von maximal zwei Jahren können zur Bewährung ausgesetzt werden, was das Gericht hier nutzte. Vor allem das Alter des Angeklagte­n, der bereits wegen Verstößen gegen das Tierschutz­gesetz vorbestraf­t ist, und dessen schlechter Gesundheit­szustand sprechen laut Gericht gegen einen Gefängnisa­ufenthalt. Er muss 12.000 Euro an einen Gnadenhof zahlen. Zudem dürfen er und sein Sohn fünf Jahre lang keine Tiere halten und betreuen.

Zwei Prozesse ähnlicher Art gegen weitere Allgäuer Landwirte sollen im kommenden Jahr folgen. Auch sie waren Teil des bundesweit Schlagzeil­en machenden Allgäuer Tierskanda­ls.

 ?? Foto: Andreas Becker ?? Vor dem Memminger Landgerich­t brachten Tierschütz­er ihren Ärger über den Tierskanda­l und ihre Trauer um die misshandel­ten und verendeten Kühe mit dem Anzünden von Kerzen zum Ausdruck.
Foto: Andreas Becker Vor dem Memminger Landgerich­t brachten Tierschütz­er ihren Ärger über den Tierskanda­l und ihre Trauer um die misshandel­ten und verendeten Kühe mit dem Anzünden von Kerzen zum Ausdruck.

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