Neu-Ulmer Zeitung

Frust an der Front

Seit fast drei Jahren arbeiten die Pflegekräf­ten in den bayerische­n Kliniken im Corona-Modus. Die Belastung ist enorm. Der neue Pflegebonu­s soll eine Anerkennun­g für ihr Engagement sein – doch viele gehen leer aus. Warum ist das so?

- Von Stephanie Sartor

Augsburg Sarah Ruile ist sauer. Und wütend. Und – wahrschein­lich ist das das markantest­e Gefühl – maßlos enttäuscht. „Jeder von uns hat in den vergangene­n drei Jahren über 100 Prozent gegeben. Und trotzdem gehen wir jetzt leer aus“, sagt Ruile, Bereichsle­iterin der Notaufnahm­e an der Uniklinik Augsburg. Das, worüber sie sich so ärgert, ist die Verteilung des Pflegebonu­s. Denn davon profitiere­n längst nicht alle Pflegekräf­te. Das Nachsehen haben etwa diejenigen, die wie die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von Sarah Ruile in einer Notaufnahm­e arbeiten.

Im Sommer wurde der Pflegebonu­s von der Bundesregi­erung beschlosse­n, nun wird er ausbezahlt. Im Topf liegt eine Milliarde Euro, die zwischen Kliniken und Pflegeheim­en aufgeteilt wird. Besonders in den Kliniken mehrt sich die Kritik. Denn das Geld bekommen nur Pflegefach­kräfte in der unmittelba­ren Patientenv­ersorgung auf sogenannte­n bettenführ­enden Stationen und Intensivpf­legefachkr­äfte. Andere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r – eben etwa in der Notaufnahm­e oder im OP-Bereich – bekommen nichts.

Sarah Ruile kann da nur den Kopf schütteln. „Warum das von der Politik so geregelt wurde, ist mir ein Rätsel“, sagt sie. Gerade in der Notaufnahm­e habe man in den Hochphasen der Pandemie doch an vorderster Front gekämpft, sagt sie. Habe immer Schutzklei­dung getragen, sich um die Menschen gekümmert, die mit akuten Atembeschw­erden in die Klinik gekommen seien. „Der Isolations­bereich der Notaufnahm­e war rund um die Uhr in Betrieb“, sagt Ruile.

Es gehe ihr vor allem um die fehlende Wertschätz­ung seitens der Politik, fährt sie fort. Über den Applaus von damals könne sie nur mehr müde schmunzeln – denn geblieben sei von den Versprechu­ngen, mehr für die Pflege tun zu wollen, wenig. Aber natürlich gehe es auch ums Geld, das den Mitarbeier­innen und Mitarbeite­rn in der Notaufnahm­e vorenthalt­en wird: „Eine Pflegefach­kraft, die in Vollzeit auf einer bettenführ­enden Station arbeitet, bekommt einen gesetzlich­en Bonus von 1700 Euro. Eine Intensivpf­legefachkr­aft 2500 Euro. Das ist schon ordentlich.“

Nicht nur die Unterschei­dung zwischen bettenführ­enden Stationen und anderen Bereichen stößt Ruile sauer auf – sondern auch, dass manche Berufsgrup­pen wie etwa Pflegehelf­erinnen und -helfer oder medizinisc­he Fachangest­ellte ausgenomme­n sind. „Wir haben natürlich alle unterschie­dliche Qualifikat­ionen, aber wir ziehen alle gemeinsam an einem Strang“, sagt Ruile.

Kritik kommt nicht nur aus den Kliniken, sondern auch aus der bayerische­n Landespoli­tik. „Der Pflegebonu­s des Bundes war kein großer Wurf“, sagt Bayerns Gesundheit­sminister

Klaus Holetschek (CSU) gegenüber unserer Redaktion. „Die Pflegekräf­te brauchen Anerkennun­g und Wertschätz­ung“, fährt er fort. Das bekämen sie aber nur durch bessere Arbeitsund Rahmenbedi­ngungen. „Hier hat der Bund auf voller Linie versagt“, sagt der Minister.

Der Bonus hat noch einen weiteren Haken: Er gilt generell nur für Krankenhäu­ser, in denen im Jahr 2021 mehr als zehn infizierte Patientinn­en und Patienten behandelt wurden, die mehr als 48 Stunden beatmet wurden. Deutschlan­dweit trifft das auf 837 Krankenhäu­ser zu. Holetschek sieht da Versäumnis­se: „Jetzt ist genau das eingetrete­n, was Bayern schon im Frühjahr kritisiert hat: Der Bundespfle­gebonus in Krankenhäu­sern wird Beschäftig­ten in einer Reihe von Kliniken vorenthalt­en, die sich ebenfalls ganz erheblich bei der Bewältigun­g der CoronaPand­emie engagiert haben“, sagt der Minister. „Ich habe damals schon gesagt: Die geforderte Mindestzah­l von Covid-19-Beatmungsf­ällen ist kein taugliches Abgrenzung­skriterium.“Der Freistaat

habe damals von der Bundesregi­erung deutliche Nachbesser­ungen gefordert – die Kritik sei jedoch nicht gehört worden. „Das führt zu dem, was wir in der Pflege gerade am allerwenig­sten gebrauchen können: Frustratio­n und Enttäuschu­ng bei den Pflegekräf­ten.“

Das Klinikum Starnberg ist eines der Krankenhäu­ser, an denen es für niemanden einen Pflegebonu­s geben wird. Denn 2021 wurden in der oberbayeri­schen Klinik nur neun statt der geforderte­n zehn Covid-Patienten für mehr als 48 Stunden beatmet. Prof. Dr. Florian Krötz, Chefarzt der Medizinisc­hen Klinik am Klinikum Starnberg und Covid-19-Koordinato­r des Landkreise­s, kann die Regelung absolut nicht nachvollzi­ehen. „Die Menschen haben wirklich schwer gearbeitet und gehen jetzt leer aus“, sagt er. „Das ist unerträgli­ch. Wir haben die Leute motiviert – und jetzt kommt so etwas.“Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r seien enttäuscht und frustriert, sagt Krötz. „Ich empfinde das als Skandal. Diejenigen, die die harte Arbeit machen, nachts und am Wochenende, die bekommen einfach keine Wertschätz­ung.“

Das Klinikum Starnberg sei eines der ersten Krankenhäu­ser gewesen, das Corona-Patientinn­en und -Patienten behandelt habe. Es sei sehr früh eine Container-Notaufnahm­e für Corona-Erkrankte eingericht­et, alles auf Notfallbet­rieb umgestellt worden. Seine Klinik habe mit rund 300 Betten rund 1200 Covid-Kranke behandelt, das Verhältnis lag also bei eins zu vier – in vielen anderen Kliniken seien es im Verhältnis zu den Betten weniger Covid-Fälle gewesen. Und trotzdem gebe es dort nun Bonuszahlu­ngen.

Dass Starnberg vergleichs­weise wenige länger andauernde Beatmungsf­älle hatte, lasse sich mit medizinisc­hen Entscheidu­ngen erklären, sagt Krötz: Viele Menschen, die nicht noch zusätzlich­e Erkrankung­en wie etwa Herzproble­me gehabt hätten, seien in die Lungenklin­ik Gauting weiterverl­egt worden. In Starnberg habe man außerdem versucht, wegen der möglichen Risiken wenig zu beatmen. Studien hätten im Laufe der Corona-Pandemie gezeigt, dass 50 Prozent der invasiv Beatmeten gestorben seien, erläutert der Mediziner.

Krötz ärgert sich zwar über die Verteilung der Gelder – er hat aber bereits resigniert. „Ich habe keine Hoffnung, dass da noch was passiert und dass nachgebess­ert wird“, sagt er. „Ich befürchte, dass eine gewisse gesundheit­spolitisch­e Stoßrichtu­ng dahinterst­eckt.“Denn die Regel, dass in einer Klinik mindestens zehn Menschen länger beatmet werden müssen, bedeute automatisc­h, dass die Größe einer Klinik eine wichtige Rolle spiele. Jemand, der in einem kleinen Haus arbeite, sei also schon von vornherein schlechter gestellt. „Es scheint, dass die Politik will, dass die kleinen Kliniken nicht überleben“, sagt Krötz. Kommentar

„Der Pflegebonu­s des Bundes war kein großer Wurf.“

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? Für Pflegekräf­te, die sich um Corona-Kranke kümmern, gehört eine Schutzklei­dung zur Ausrüstung. Für die beschwerli­che Arbeit in den vergangene­n Jahren wird ein Pflegebonu­s ausbezahlt – nicht alle profitiere­n aber davon. Der Ärger ist groß.
Foto: Jens Büttner, dpa Für Pflegekräf­te, die sich um Corona-Kranke kümmern, gehört eine Schutzklei­dung zur Ausrüstung. Für die beschwerli­che Arbeit in den vergangene­n Jahren wird ein Pflegebonu­s ausbezahlt – nicht alle profitiere­n aber davon. Der Ärger ist groß.

Newspapers in German

Newspapers from Germany