Bald hat nicht mehr jede Gemeinde einen Hausarzt
Eigentlich ist der Landkreis Neu-Ulm mit Medizinern gut versorgt. Doch das wird sich bald ändern. Nun sind Lösungen gefragt. Der Landrat hadert mit der Gesundheitspolitik.
Landkreis Neu-Ulm Ist der Hausarzt tatsächlich ein aussterbender Berufsstand? In nicht wenigen ländlichen Gegenden Deutschlands fühlt sich das so an. Auch im Landkreis Neu-Ulm? Jein. Zumindest nach den offiziellen Zahlen gibt es hier nicht zu wenige Ärzte, in manchen Fachbereichen sogar zu viele. Doch das kann sich sehr schnell ändern, wie jetzt in der jüngsten Sitzung des Kreis-Gesundheitsausschusses deutlich wurde.
Wie viele Menschen durchschnittlich von einem Arzt versorgt werden, legen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) fest. Bei Hausärzten gilt bundesweit die Richtzahl von 1607 Einwohnern pro Mediziner. Das wäre der sogenannte Idealzustand von 100 Prozent. Es gibt auch Richtzahlen für eine Unterversorgung, die bei 75 Prozent beginnt, sowie für eine Überversorgung, die ab 110 Prozent gilt. Das erklärte jetzt im Ausschuss Oliver Legler vom Kommunalbüro für ärztliche Versorgung am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Um die Medizinerdichte zu bestimmen, gibt es im Freistaat 204 sogenannte hausärztliche Planungsbereiche. Der Landkreis Neu-Ulm verfügt über zwei.
Der Bezirk Neu-Ulm reicht von der Donau bis Bellenberg, daran schließt sich der Bezirk Illertissen mit den Südkommunen an. Für den Norden gilt laut Legler ein Versorgungsgrad von 107,22, für den Süden einer von 102,61. Das bedeutet: Im Landkreis können sich noch Hausärzte niederlassen, bis das
Versorgungslimit von 110 Prozent erreicht ist. Anders sieht es bei den Fachärzten aus, bei denen der Kreis größtenteils als „überversorgt“gilt. Das heißt: Es dürfen sich keine neuen mehr ansiedeln. Dazu gehören etwa Urologen,
Frauenärzte oder Kinderärzte. Der Mann von der LGL räumte allerdings ein, dass dies bei den Menschen durchaus anders empfunden werde, die sehr lange auf Termine warten müssten.
Außerdem: „Das System steht auf tönernen Füßen“, sagte Legler. Im Landkreis wie auch anderswo liege der Altersschnitt bei gut einem Drittel der Hausärzte bei über 60 Jahren und mehr. Das bedeutet: In nächster Zeit steht ein sehr großer Generationswechsel an. Doch es gibt eben nicht genügend Allgemeinmediziner, die sich in ländlichen Gebieten niederlassen wollen. Deshalb geht Legler davon aus, dass die Lösung künftig nur in größeren Versorgungseinheiten liegen kann, also in Praxen, die mehrere Gemeinden versorgen. Den einzelnen Hausarzt für jede Kommune werde es wohl nicht mehr geben, zumal junge Medizinerinnen und Mediziner mittlerweile gerne angestellt oder in Teilzeit arbeiten wollen.
Landrat Thorsten Freudenberger (CSU) fürchtet eine dramatische Verschlechterung und fordert deshalb neue Lösungen. Etwa mit einer rollenden Praxis. Jederzeit könne der mittlerweile überflüssig gewordene Impfbus des Landkreises umgebaut werden. Solche medizinischen Mobil-Modelle existieren anderswo bereits. So gibt es etwa den Medibus in Hessen oder die rollende Praxis, die bereits vor neun Jahren im Landkreis Wolfenbüttel in Niedersachsen startete. Nach gut einem Jahr wurde sie aus Kostengründen wieder aufgegeben.
Freudenberger hadert schon lange mit der Gesundheitspolitik. Dazu gehört auch die Bedarfsplanung
für die Krankenhaus-Versorgung in Bayern. Die richte sich immer noch nach Landkreisgrenzen: „Das ist doch Blödsinn.“
Und dann gibt es ja auch noch Landesgrenzen: „An der Donau hört das Denken auf, das ist etwas schwierig für uns“, sagte er. Was ihm ebenfalls schon lange missfällt, sind die Vergütungsregelungen für medizinische Leistungen, die immer wieder zulasten kleiner Kliniken gehen. Im Alb-DonauKreis schließen die Geburtshilfestationen – in Langenau ist sie schon seit Jahren dicht, zuletzt wurde die Babystation in Blaubeuren aufgegeben – „und was passiert? Die Menschen kommen zu uns und erhöhen hier das Defizit des Landkreises.“
In der Geburtshilfe decken die Erlöse bei Weitem nicht die Kosten. Das gilt auch in der Altersmedizin. Die sei in Baden-Württemberg auskömmlich finanziert, aber in Bayern eben nicht. Deshalb macht die Geriatrie in Illertissen immer noch Millionenverluste. Freudenberger: „Das muss vernünftig gegenfinanziert werden.“Und dann ist da noch das Problem mit den Notaufnahmen, zu denen immer mehr Menschen kommen. Das Problem: Die kosten den Landkreis viel Geld, weil auch sie ein Zuschussgeschäft sind. Doch diese Notfallversorgung wäre Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung. Jetzt will der Landkreis das Gespräch mit der KV suchen.