Neu-Ulmer Zeitung

„Und jetzt bitte in den Becher …“

Für Profisport­ler gehören Dopingkont­rollen zum Alltag. Für Amateurspo­rtler nicht. Doch es gibt Ausnahmen. Der Zufall wählte unseren Autor aus. Ein unfreiwill­iger Selbstvers­uch.

- Von Andreas Kornes

Augsburg Die eine Hälfte des Urins aus dem Becherchen muss in das Gefäß mit dem blauen Deckel, die andere in das mit dem roten Deckel, sagt der freundlich­e Herr mit Brille. A- und B-Probe nennt das der Fachmann. Zuvor müssen Zahlenkolo­nnen auf den Gefäßen überprüft und verglichen werden, die Deckel müssen beim Verschließ­en knacken, und und und. Alles will hier seine Richtigkei­t haben. Ein mehrseitig­es Protokoll dokumentie­rt jeden Schritt des Prozedere. Für Profisport­ler sind Dopingkont­rollen wie diese Alltag. Für Amateure nicht. Trotzdem kann es sie erwischen.

Es gibt Bereiche der Sportberic­hterstattu­ng, über die man kaum aus eigener Erfahrung schreibt. Zum Beispiel sind die wenigsten von einer Skisprungs­chanze gesprungen. Das ändert natürlich nichts daran, dass man sich Fachwissen aneignen kann. Trotzdem bietet das Selbsterle­bnis einen unbestreit­baren Mehrwert. Um aber im Beispiel zu bleiben: Beim Skispringe­n dürfte das Selbsterle­ben erhebliche gesundheit­liche Folgen haben und ist deshalb nicht zu empfehlen. Weitaus ungefährli­cher ist eine Dopingkont­rolle.

Rostock, Ende November. Dort fanden in diesem Jahr die deutschen Schwimm-Meistersch­aften der Masters statt. Ab dem Alter von 20 Jahren können Sportler dort teilnehmen und um Titel in den verschiede­nen Altersklas­sen schwimmen. Es ist ein Wettkampf, in dem Spitzenspo­rt auf Breitenspo­rt trifft. Nicht jeder Körper, der dort in einen der engen Wettkampfa­nzüge oder -hosen gequetscht wird, ist dafür auch geeignet. Trotzdem tauchen auch dort hin und wieder Dopingkont­rolleure auf. So auch in diesem Jahr. Der Zufall wählt unter den Altersklas­sensiegern aus. Und diesmal wählt er mich.

Unmittelba­r nach dem Zielanschl­ag wird mein Name ausgerufen. „Bitte mit Ausweis zum Sprecher kommen.“Dort wartet ein schlanker Mann, Mitte 50, blaues Polohemd, und füllt das erste Formular des Tages aus. Er ist ein Chaperon und müsse mich ab jetzt so lange begleiten, bis ich eine Urinprobe abgegeben habe. Um seinen Hals baumelt die Akkreditie­rung der Nada. Er mache Triathlon, erzählt der Chaperon beiläufig. Will sagen: Weglaufen zwecklos.

Ausschwimm­en, Abtrocknen, Umziehen, Siegerehru­ng – alles wird aus der Halbdistan­z beobachtet. So soll verhindert werden, dass der Sportler oder die Sportlerin noch schnell eine saubere Urinprobe am Körper befestigen und zur

Abgabe schmuggeln kann. Ich trinke stattdesse­n noch schnell einen halben Liter Wasser, dann stehen wir beide im sogenannte­n Dopingkont­rolllokal, wo mich der eingangs erwähnte freundlich­e Herr mit Brille in Empfang nimmt. Er arbeitet für die Firma PWC. Das ist einer von drei externen Dienstleis­tern, die für die Nada die Kontrollen durchführe­n.

Es folgen Erklärunge­n und Unterschri­ft. Noch mehr Erklärunge­n, noch eine Unterschri­ft, dann wird es ernst. Durch eine Türe geht es direkt in die Toilette, die genau jenen Charme versprüht, den man von einem Gebäude aus DDR-Zeiten erwartet. Der nette Herr gibt Anweisunge­n. Der Ort des Geschehens ist großflächi­g freizulege­n. Heißt: Die Hose muss bis zu den Knien nach unten, das T-Shirt bis zum Bauchnabel nach oben. Grund: In der Vergangenh­eit wurden immer wieder Versuche unternomme­n, mithilfe täuschend echter Attrappen sauberen Urin in den Becher zu füllen.

Also stehe ich mit blankem Allerwerte­sten in einem Rostocker Schwimmbad und piesel unter Aufsicht in einen Becher. Es gibt erhebender­e Momente im Leben. Der nette Herr mit der Brille steht dezent an der Seite und gibt das Ziel aus: 130 Milliliter.

Auf Nachfrage teilt die Nationale Antidoping­agentur (Nada) mit, dass ein kleiner Teil der rund 12.000 Dopingkont­rollen pro Jahr im Mastersber­eich durchgefüh­rt werde. Dazu gehörten unter anderem Gewichtheb­en, Kraftdreik­ampf, Leichtathl­etik, Motorsport, Schwimmen, Radsport, Ringen, Rudern und Taekwondo.

Dabei nimmt der Radsport eine Sonderstel­lung ein. Da die regulären Kontrollen hier „vermehrte und gravierend­e Dopingfäll­e“zutage gefördert hätten, wurden dort auch Masterspor­tler- und Sportlerin­nen „in den sogenannte­n Registered Testingpoo­l und den Nationalen Testpool aufgenomme­n“. Das bedeutet, dass die ausgewählt­en Amateur-Sportler wie Profis behandelt werden und zum Beispiel jederzeit für die Kontrolleu­re auffindbar sein müssen. In anderen Sportarten würden im Bereich des Masterspor­ts nur Wettkampfk­ontrollen durchgefüh­rt, teilt die Nada weiter mit. Wie oft die Kontrolleu­re im Amateurber­eich fündig werden, sagt die Nada nicht. Der Masterspor­t werde nicht separat in einer Statistik erfasst.

Noch ist nicht bekannt, in welcher Rubrik ich auftauchen werde. Idealerwei­se nicht als Dopingsünd­er. Oder war vielleicht doch was Verbotenes im Nasenspray? Am besten sei, so sagt man mir, wenn man nichts mehr von der Nada hört. Bis jetzt hat niemand angerufen.

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Dopingkont­rolleure gehören im Profisport zum Alltag, sind im Amateurber­eich aber eher selten anzutreffe­n.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Dopingkont­rolleure gehören im Profisport zum Alltag, sind im Amateurber­eich aber eher selten anzutreffe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany