„Und jetzt bitte in den Becher …“
Für Profisportler gehören Dopingkontrollen zum Alltag. Für Amateursportler nicht. Doch es gibt Ausnahmen. Der Zufall wählte unseren Autor aus. Ein unfreiwilliger Selbstversuch.
Augsburg Die eine Hälfte des Urins aus dem Becherchen muss in das Gefäß mit dem blauen Deckel, die andere in das mit dem roten Deckel, sagt der freundliche Herr mit Brille. A- und B-Probe nennt das der Fachmann. Zuvor müssen Zahlenkolonnen auf den Gefäßen überprüft und verglichen werden, die Deckel müssen beim Verschließen knacken, und und und. Alles will hier seine Richtigkeit haben. Ein mehrseitiges Protokoll dokumentiert jeden Schritt des Prozedere. Für Profisportler sind Dopingkontrollen wie diese Alltag. Für Amateure nicht. Trotzdem kann es sie erwischen.
Es gibt Bereiche der Sportberichterstattung, über die man kaum aus eigener Erfahrung schreibt. Zum Beispiel sind die wenigsten von einer Skisprungschanze gesprungen. Das ändert natürlich nichts daran, dass man sich Fachwissen aneignen kann. Trotzdem bietet das Selbsterlebnis einen unbestreitbaren Mehrwert. Um aber im Beispiel zu bleiben: Beim Skispringen dürfte das Selbsterleben erhebliche gesundheitliche Folgen haben und ist deshalb nicht zu empfehlen. Weitaus ungefährlicher ist eine Dopingkontrolle.
Rostock, Ende November. Dort fanden in diesem Jahr die deutschen Schwimm-Meisterschaften der Masters statt. Ab dem Alter von 20 Jahren können Sportler dort teilnehmen und um Titel in den verschiedenen Altersklassen schwimmen. Es ist ein Wettkampf, in dem Spitzensport auf Breitensport trifft. Nicht jeder Körper, der dort in einen der engen Wettkampfanzüge oder -hosen gequetscht wird, ist dafür auch geeignet. Trotzdem tauchen auch dort hin und wieder Dopingkontrolleure auf. So auch in diesem Jahr. Der Zufall wählt unter den Altersklassensiegern aus. Und diesmal wählt er mich.
Unmittelbar nach dem Zielanschlag wird mein Name ausgerufen. „Bitte mit Ausweis zum Sprecher kommen.“Dort wartet ein schlanker Mann, Mitte 50, blaues Polohemd, und füllt das erste Formular des Tages aus. Er ist ein Chaperon und müsse mich ab jetzt so lange begleiten, bis ich eine Urinprobe abgegeben habe. Um seinen Hals baumelt die Akkreditierung der Nada. Er mache Triathlon, erzählt der Chaperon beiläufig. Will sagen: Weglaufen zwecklos.
Ausschwimmen, Abtrocknen, Umziehen, Siegerehrung – alles wird aus der Halbdistanz beobachtet. So soll verhindert werden, dass der Sportler oder die Sportlerin noch schnell eine saubere Urinprobe am Körper befestigen und zur
Abgabe schmuggeln kann. Ich trinke stattdessen noch schnell einen halben Liter Wasser, dann stehen wir beide im sogenannten Dopingkontrolllokal, wo mich der eingangs erwähnte freundliche Herr mit Brille in Empfang nimmt. Er arbeitet für die Firma PWC. Das ist einer von drei externen Dienstleistern, die für die Nada die Kontrollen durchführen.
Es folgen Erklärungen und Unterschrift. Noch mehr Erklärungen, noch eine Unterschrift, dann wird es ernst. Durch eine Türe geht es direkt in die Toilette, die genau jenen Charme versprüht, den man von einem Gebäude aus DDR-Zeiten erwartet. Der nette Herr gibt Anweisungen. Der Ort des Geschehens ist großflächig freizulegen. Heißt: Die Hose muss bis zu den Knien nach unten, das T-Shirt bis zum Bauchnabel nach oben. Grund: In der Vergangenheit wurden immer wieder Versuche unternommen, mithilfe täuschend echter Attrappen sauberen Urin in den Becher zu füllen.
Also stehe ich mit blankem Allerwertesten in einem Rostocker Schwimmbad und piesel unter Aufsicht in einen Becher. Es gibt erhebendere Momente im Leben. Der nette Herr mit der Brille steht dezent an der Seite und gibt das Ziel aus: 130 Milliliter.
Auf Nachfrage teilt die Nationale Antidopingagentur (Nada) mit, dass ein kleiner Teil der rund 12.000 Dopingkontrollen pro Jahr im Mastersbereich durchgeführt werde. Dazu gehörten unter anderem Gewichtheben, Kraftdreikampf, Leichtathletik, Motorsport, Schwimmen, Radsport, Ringen, Rudern und Taekwondo.
Dabei nimmt der Radsport eine Sonderstellung ein. Da die regulären Kontrollen hier „vermehrte und gravierende Dopingfälle“zutage gefördert hätten, wurden dort auch Mastersportler- und Sportlerinnen „in den sogenannten Registered Testingpool und den Nationalen Testpool aufgenommen“. Das bedeutet, dass die ausgewählten Amateur-Sportler wie Profis behandelt werden und zum Beispiel jederzeit für die Kontrolleure auffindbar sein müssen. In anderen Sportarten würden im Bereich des Mastersports nur Wettkampfkontrollen durchgeführt, teilt die Nada weiter mit. Wie oft die Kontrolleure im Amateurbereich fündig werden, sagt die Nada nicht. Der Mastersport werde nicht separat in einer Statistik erfasst.
Noch ist nicht bekannt, in welcher Rubrik ich auftauchen werde. Idealerweise nicht als Dopingsünder. Oder war vielleicht doch was Verbotenes im Nasenspray? Am besten sei, so sagt man mir, wenn man nichts mehr von der Nada hört. Bis jetzt hat niemand angerufen.