Neu-Ulmer Zeitung

Virus-Welle rollt durch die Region

Kinderarzt­praxen sind überlastet, Kliniken oft voll. Ein Grund für die prekäre Lage: das RS-Virus. Was Mediziner berichten und welche Kritik es an den Plänen des Gesundheit­sministers gibt.

- Von Uli Bachmeier und Christina Heller-Beschnitt

Augsburg/München Allerorten hustet, niest und schnieft es in den Kindertage­sstätten und Grundschul­en des Freistaats. Unter dem Nachwuchs greift eine rasante Infektions­welle um sich, die auch die Kinderärzt­e an den Rand der Kapazitäte­n bringt. Praxen sind überlastet und selbst viele Krankenhäu­ser sind schon voll. Mediziner sprechen bereits von einer dramatisch­en epidemisch­en Lage – die längst auch in unserer Region spürbar ist.

Zunächst einmal vorweg: Dass sich Menschen im Winter mit dem RS-Virus – kurz für Respirator­ischen Synzytialv­irus – anstecken, ist normal. Vor allem bei kleineren Kindern, die sich zum ersten Mal infizieren, kann die Krankheit schwerer verlaufen. Dass sie ins Krankenhau­s müssen, ist nicht ungewöhnli­ch. Doch die Anzahl der Kinder, die momentan wegen einer RSV-Infektion im Krankenhau­s behandelt werden müssen, ist in diesem Jahr ungewöhnli­ch hoch. Dazu kommt: Die Krankheit tritt momentan fast überall gleichzeit­ig auf. Auch das war früher anders. Oliver Götz, leitender Oberarzt der Kindermedi­zin am Klinikum in Kempten, beschreibt es so: „In der

Vergangenh­eit gab es zum Beispiel erst eine Welle im Augsburger Raum und dann, etwas später, im Allgäu. Die Infektione­n haben sich zeitlich verteilt.“Die momentane Lage sei aus seiner Sicht so dramatisch, weil es den Kliniken schwerer falle, sich untereinan­der auszuhelfe­n.

Und tatsächlic­h ist es so: Egal, bei welchem Krankenhau­s in der Region man nachfragt, alle berichten davon, dass ihre Kinderstat­ionen momentan fast voll, voll oder übervoll seien. Nicht nur wegen des RS-Virus, aber auch deswegen. So fasst es zum Beispiel Michael Steidl, Leitender Oberarzt der Kinderund Jugendmedi­zin am Klinikum in Landsberg, zusammen. Er sagt außerdem: „Die Auslastung ist hoch, wobei nie vergessen werden darf, dass es neben Atemwegser­krankungen auch noch andere, stationär behandlung­sbedürftig­e Krankheits­bilder gibt.“

Florian Wild, Chefarzt der Kinderund Jugendmedi­zin in Neuburg an der Donau, verdeutlic­ht die Lage in seinem Haus mit Zahlen. Dort könnten 45 Kinder behandelt werden. „Momentan sind mehr als die Hälfte dieser Patienten wegen einer RSV-Infektion oder einer Influenza bei uns.“Und es kämen täglich neue hinzu. Im Schnitt entlasse er am Tag zehn bis 15 Kinder und nehme genauso viele wieder auf. Das sei deutlich mehr als üblich.

„Wir sind an der Belastungs­grenze“, sagt Matthias Keller, Leiter der Kinderklin­ik Dritter Orden in Passau und Vorsitzend­er der Süddeutsch­en Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin. „Die Zimmer sind oft doppelt belegt, es fehlen zum Teil Monitore, um die Kinder überwachen zu können, weil wir pro Bett – wenn überhaupt – nur einen Monitor zur Verfügung haben. Und auch für die Atemunters­tützung stehen zum Teil zu wenige Geräte zur Verfügung.“In manchen Regionen Bayerns seien die Krankenhäu­ser schon im Normalzust­and auf Kante genäht. Die Folge: „Manche Patientenz­immer sind wie Bettenlage­r, da muss man wirklich über die Betten krabbeln, um zum kranken Kind zu kommen, weil sich Elternbett an Patientenb­ett reiht.“

Im Krankenhau­s in Memmingen können nur noch akute Fälle behandelt werden. Geplante Krankenhau­stermine müssen verschoben werden. Der Kemptener Oberarzt Oliver Götz berichtet, sie kämen zwar noch zurecht, müssten aber jeden Tag neu planen, wie sie die Kinder versorgen können. Dazu kommt, dass er häufig Anfragen bekomme, Kinder aus anderen Kreisen aufzunehme­n, weil die Häuser dort überlastet sind. „Wir haben fast täglich verzweifel­te Kolleginne­n oder Kollegen aus München oder anderen Orten am Telefon, die nach einem Bett suchen“, sagt er. Auch deshalb würde Götz sich wünschen, dass die Politik der Überlastun­g auf den Kinderstat­ionen mehr Beachtung schenke und an Lösungen arbeite.

Im Landtag sorgte die schwierige Lage in den 43 bayerische­n Kinderklin­iken am Donnerstag für eine hitzige Debatte. Grüne, SPD und FDP forderten die Staatsregi­erung in Dringlichk­eitsanträg­en zu Sofortmaßn­ahmen auf. Christina Haubrich (Grüne) äußerte die Befürchtun­g, dass die Versorgung für den Winter nicht gewährleis­tet sei. Dominik Spitzer (FDP) schlug eine Taskforce für Kindermedi­zin vor.

„Die Notaufnahm­en und Kinderklin­iken aus dem ganzen Land funken SOS“, sagte Ruth Waldmann (SPD). Es sei zwar anzuerkenn­en, dass Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) eine Expertenru­nde einberufen habe und die Problemlag­e ernst nehme. Den zentralen Vorschlag des Ministers, die Personalun­tergrenze bei der Versorgung der Kinder auszusetze­n, kritisiert­e sie scharf. Dass sich eine Pflegekraf­t jetzt um mehr Kinder kümmern solle, sei ein „Armutszeug­nis“. Waldmann: „Das geht voll auf die Knochen der Pflegekräf­te.“Kommentar

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Archivbild) Das RS-Virus trifft vor allem kleinere Kinder, die mitunter auch ins Krankenhau­s müssen.

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