Der Lernprozess geht weiter
Gregg Berhalter hat ein US-Team zusammen, das im Achtelfinale gegen die Niederlande deutlich unbekümmerter aufspielen kann, als beim Zittersieg gegen den Iran. Vor allem für die Heim-WM 2026 ist das Turnier in Katar ein wichtiger Entwicklungsschritt.
Doha Dass Gregg Berhalter vorangeht, wenn es auch mal ungemütlich wird, hat der US-Amerikaner als Spieler bewiesen. Bei Energie Cottbus und 1860 München haben sie ihn für sein kompromissloses Zweikampfverhalten geschätzt. In seiner zweiten Karriere als Trainer der USA sind gerade diplomatischere Eigenschaften gefragt. In einem kinoähnlichen Saal des Stadions Al Thumama von Doha hat der Coach versucht, das Erreichen des Achtelfinals mit dem 1:0-Zittersieg gegen den Iran so einzuordnen, dass die Heimat den Stolz heraushört, ohne den Gegner zu beleidigen. Während US-Präsident Joe Biden eine Rede im fernen Michigan unterbrach, um voller Pathos mitzujubeln, beließ es Berhalter bei der simplen Botschaft: „We deserved to be here.“Wir haben es verdient, hier zu sein.
„Wir haben eine Menge Energie gesehen, aber auch guten Fußball“, betonte der 49-Jährige. „Das alles mit einem der jüngsten Teams der Geschichte, und wir haben den amerikanischen Spirit gesehen.“Die Gewinnermentalität ist im Basketball, Eishockey oder American Football fest verankert, aber im Fußball standen dafür bislang meist nur die Frauen. Deshalb sind Megan Rapinoe oder Alex Morgan mit zwei gewonnenen Weltmeisterschaften hintereinander auch so populär. Nun können die Männer mächtig aufholen: Die mit Kanada und Mexiko veranstaltete Mammut-WM 2026 soll einen Turbo zünden für den gesamten FußballBetrieb in Nordamerika.
Ein Straucheln in der Vorrunde in Katar hätte nicht gepasst, zumal die Vereinigten Staaten von Amerika ein hoffnungsvolles Ensemble in die Wüste geschickt haben: Selbst Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz verortete die Offensive der
US-Boys auf einer Qualitätsstufe mit den Engländern, zumindest was deren Tempo angeht. „Das sind alles Ferraris – um die aufzuhalten, musst du die Straßen schließen.“Eine Halbzeit lang gelang das seiner Mannschaft gar nicht, in der Christian Pulisic das Siegtor glückte (38.). Eingeleitet hatte den Spielzug mit Weston
McKennie ein weiterer ehemaliger Bundesligaspieler.
Dass aber sowohl der Ex-Schalker als auch der Ex-Dortmunder raus mussten, sorgte zunächst für besorgte Gesichter. Doch am Tag danach kam Entwarnung: Der vorsorglich ins Krankenhaus gebrachte Pulisic hat nur eine Beckenprellung erlitten. Schmerzhaft gewiss, aber kein Grund, das Achtelfinale gegen die Niederlande (Samstag, 18 Uhr) zu verpassen. „Ich bin so unfassbar stolz auf die Jungs. Und keine Sorge – am Samstag bin ich wieder bereit“, teilte der Profi vom FC Chelsea auf Instagram mit. Seine Mitspieler hatten sich per Videocall bereits im Hospital beim 24-Jährigen gemeldet. Später wurde im Hotel gemeinsam gefeiert. „Wir sind dankbar, dass er das riskiert hat. Wir lieben ihn“, versicherte Timothy Weah, der ein besonders prominentes Mitglied der Rasselbande ist. Als Spross des liberianischen Fußball-Idols und
Staatspräsidenten George Weah wurde ihm auffällig viel Talent in die Wiege gelegt. Wie so manch anderer wirkt der bei OSC Lille in Frankreich spielende 22-Jährige so, als müsse er fürs Topniveau noch reifen. Daher komme das K.o.-Duell gegen Holland wie gerufen, sagte Berhalter. „Es ist eine große Möglichkeit, um Erfahrungen zu sammeln.“Seine teils herrlich unverbraucht wirkenden Jungs sollen in diesem Spiel einfach lernen und lächeln.
Bislang sind die 2018 in Russland nicht mal qualifizierten USAmerikaner nur einmal bei einer WM bis ins Viertelfinale gekommen. Vor 20 Jahren, als Gregg Berhalter noch mitkickte. Er war übrigens derjenige, der damals im Viertelfinale gegen Deutschland (0:1) im südkoreanischen Ulsan in jene strittige Szene verwickelt war, als der Ball an den abgespreizten Arm des auf der Linie rettenden Torsten Frings sprang.