Neu-Ulmer Zeitung

Der Absturz des Deutschrap-Stars

Warum Szene-Ikone Sido jetzt plötzlich ein Album mit seinem bürgerlich­en Vornamen „Paul“herausbrin­gt? Weil ihn wohl geerdet hat, dass er kürzlich fast zugrunde gegangen wäre.

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In Popstar-Kreisen ist beides ja längst üblich: Mal ein Album herausbrin­gen, betitelt mit dem eigenen Vornamen, um damit dieses wie etwa Lady Gaga ihr „Joanne“als ganz besonders persönlich zu kennzeiche­n; und zu thematisie­ren, was „Mental Health“heißt, eigene psychische Erkrankung­en wie Billie Eilish ihre Depression­en.

Aber bitte, so was macht doch keiner aus der Szene der geilsten und härtesten Typen! Der hiesigen Adaption des Gangsta-Rap also, naserümpfe­nd als Rüpel-Rap tituliert, einfach als Deutsch-Rap aber seit vielen Jahren die Hitparaden regierend. Doch, genau das macht sogar einer, der den Trend überhaupt erst mitbegründ­et hat.

Sido. 42 ist der Berliner gerade geworden, sein neues Album trägt den ersten Teil seines Geburtsnam­ens Paul Würdig – und darauf wie in Interviews erzählt er nun vom Scheitern, von Ängsten, von acht Wochen „in der Klapse“, die ihm wohl das Leben gerettet hätten. Was also ist passiert mit dem Typen, der die ersten Karriereja­hre Silbermask­e trug, mit Hits wie „Mein Block“das kleine Label Aggro Berlin zur Marke machte und mit Titeln wie dem „Arschficks­ong“dafür sorgte, dass die anfänglich­e Koketterie seines Künstlerna­menkürzels

kein leeres Verspreche­n war: Sido = „Scheiße in dein Ohr“. Später änderte er das in „Superintel­ligentes Drogenopfe­r“. Und damit sind wir beim Thema.

Denn gerade als der Rapper in einem guten Leben angekommen schien, die in der frühen Musik verarbeite­ten Problemjah­re als vaterloser Sohn einer alleinerzi­ehenden Mutter im Plattenbau hinter sich gelassen, aus den eigenen gescheiter­ten Beziehunge­n samt zweier Kinder gelernt… – als Paul Würdig die TV-Moderatori­n Charlotte Engelhardt geheiratet hatte,

das Paar in einer Villa mit seinen zwei Kindern lebte, der Musiker schon mal eher Poppiges machte oder erwachsene­ren (Conscious-)Rap: Da kam Corona, da hielt Sido alles nicht mehr aus, „da kamen die Dämonen zurück“, da brach er aus, da knallte er sich wieder mit harten Drogen weg, am liebsten Kokain, da war Schluss mit Treue, da faselte er sozialmedi­al von Verschwöru­ngen, da drehte er so hohl, dass sich selbst Gefährten wie Kool Savas ernsthafte Sorgen machten.

Jetzt ist Paul geschieden, merkt, dass er auch seine späteren Vaterschaf­ten „verkackt“hat. Und hat als Sido ein spannendes, in der Schwäche kraftvolle­s Rap-Album daraus gemacht. Und lebt. Immerhin. Wolfgang Schütz

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Foto: dpa

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