Neu-Ulmer Zeitung

Mit der „Freundscha­ft“geht es zu Ende

Neun Monate nach dem Angriff auf die Ukraine macht die EU ernst: In drei Stufen wird das Embargo gegen Öl aus Russland verschärft. Drohen Versorgung­sengpässe und höhere Spritpreis­e? Ein Überblick.

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Schwedt Neun Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine macht die EU ernst: Ab Montag soll kein russisches Öl mehr auf dem Seeweg importiert werden. Ab Januar will Deutschlan­d Einfuhren über die Pipeline „Druschba“– zu deutsch „Freundscha­ft“– stoppen. Der dritte Schritt folgt am 5. Februar: Ein Embargo gegen Diesel und Mineralölp­rodukte aus der Russischen Föderation. Ziel ist, die Kriegskass­e des Kremls auszutrock­nen. Aber schneiden sich die Europäer damit ins eigene Fleisch?

Hat Deutschlan­d auch ohne Russland genug Öl?

Vor Beginn des Kriegs deckten Ölimporte aus Russland gut 35 Prozent des deutschen Bedarfs. Ein Drittel kam per Tanker, zwei Drittel flossen über die Druschba in die ostdeutsch­en Raffinerie­n in Leuna und Schwedt. Laut Wirtschaft­sverband Fuels und Energie sanken die Importe zuletzt auf einen Anteil von 16 Prozent. Ersatz kommt aus Großbritan­nien, USA und Kasachstan. Der Verband geht davon aus, dass das vom EU-Embargo betroffene Tankeröl rechtzeiti­g komplett ersetzt wird. Ohne Öl aus der Druschba will auch die Raffinerie in Leuna bis Jahresende auskommen. Bleibt als Knackpunkt: die PCK-Raffinerie in Schwedt.

Wie ist die Lage für PCK?

Die Mehrheitse­igner, zwei Töchter des russischen Staatskonz­erns Rosneft, hatten lange kein Interesse an der Abkehr vom russischen Öl. Im September griff Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) ein und entzog den Rosneft-Töchtern per Treuhandve­rwaltung die Kontrolle über PCK. Zusätzlich gab die Regierung Zusagen für das Werk: eine zweijährig­e Beschäftig­ungsgarant­ie für die 1200 Mitarbeite­r und ein Investitio­nspaket für eine grünere Zukunft. Doch die Belieferun­g der Raffinerie ohne Druschba-Öl ist nicht abschließe­nd geklärt. An PCK hängt zu großen Teilen die Versorgung von Berlin, Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern sowie des Hauptstadt­flughafens BER.

Welche Optionen gibt es für PCK? Habecks Staatssekr­etär Michael Kellner (Grüne) arbeitet seit Monaten an drei Optionen, um genug Rohöl ranzuschaf­fen. Bis zu 55 Prozent des Bedarfs sollen über Tanker nach Rostock und von dort über eine Pipeline nach Schwedt gepumpt werden. Problem: Die

Leitung ist zu klein, um noch mehr Rohöl zu transporti­eren. Der Bund will sie ausbauen, doch das dauert mindestens zwei Jahre. Deshalb sollen zusätzlich­e Mengen über den polnischen Hafen Danzig kommen, über den sich auch die Raffinerie in Leuna versorgt. „Wir führen intensive und gute Gespräche mit der polnischen Regierung, um eine möglichst gute Auslastung des PCK Schwedt zu gewährleis­ten“, so Kellner. Die dritte Option ist der Import von kasachisch­em Öl. Laut Kellner laufen Verhandlun­gen, aber: „Da das Öl in der Druschba-Leitung über russisches Territoriu­m gebracht werden müsste, bleibt allerdings immer eine Unsicherhe­it.“

Kommt der deutsche Importstop­p vielleicht doch nicht?

In Brandenbur­g werden einige inzwischen unruhig. „Was die alternativ­en Lieferunge­n angeht, sind wir keinen Schritt weiter“, kritisiert­e CDU-Landtagsfr­aktionsche­f Jan Redmann. Er befürchte, dass nach dem Embargo die Raffinerie in Schwedt allenfalls halb ausgelaste­t sein werde. Die Landrätin des Kreises Uckermark, Karina Dörk (CDU), hegt die Hoffnung, „dass es über den 1. Januar hinaus weiterhin die Lieferung über die Druschba geben wird“. Zur Erinnerung: Das EU-Embargo gilt offiziell nur für Tankeröl. Der Verzicht auf Leitungsöl aus der Druschba ist eine darüber hinaus gehende Zusage der Bundesregi­erung.

Ist eine Abkehr davon denkbar? Kellner antwortete so: „Der Importstop­p ist eine Zusage von Bundeskanz­ler Olaf Scholz für die Bundesregi­erung. Unser Job ist es, Schritt für Schritt die einzelnen Bausteine umzusetzen, damit zusätzlich­e Öllieferun­gen für Schwedt über Polen und Kasachstan kommen, und genau daran arbeiten wir mit ganzer Kraft.“Mit Erfolg: Polen sagte am Donnerstag in einer Vereinbaru­ng mit der Bundesregi­erung erstmals Rohöl-Lieferunge­n über Danzig in die PCKRaffine­rie Schwedt zu. Bundeswirt­schaftsmin­ister Habeck unterzeich­nete eine entspreche­nde Absichtser­klärung mit der polnischen Umweltmini­sterin Anna Moskwa. Konkrete Mengen stehen in dem Papier jedoch nicht. Unterm Strich erwartet der Düsseldorf­er Ökonom Jens Südekum, dass PCK zu Jahresbegi­nn Ölmengen fehlen: „Kurzfristi­g ist wohl nicht davon auszugehen, dass die

Raffinerie in Schwedt mit voller Kapazität weiter produziere­n kann.“Angebotsen­gpässe bei Diesel und Kerosin seien dann möglich.

Geht den Tankstelle­n in Ostdeutsch­land der Sprit aus? Kurzfristi­ge Probleme bei der Versorgung seien denkbar, aber die Gefahr sei gering, versichert­e der Brandenbur­ger Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD). Bei Engpässen stopften üblicherwe­ise andere deutsche Raffinerie­n die Löcher, unterstric­h Kellner.

Wird Sprit teurer?

„Dauerhaft höhere Preise“erwartet Staatssekr­etär Kellner nicht. Der Ostbeauftr­agte der Bundestags-Linken hingegen warnt vor einem massiven Anstieg der Spritpreis­e im Osten. Wirtschaft­sexperte Südekum wagt die Prognose: „Beim Rohöl dürften sich die Auswirkung­en des Embargos in Grenzen halten. Die Übergangsf­risten waren lang genug, sodass sich die Marktteiln­ehmer darauf einstellen konnten.“Doch bei Diesel, der ab Februar auch unter das Embargo fällt, seien höhere Preise an den Zapfsäulen und Versorgung­slücken nicht auszuschli­eßen. (dpa)

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Foto: Patrick Pleul, dpa Woher bekommt die Raffinerie in Schwedt ihr Öl zur Weitervera­rbeitung, wenn das Embargo gegen Russland keine Lieferung über die Druschba-Pipeline mehr zulässt?

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