„Audi muss wachsam sein“
Achim Heinfling hat das Audi-Stammwerk in Ingolstadt geleitet. Nun geht er in den Ruhestand. Im Interview spricht er darüber, wie sich die Produktion im Dauerkrisenmodus verändert hat und welche Faktoren für die Zukunft des Unternehmens entscheidend sind.
Herr Heinfling, Sie haben 32 Jahre für Audi gearbeitet, die letzten drei waren Sie Werkleiter des Stammwerks in Ingolstadt. Gab es in Ihrer Karriere etwas, was Sie besonders geprägt hat?
Achim Heinfling: Geprägt hat mich von vornherein das Arbeitsklima, die Kollegialität – der Audi-Geist. Das ist etwas, was mir immer gutgetan hat, wo ich mich entfalten und Leistung bringen konnte.
Wie haben Sie den Diesel-Skandal erlebt?
Heinfling: Ich fühlte Entsetzen, Erschütterung und eine gewisse Ungläubigkeit. Ich war ja in der Motorenwelt tätig, allerdings „nur“in der Hardware – da war das doppelt erschütternd und unvorstellbar. Damit umzugehen, wenn man für die Marke Audi unterwegs war, war schon eine Herausforderung. Einerseits eine gewisse Demut zu zeigen, andererseits aber auch dieser Pauschalverurteilung aller Audianer entgegenzutreten.
Corona-Pandemie, UkraineKrieg, Halbleitermangel... Aktuell kommt es bei Audi immer wieder zu Kurzarbeit. Ist diese Situation ähnlich schwierig zu händeln? Heinfling: Es ist leider fast zur Gewohnheit geworden. Als es vor drei Jahren losging mit Corona, dann mit den Lockdowns – da war eine Pandemie noch wie aus einem Science-Fiction-Film. In so einer Situation ist viel Kommunikation nötig, um die Unsicherheiten in der Belegschaft zu zerstreuen. Manchmal muss man auch einfach offen ansprechen, dass man Dinge noch nicht final beurteilen kann. De facto ist es aktuell in der Produktion so, dass wir bis Mitte der Woche oft noch nicht genau wissen, wie die Teileversorgung nächste Woche aussieht. In diesem Modus leben wir seit zweieinhalb Jahren. Aber wir haben ein tolles Team und machen das Beste daraus.
Die Halbleiterkrise hängt auch mit Lieferketten zusammen. Sollte Audi weniger abhängig von anderen Ländern werden und mehr inhouse herstellen?
Heinfling: Das Problem bei der Halbleiterkrise besteht nicht in der
Abhängigkeit von einzelnen Ländern, sondern in der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Natürlich müssen wir uns überlegen, welche Kompetenzen wir in Deutschland, in Europa halten. Das tun wir auch. Doch machen wir uns nichts vor. Von der Vernetzung der Weltwirtschaft werden wir nicht komplett wegkommen. Das würde der Welt auch nicht guttun. Denn das ist es, was die Welt ein Stück weit zusammenhält. An der ein oder anderen Stelle macht es aber Sinn, über mehr eigene Fertigungstiefe nachzudenken. Die Batteriemontage hier neben dem Werk steht schon.
Aber ist es bei der Batteriemontage nicht so, dass die Zellen von einer koreanischen Firma kommen? Heinfling: Es ist richtig, dass die Batterietechnologie derzeit stark von asiatischen Herstellern dominiert ist. Doch wir holen diese Technologien mehr und mehr nach Europa. Dafür kooperieren wir mit Partnern. Gleichzeitig wollen wir strategisch wichtige Technologien inhouse beherrschen. Zukünftig werden wir deshalb auch
Batteriemodule in Ingolstadt herstellen.
Spannen wir den Bogen von der Autoindustrie zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Viele sagen, die WM hätte nicht in ein Land vergeben werden dürfen, in dem Menschenrechte verletzt werden. Wäre es eine Option für Audi, sich aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen aus China zurückzuziehen?
Heinfling: Ich persönlich sehe es nicht als Option, nicht mehr in China zu produzieren. Wir sind mit China stark vernetzt, China ist ein wichtiger Markt für uns. Aber es ist natürlich unser Ziel, in den Regionen, in denen wir tätig sind, unsere ethischen Werte zu vertreten.
2026 soll der letzte neue Verbrenner kommen, 2035 sollen in keinem Audi-Werk mehr Verbrenner produziert werden. Denken Sie, dass dieser ausschließliche Fokus auf E-Mobilität richtig ist? Heinfling: Wenn Sie Dinge verändern wollen, müssen Sie sich auf etwas fokussieren. Wenn Sie heute auf Elektro und morgen auf Wasserstoff setzen, verzetteln Sie sich. Außerdem müssen Sie irgendwann einschätzen, welche Technologie wann die entsprechende Reife hat – hinsichtlich technischem Komfort, aber auch hinsichtlich der Kosten, die auf die Kunden zukommen.
Audi schreibt Milliarden-Gewinne. Aber die Produktion kann bei Kurzarbeit wohl kaum voll ausgelastet sein?
Achim Heinfling:
Wir wären ausgelastet, wenn wir die benötigten Bauteile hätten. Wir geben alles, um die entsprechende Produktion sicherzustellen. Ende des Jahres werden wir in Ingolstadt auf jeden Fall mehr Autos gebaut haben als 2021.
Ist absehbar, ob sich die Halbleiter-Situation 2023 entspannt? Heinfling: Ja, die Situation wird sich verbessern, aber es ist nicht so, dass wir für ein halbes Jahr im Voraus verbindliche Zusagen von Zulieferern hätten. Es bleibt spannend.
Vorständin Hildegard Wortmann sagte, die Chancen stünden 50:50, dass es Audi in zehn Jahren nicht mehr gibt. Wie sehen Sie das? Heinfling: Meine persönliche Einschätzung ist, dass, wenn wir wachsam sind, eine hohe Veränderungsbereitschaft zeigen und schnell und fokussiert sind, es Audi in zehn Jahren natürlich noch geben wird. Nicht zuletzt auch wegen der Audianer und Audianerinnen mit ihrem Wissen und ihren Werten.
Interview: Dorothee Pfaffel