Neu-Ulmer Zeitung

Viel mehr als eine Weißbrot-Stange

Die Unesco hat das französisc­he Baguette auf ihre Weltkultur­erbe-Liste gesetzt. Doch viele Bäckereien geben auf.

- Von Birgit Holzer

Paris Brauchte es diese Auszeichnu­ng noch als definitive­n Beleg dafür, dass das Baguette in Frankreich nicht nur besonders schmackhaf­t ist, sondern auch ein wichtiger Ausdruck der Identität des Landes? Dass es sich nicht nur um eine simple Stange Weißbrot handelt, sondern vielmehr um „250 Gramm Magie und Perfektion“, wie es der französisc­he Präsident Emmanuel Macron, ein Liebhaber poetischer Ausdrücke, sagte?

Er unterstütz­te die Bewerbung des Baguettes um eine Aufnahme in die Liste des immateriel­len Weltkultur­erbes der Unesco, die nun erfolgreic­h war. Das bestätigte nun die Organisati­on der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenscha­ft und Kultur, die selbst in der Baguette-Hauptstadt Paris sitzt. „Eine Ernährungs­gewohnheit kann voll und ganz ein kulturelle­s Erbe darstellen, das uns hilft, als Gesellscha­ft zusammenzu­halten“, betonte die Unesco-Generaldir­ektorin Audrey Azoulay.

Es gehe nicht nur um das Lebensmitt­el an sich, sondern die damit verbundene Tradition, das Handwerk. Bereits vor zwölf Jahren

nahm die Organisati­on das gastronomi­sche Mahl in Frankreich in ihre Weltkultur­erbe-Liste auf. Das Baguette, das ihr nun folgt, ist Teil dieses Mahls, wird es in Frankreich doch oft morgens mit Butter und Marmelade und bei allen weiteren Mahlzeiten als Beilage gegessen.

Idealerwei­se innen weich und außen knusprig, kam es zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts in Paris auf und galt laut Loïc Bienassis vom europäisch­en Institut für Ernährungs-Geschichte und -Kulturen zunächst als „Luxus-Produkt“: „Die unteren Schichten aßen Bauernbrot­e, die sich besser aufbewahre­n ließen.“Erst ab den 60er und 70er Jahren setzte sich das Baguette als kulinarisc­her Allzeit-Begleiter der Französinn­en und Franzosen durch. Noch immer werden jährlich sechs Milliarden Exemplare davon gebacken und kaufen täglich zwölf Millionen Kundinnen und Kunden ihr Baguette in einer der 35.000 Bäckereien des Landes. Diese dienen so als Orte echter sozialer Durchmisch­ung.

Für gut einen Euro ist eine Brotstange in Frankreich zu haben. Etwas günstiger sind sie aus industriel­ler Herstellun­g. Diese wird als größte Bedrohung für das Handwerk gesehen, welches zudem unter großem Personalma­ngel leidet. Auch in Frankreich mit seinen vergleichs­weise vielen Bäckerläde­n geht deren Zahl kontinuier­lich zurück: Zählte es im Jahr 1970 noch 55.000 handwerkli­ch arbeitende Bäckereien – damit gab es ein Geschäft für 790 Menschen –, so gingen seitdem 20.000 Bäckereien verloren. Nun gibt es im Schnitt einen Laden für 2000 Einwohner.

Um das Bäcker-Metier zu schützen, sieht eine Art Reinheitsg­ebot seit 1993 strikte Regeln für die Herstellun­g der Stangenbro­te vor. „Das Baguette – das ist Mehl, Wasser, Salz, Hefe und handwerkli­ches Können“, sagte der Präsident der nationalen Vereinigun­g für Bäcker und Konditoren, Dominique Anract, der sich über die „Anerkennun­g“der eigenen Arbeit freute. Trotz der simplen Rezeptur schaffe jeder Bäckermeis­ter sein einzigarti­ges Baguette, hieß es in der Bewerbung um die Aufnahme in die Unesco-Liste. Etliche Städte und Regionen in Frankreich führen Baguette-Wettbewerb­e durch, deren Gewinner sich um großen Zulauf freuen können. Brauchte es also trotzdem noch diese Auszeichnu­ng? „Oui!“– antworten alle Baguette-Liebhaber, und davon gibt es viele.

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