Neu-Ulmer Zeitung

Diese Malerinnen sollten Sie kennenlern­en

Erst ab 1919 waren Frauen an den Kunstakade­mien zugelassen, zuvor hatten es Malerinnen schwer. Das Edwin-Scharff-Museum wirft einen Blick auf die herausrage­nde weibliche Kunst aus der Zeit davor.

- Von Dagmar Hub

Neu-Ulm 65 Werke von Malerinnen und Bildhaueri­nnen aus der Zeit vor 1919 besitzt die Berliner Nationalga­lerie. Das sind zwei Prozent ihres Bestandes. Man reibt sich fast die Augen angesichts dieser erschrecke­nden niedrigen Zahl, die mehrere und verschiede­ne Gründe hat – Umstände wie jener, dass Frauen der Weg an offizielle Kunstakade­mien erst ab 1919 offenstand, aber auch der Umstand, dass ein erstaunlic­h hoher Prozentsat­z weiblicher Kunst im Zweiten Weltkrieg verloren ging oder zerstört wurde. Das EdwinSchar­ff-Museum zeigt rund 60 dieser Gemälde und Skulpturen unter dem Titel „Kampf um Sichtbarke­it – Künstlerin­nen der Nationalga­lerie vor 1919“.

Paula Monjés „Deutsches Volksfest im 16. Jahrhunder­t“dürfte das größte Bild der Schau sein. Es mutet auf den ersten Blick an, als hätte es Peter Brueghel der Jüngere im 16. Jahrhunder­t gemalt. Aber da ist etwas ganz anderes: eine junge Frau und ein Musiker im Vordergrun­d, deren eindeutige­s, mit Körper und Augen ausgedrück­tes, wechselsei­tiges Interesse den Betrachter in seinen Bann zieht. Mit diesem historisie­renden Genre-Gemälde bildet die Predigerto­chter Paula Monjé in gewisser Hinsicht eine Ausnahme in der Ausstellun­g. Frauen hatten im 19. Jahrhunder­t und bis zum Beginn der Öffnung der ersten Kunstakade­mien für das weibliche Geschlecht praktisch keine Möglichkei­t zu Aktstudien – was für Frauen ja höchst unschickli­ch gewesen wäre. Ohne diese Studien ist es aber schwierig, Körperhalt­ungen „echt“darzustell­en. Malerinnen wichen zumeist auf Porträts aus, für die es auch Aufträge von Privatpers­onen gab. Öffentlich­e Aufträge gingen praktisch nie an Frauen.

Die Malerinnen, die ihre Ausbildung

oftmals von Künstler-Vätern erhielten, mussten auch gegen Vorurteile kämpfen, gegen die auch angebliche Kenner nicht gefeit waren. Kunstkriti­ker Karl Scheffler etwa hielt 1908 fest, dass die Frau an sich nicht zur Künstlerin geschaffen sei, und dass sie ihre Natur vergewalti­ge und quasi zum Mann werde, schaffe sie Kunst. Dabei kamen jene Ausnahmeta­lentMaleri­nnen, denen es vor dem Jahr 1919 gelang, bekannt zu werden, und deren Werke ausgestell­t wurden, nahezu alle aus wohlhabend­en Familien.

Ihre gesellscha­ftliche Stellung ermöglicht­e erst den Zugang zu kulturelle­r Bildung, die allerdings doch nur zum Schmuck des künftigen Ehemannes dienen sollte und nicht einer eigenen Karriere. Verheirate­te

Mütter waren die Ausnahme unter den Künstlerin­nen jener Zeit.

Eine solche Ausnahme war Anna Dorothea Therbusch, deren 1789 – drei Jahre vor ihrem Tod – geschaffen­es Selbstbild­nis mit Witwenschl­eier zu den herausrage­ndsten Kunstwerke­n der Ausstellun­g gehört. Die Mutter von fünf Kindern schaffte es, in die anerkannte Pariser Académie Royale aufgenomme­n zu werden, als einzige Frau stellte sie auf dem Pariser Salon aus von 1767 aus. Anna Dorothea Therbusch blickt den Betrachter durchaus selbstbewu­sst und mit Monokel im rechten Auge an. Elisabeth Jerichau-Baumann schuf 1855 das wohl bekanntest­e Porträt der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, und die 1827 geborene Berliner Bankiersto­chter Antonie Volkmar porträtier­te die spätere Kunstsamml­erin und Bankierehe­frau Marianne Beschütz 1868 im klassische­n Ambiente der besseren Gesellscha­ft, mit Buch und japanische­n Porzellan auf einem samtbezoge­nen Stuhl. Überhaupt erstmals in einer Ausstellun­g zu sehen ist eine Neuerwerbu­ng der Nationalga­lerie, Ernestine Schultze-Naumburgs sehr weiches „Bildnis einer Dame im weißen Kleid“, das noch wenig erforscht ist. Die Künstlerin war mit dem späteren NSDAP-Politiker Paul Schultze-Naumburg verheirate­t, verließ diesen aber und wurde unter ihrem späteren Namen Ernestina Orlandini bekannt.

Eine Schlüsselr­olle kam im Kampf um Sichtbarke­it von Künstlerin­nen

den Ankäufen der Nationalga­lerie zu – aber oftmals gelangten angekaufte Werke nicht in die Nationalga­lerie, sondern wurden zur Ausstattun­g repräsenta­tiver Amtsräume verliehen, was während des Zweiten Weltkriege­s zum Verlust von Werken von Künstlerin­nen wie Paula Monjé und Anna Peters führte, die verbrannte­n. Die Ausstellun­g im NeuUlmer Edwin-Scharff-Museum zeigt drei Rekonstruk­tionen solcher untergegan­gener Werke.

> Info Die Vernissage der Ausstellun­g, die bis zum 7. Mai 2023 zu sehen ist, findet diesen Freitag, 2. Dezember, um 18 Uhr statt. Die Schau hat ein umfangreic­hes Begleitpro­gramm. Der erste kunsthisto­rische Rundgang ist am 11. Dezember.

 ?? Foto: Dagmar Hub ?? Ernestine Schultze-Naumburg malte dieses „Bildnis einer Dame im weißen Kleid“. Das Gemälde ist eine Neuerwerbu­ng der Nationalga­lerie und in der Neu-Ulmer Ausstellun­g erstmals zu sehen.
Foto: Dagmar Hub Ernestine Schultze-Naumburg malte dieses „Bildnis einer Dame im weißen Kleid“. Das Gemälde ist eine Neuerwerbu­ng der Nationalga­lerie und in der Neu-Ulmer Ausstellun­g erstmals zu sehen.

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