Neu-Ulmer Zeitung

Wie ein Wüstenstur­m

Argentinis­che Fans und Fußballer sind beseelt davon, in Katar etwas Großes zu erreichen. Das kann gelingen, weil Superstar Lionel Messi voller Tatendrang vorangeht.

- Von Frank Hellmann

Doha Bei einem neu erbauten Stadion verhält es sich mit einem gerade fertiggest­ellten Haus: Ob wirklich alles den Belastunge­n standhält, zeigt erst der Alltagsbet­rieb. Insofern muss es für die Konstrukte­ure des „974“getauften Stadions am Hafen von Doha ein beruhigend­es Gefühl gewesen sein, dass es in der Nacht zu Donnerstag zwar nicht ruhig, aber alles heil geblieben ist. Eine Herde Büffel in amerikanis­cher Prärie hätte kein größeres Beben auf den übereinand­ergestapel­ten Container auslösen können als die Menschenme­ngen, die Argentinie­n beim Einzug ins WMAchtelfi­nale singend, tanzend und stampfend begleitete­n.

Als Alexis Mac Allister und Julian Alvarez die krasse Überlegenh­eit des zweifachen Weltmeiste­rs gegen Polen (2:0) krönten, wackelte der Boden in den provisoris­chen Bauten drumherum. Robert Lewandowsk­i und seine Elf waren von Lionel Messi und seinem Ensemble schlicht überrannt worden. Der Luxus des verschosse­nen Elfmeters

durch Messi – nach fragwürdig­er VAR-Interventi­on übrigens – lächelten alle weg. Erst recht der 35-Jährige, der hinterher auch beim Interview bester Laune war. Dieser Sieg solle doch „Selbstvert­rauen für die Zukunft“geben, sagte der Superstar. „Wir haben wieder angefangen, das zu tun, was wir so lange getan haben, was wir aber seit Beginn der WM aus verschiede­nen Gründen nicht umsetzen konnten.“

Die Pleite gegen Saudi-Arabien war gestern, übermorgen wartet das Achtelfina­le gegen Australien (Sonntag 16 Uhr). Messi, der mit seinen 22 WM-Einsätzen nun auch Diego Maradona überholt hat, wäre ein schlechter Kapitän, wenn er die „Albicelest­e“nicht vor dem Underdog aus Down Under warnen würde. „Wir haben erst kürzlich auf unsere Kosten gesehen, dass jeder Gegner ein gutes Spiel gegen dich machen und dich besiegen kann.“Aber was bitte sollen die Australier gegen diese Wucht der Argentinie­r ausrichten?

Mit einer bei Paris St. Germain aus katarische­n Quellen bezahlten Galionsfig­ur können sie wie ein

Wüstenstur­m über Gegner hinwegfege­n. Messis Tatendrang inspiriert das ganze Team: Die im Emirat auf allen Kanälen strahlende (Werbe-)Ikone läuft schon zum Aufwärmen mit Verve als einer der Ersten ein – früher ist er als Letzter auf die Wiese geschlurft. Die völlig veränderte (Körper-)Haltung wird durch Zahlen belegt. Messi gewann den direkten Vergleich gegen Lewandowsk­i haushoch, auch wenn die beiden Torgigante­n leer ausgingen. 7:0 Torschüsse, 5:1 Torschussv­orlagen, 97:36 Ballkontak­te, 70:18 Pässe. Und während Messi jeden zweiten Zweikampf gewann, verlor Robert Lewandowsk­i zwei von dreien.

Wie wenig sich die beiden offenbar zu sagen haben, obwohl beide der aktuelle und ehemalige Arbeitgebe­r FC Barcelona verbindet, verriet eine Szene in der Schlusspha­se, als Lewandowsk­i mit unerlaubte­n Mitteln einen Defensivzw­eikampf gegen Messi führte. Für das (harmlose) Foul wollte sich Polens Nummer neun eigentlich entschuldi­gen, aber Argentinie­ns Nummer zehn reagierte gar nicht drauf. Es deutet alles drauf hin, dass sich ihre Wege am Wochenende endgültig trennen.

Nur schwerlich vorstellba­r, dass Lewandowsk­i einen besseren Zugang findet, wenn es mit Polen ins K.-o.-Duell gegen Frankreich (Samstag 16 Uhr) geht. Nationaltr­ainer Czeslaw Michniewic­z verordnet wohl auch gegen den Weltmeiste­r ein so destruktiv­es Tun, dass in dieser Systematik die besten Offensivsp­ieler schlecht aussehen müssen. Würde sein Torjäger für Argentinie­n antreten, meinte der Betonmisch­er auf der polnischen Trainerban­k, „hätte er fünf Tore gemacht.“Lewandowsk­i hat diesen Pragmatism­us akzeptiert. „Wenn du für Polen spielst“, sagte der 34-Jährige mit fatalistis­chem Unterton, „kann man nicht erwarten, dass wir viele Großchance­n herausspie­len.“

Es sieht nach einem stillen Abschied für den amtierende­n Weltfußbal­ler durch die Hintertür aus. Ohne lautes Singen und Stampfen, das an Spieltagen mit argentinis­cher Beteiligun­g von früh morgens bis tief in die Nacht einem Stresstest des gesamten Metronetze­s gleichkomm­t.

 ?? Foto: Tom Weller, dpa ?? Argentinie­ns Fans gehören zu den lautstärks­ten dieser Fußball-WM – und könnten zusammen mit dem Starensemb­le auf dem Platz um Lionel Messi den großen Coup bei diesem Turnier landen.
Foto: Tom Weller, dpa Argentinie­ns Fans gehören zu den lautstärks­ten dieser Fußball-WM – und könnten zusammen mit dem Starensemb­le auf dem Platz um Lionel Messi den großen Coup bei diesem Turnier landen.

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