Allein im Traumjob
Die einen hören auf, die anderen fangen erst gar nicht an. Die Folge: In Bayern fehlen 2000 Busfahrer. Unterwegs mit zweien, die sich dennoch für den Beruf entschieden haben.
Augsburg/Zusmarshausen Die Bustür öffnet sich, ein älterer Herr steigt aus. „Der steigt später wieder ein“, sagt Michael Schöneck, „der fährt dreimal am Tag mit.“Schöneck – Turnschuhe, blaue Hose, blaue Weste, weißes Hemd – weiß: „Viele dieser Menschen sind einsam, die wollen eigentlich nur reden.“Schöneck ist Busfahrer. Und damit Chauffeur, Schultaxi, Auskunft, Streitschlichter, manchmal auch Seelsorger. „Wenn jemand den Job machen will, muss er gern mit Leuten zusammen sein“, betont er. „Wenn er den ganzen Tag grantig ist, klappt’s ned.“
Menschen wie Schöneck gibt es immer weniger. Der Landesverband der bayerischen Omnibusunternehmen schlug kürzlich Alarm: Bayernweit fehlen rund 2000 Busfahrerinnen und -fahrer. Weil immer mehr in Rente gingen und der Nachwuchs fehle, hieß es.
Michael Schöneck lenkt seit 2018 Busse. Der 58-Jährige war viele Jahre Lastwagenfahrer. „Irgendwann habe ich gemerkt, ich will mal wieder daheim schlafen“, erzählt er. Als Busfahrer habe er einen Job gefunden, der für ihn optimal sei: „Der Stress ist weg. Ich habe meine Abfahrtszeiten und weiß, wann ich nach Hause komme.“Schöneck steht um vier Uhr morgens auf, um 5.45 Uhr beginnt und um 16 Uhr endet die Schicht. 184 Stunden im Monat regulär, dazu 36 Überstunden. Freiwillig, um ein wenig mehr zu verdienen, erzählt er, während er seinen Elektrobus durch das Augsburger Land steuert. Nicht ganz ohne Stolz auf das Gefährt. „Das lauteste Geräusch ist der Abrieb von den Reifen“, sagt Schöneck. Mit ihm unterwegs: fünf Fahrgäste. Das liege an der Uhrzeit, sagt Schöneck. Morgens sei mehr los, dann nähmen auch Schulkinder die Linie in Richtung Augsburg. Er lacht und sagt: „Ich hab die ganz Kleinen, also die Erstklässler. Das ist halt immer ein Mordsgeschrei. Aber wir waren als Kinder auch so. Und die Kinder freuen sich, wenn ich das mache.“Er drückt auf eine Klingel, die weniger aufschreckt als die Hupe.
Ein längerer Halt. Woran liegt es, dass Busfahrer fehlen? Am Geld, glaubt Schöneck. Laut Tarifvertrag bekommt das Fahrpersonal im privaten Omnibusgewerbe ab kommendem Jahr einen Grundlohn zwischen rund 2300 Euro und 2600 Euro. Das sei grundsätzlich zu wenig, sagt Schöneck: „Wir haben eine Riesenverantwortung. Wir fahren ja keine Steine hin und her, sondern Menschen.“Sein Arbeitgeber, die Firma Egenberger aus Thierhaupten im Kreis Augsburg, zahle 50 Euro Bonus, Verpflegung und einige weitere zusätzliche Leistungen. Er sei „zufrieden, absolut“mit seinem Beruf. „Das Fahren macht mir Spaß und ich bin mein eigener Herr.“
„Kommt da noch ein Bus, der an den Bahnhof fährt?“, will eine Frau wissen, die vor der Bustür steht. Ja, um diese und jene Uhrzeit, sagt Schöneck. „Oh, das ist zu spät“, meint sie. Die 72-Jährige hat heute einen Zahnarzttermin. Sie fahre gern Bus, erzählt sie, das sei stressfreier als eine Autofahrt. Sie komme in Kontakt zu ihren Mitmenschen und die Fahrer seien freundlich. Für die jüngere Generation sei es hingegen schwieriger, auf den Bus umzusteigen, die hätten weniger Zeit, mehr Termine, meint die Frau. Dazu komme: Die meisten Einkaufsmöglichkeiten auf dem Land seien mit dem Bus schlecht erreichbar. Sie sagt: „Meine Schwiegertochter beispielsweise ist um die 40, und sie sagt: Busfahren? Niemals!“
Damit ist die Frau nicht alleine – gerade auf dem Land steigt die Mehrheit der Menschen lieber ins Auto als in Bus oder Bahn. Erst vor wenigen Tagen zeigte eine bundesweite Studie: Nur in zwei anderen Bundesländern fühlen sich die Menschen noch schlechter mit Bus und Bahn angebunden als in Bayern. Die Befragten bemängelten dabei insbesondere die niedrige Taktung. Lediglich 56 Prozent zeigten sich mit der Anzahl der Abfahrten an ihrer nächstgelegenen Haltestelle zufrieden. 77 Prozent gaben an, dass sich die Taktdichte in den vergangenen Jahren nicht verändert oder sogar verschlechtert habe. Auch der Fahrpreis ist ein Thema, weiß Busfahrer Schöneck „6,40 Euro für eine einfache Fahrt von Zusmarshausen zum Augsburger Hauptbahnhof ist vielen zu teuer, das höre ich immer wieder von den Fahrgästen.“Er erhofft sich eine Verbesserung durch das 49-Euro-Ticket. „Das würde mich sehr freuen.“
Am Nachmittag, Schöneck ist gerade in Zusmarshausen angekommen, startet seine Kollegin Isabell Mayer in ihre Schicht. Sie ist seit zwei Jahren Busfahrerin, erzählt sie, während sie den Sitz einstellt. Zuvor war sie zwölf Jahre lang Kinderpflegerin, wollte weiter mit Menschen arbeiten. Die Erfahrung komme ihr jetzt auch zugute, wenn sie Schulkinder transportiert. „Es macht mega Spaß“, betont die 36-Jährige. Am liebsten fährt Mayer auf dem Land. „Die Menschen auf dem Dorf sind freundlicher, grüßen beim Einsteigen. Ich wohne selbst auf dem Land und hier auf der Strecke kenne ich alle, die einsteigen“, sagt die 36-Jährige. „In die Stadt wechseln könnte ich nicht.“
Mayer erzählt, manche Fahrgäste gäben ihr die Schuld, wenn sie zu spät zur Arbeit kämen. „Ich versuche das dann mit Humor zu lösen, sage: Wie Sie sehen, kann ich nicht fliegen, ich habe noch keinen Propeller“, erklärt sie und lacht. Und klar, als „Frau am Steuer“müsse sie sich auch manchmal dumme Sprüche anhören. Sie betont aber: Busfahrer ist kein Männerjob. In ihrer Firma gebe es 113 Fahrer und zwölf Fahrerinnen.
Mayer machte aber auch schon negative Erfahrungen. Vor ungefähr einem Jahr habe kurz nach Mitternacht ein männlicher Fahrgast die Corona-Maske trotz Aufforderung nicht anziehen wollen. Im Lauf der Diskussion sei der Mann aggressiv und beleidigend geworden. „Er kam dann immer näher, hat mit der Hand vor mir gefuchtelt. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass er mir gleich eine scheuert.“Sie rief die Polizei, der Mann bekam ein Fahrverbot, stand trotzdem noch dreimal nach dem Vorfall an der Haltestelle. „Klar hat es mich abgeschreckt“, sagt sie. „Aber es gehört mit dazu. Es kann nicht nur freundliche Fahrgäste geben.“Und jetzt wisse sie, was im Ernstfall zu tun ist. Kommentar