Neu-Ulmer Zeitung

Bestseller-Sex

Was ist noch Liebes- und wo fängt der Erotikroma­n an? Mit „Feuchtgebi­ete“und „Fifty Shades“feiern zwei bemerkensw­erte Publikumse­rfolge im thematisch­en Grenzberei­ch ein Jubiläum. Und die Frage ist: Wie erzählen Autorinnen heute?

- Von Wolfgang Schütz

Bei Cecilia Ahern regiert die Liebe noch züchtig. In der x-ten Gefühlsfol­ge nach ihrer Welterfolg­sromanze „P.S. Ich liebe dich“mit „Alle Farben meines Lebens“(Piper) geht es zwar schon mal zur Sache, aber dann eben so: „Ich lasse mich langsam auf das Bett sinken, die Laken sind warm von der durchs Fenster hereinsche­inenden Sonne. Seine Lippen küssen meinen Nacken, er nimmt meine Hände und legt seine Finger über meine.“Dann folgt als Beschreibu­ng nur noch: „Ich öffne die Augen, was ich bisher vermieden habe, und sehe ihn. Ich spüre ihn.“Da folgt schon gleich ein Absatz, der Schnitt. „‚Und?‘, fragt er später, als wir uns unter der Decke aneinander kuscheln. Er liegt in Löffelchen­stellung hinter mir und küsst meine Schulter. Ich spüre den Herzschlag an meinem Rücken, die Sonne geht gerade auf.“

Man kann vielleicht allein schon an Ton und Bildern hier konstatier­en, dass es sich beim Werk der 41-jährigen Irin nicht gerade um große Literatur handelt, wenn diese doch wesentlich im Versuch besteht, in Sprache wie Welt abseits der Klischees die Wirklichke­it zu erschaffen. Ganz sicher aber fällt bei Ahern gerade das weg, was Kolleginne­n phänomenal­e Erfolge beschert hat. In Deutschlan­d eroberte Charlotte Roche mit „Feuchtgebi­ete“vor 15 Jahren die Bestseller­listen, vor zehn Jahren begann die Britin Erika Leonard unter dem Pseudonym E. L. James mit ihrer „Fifty Shades“-Reihe die Welt zu erobern, von der inzwischen 150 Millionen Exemplare verkauft sind: explizite Körperlich­keit, SexBeschre­ibungen, in hoher Frequenz und aller Freizügigk­eit.

Nicht, dass es das bis dahin nicht gegeben hätte. Die hinreißend­e Feldstudie von Rainer Moritz über Literatur und Sex mit dem Titel „Matratzend­esaster“(Reclam) bietet Textstelle­n von Martin Walser bis Else Buschheuer, von Elfriede Jelinek bis Adalbert Stifter, von Philip Roth bis Gerhard Roth, von Henry Miller bis

Michel Houellebec­q, von „Madame Bovary“über „Josefine Mutzenbach­er“bis zur „Geschichte der O“aufreihend. Aber auch bei aller (sehr unterhalts­am geschilder­ten) unterschie­dlichen Qualität der Beschreibu­ngen dort (James Salter: „Er kam wie ein trinkendes Pferd“?). Besonders ist an Charlotte Roche und E. L. James der maximale Bestseller-Erfolg, dass hier je eine Frau in Zeiten aufkommend­er „Sex Positivity“zumeist von Frauen gelesen wird – und dass das alles in signifikan­ter Beschreibu­ngsnähe zum Erotikroma­n geschieht. Damit wurde ein Feld eröffnet, das seitdem fleißig beackert wird.

Nur zum Beispiel Ali Hazelwood: Die US-Amerikaner­in ist eine der neuesten Weltbestse­llerAutori­nnen im Bereich Liebesroma­n und hat ihrem Debüt „Die theoretisc­he Unwahrsche­inlichkeit der Liebe“nun flott „Das irrational­e Vorkommnis der Liebe“(Rütten & Loening) folgen lassen. Demnächst geht es mit „Die Unannehmli­chkeit der Liebe“weiter. Frappieren­d ist nicht nur, wie sehr sich die romantisch­en Geschichte­n der ersten beiden Werke ähneln: Hochtalent­ierte, aber als Frau unterschät­ze und gemobbte Wissenscha­ftlerin mit sehr wenig und sehr schlechter Beziehungs­vergangenh­eit gerät an genialen, aber unnahbar bis feindlich wirkenden Alphamann. Weit über alles etwa bei Cecilia Ahern Vorstellba­re hinaus geht es dabei schließlic­h auch, freudig wiederholt, wirklich und richtig zur Sache – wobei die Männer dabei wirklich überall immer betont groß, ja riesig sein müssen und das Erlebnis in der Beschreibu­ng der natürlich stets maximalen Ekstase allzu schnell allzu redundant wird.

Das ist nun mal, siehe die fortwähren­de „Explosion“, „Explosion“, „Explosion“in „Fifty Shades“und Moritz Arnolds Untersuchu­ng, die Gefahr beim beschriebe­nen (!) Sex: Die Handlung wiederholt sich halt, und die Vermeidung der reinen Redundanz führt entweder zu Kapriolen in den Umschreibu­ngen oder zu mehr Drastik im Repertoire.

Im Grunde ähneln sich die Autorinnen Ali Hazelwood und Sophie Andresky jedenfalls erstaunlic­h. Zweitere ist die erfolgreic­hste Deutsche auf dem Markt der Erotikroma­ne, der Name ein an den Grafen Andrássy aus dem SissiFilm angelehnte­s Pseudonym. Bereits der 2009 erschienen­e Debütroman ist ein Bestseller: „Vögelfrei“(Heyne). Wie die Liebes-Amerikaner­in vermag die Erotik-Deutsche humor- und schwungvol­l zu schreiben. Beide sind auf sehr ähnliche Art explizit, bloß dass Andresky

das eben sehr viel häufiger zu sein hat und darum auf Swingerund Fetisch-Pfaden schweift. Die eine Liebe, die die Autorin im wirklichen Leben fast Hazelwoodm­äßig immer nur ihrem immer gleichen Marcus schwört, die gehört hier nicht hin. „Dass Frauen nicht zwischen Liebe und Sex trennen können, ist Bullshit. Da kann ich nur lachen: erotisch angesiedel­t zwischen Efeu und Emily Erdbeer.“Frauen wollten und sollten nur zu gern in Freiheit ihrer Lust nachgehen – bloß sei das eben allzu leicht gefährlich, weil man selten sicher sein könne, dass sich Männernich­t als Psychopate­n entpuppten.

Literatur ist aber weder Hazelwood noch Andresky. Auf der Suche danach landet man bei eigenwilli­gen Autorinnen wie Corinna T. Sievers, einer ehemaligen Zahnärztin, die schon mal über eine nymphomane, traurige Zahnärztin geschriebe­n hat, und bei der die Bücher eher „Die Halbwertsz­eit der Liebe“heißen. Im neuen, nach einem Narkosemit­tel „Propofol“(Frankfurte­r Verlagsans­talt) betitelt, kontrastie­ren die expliziten, aber eben nicht einfach zuverlässi­g erfüllende­n Sexszenen mit dem Niedergang eines alternden Mannes, ehemals so brillanter wie umschwärmt­er Chirurg, einem Arschloch.

Wenn Sievers die Wirklichke­it des Charakters wie des Körpers in ihrer Radikalitä­t beschreibt, ist Sex auch nur ein Teil des Lebens, der genauso unverstell­t zu betrachten ist wie alles andere. Das ist stark, dem gebührt eigentlich ein Lob bei Rainer Moritz, aber daraus wird eben niemals ein Bestseller. Die spielen im immer größer werdenden Graubereic­h zwischen Liebesund Erotikroma­n.

 ?? ?? Vor zehn Jahren eroberten die Bücher von E. L. James um Ana Steele und Christian Grey die Welt. Klar, dass da auch Fifty Shades-Filme (hier der erste 2015) folgen mussten.
Vor zehn Jahren eroberten die Bücher von E. L. James um Ana Steele und Christian Grey die Welt. Klar, dass da auch Fifty Shades-Filme (hier der erste 2015) folgen mussten.
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