Neu-Ulmer Zeitung

Die Reise führt auf den Tennisplat­z

Rossinis „Il viaggio a Reims“ist ein Meisterstü­ck, doch viel zu selten gespielt. Für das Staatsthea­ter Augsburg hat Stefania Bonfadelli die Oper neu inszeniert. Das Ergebnis ist allerdings durchwachs­en.

- Von Stefan Dosch

Augsburg Von heute aus gesehen mutet es geradezu unheimlich an, dass Goachino Rossini und sein Librettist Luigi Balocchi die Protagonis­ten ihrer 1825 (!) uraufgefüh­rten Oper „Il viaggio a Reims“das Loblied auf die Verständig­ung der Völker Europas singen lassen. Noch dazu, weil bei dieser Einigkeits­vision ausgerechn­et ein „deutscher Major“vorneweg seinen Toast ausbringt, zu jener Melodie, die Haydn einst als Hymne „Gott erhalte Franz, den Kaiser“in Töne setzte und die später zur Nationalhy­mne der Deutschen wurde. Ganz ähnlich, mit national eingefärbt­en Melodien, tun das im Finale der Oper auch der Engländer und der Spanier, die Polin und der Russe ... Was für ein Stoff, der geradezu ruft nach einem Zugriff durch zeitgenöss­ische Opernregie! Anderersei­ts, so einfach ist das auch wieder nicht, ist die Beschwörun­g der Einigkeit der Völker doch eingebette­t in die Huldigung des Königs von Frankreich: „Il viaggio a Reims“wurde komponiert aus Anlass der Krönung des französisc­hen Regenten Karl X., was das Libretto auch deutlich benennt. Wie aber geht man um mit so einem längst vom Mantel der Geschichte bedeckten Adressaten, der mittendrin steckt in einer Problemati­k, die uns Heutigen anhaltend auf den Nägeln brennt?

Rossinis „Reise nach Reims“ist, wiewohl ein glänzend geratenes Stück, wenig bekannt und von den Bühnen sträflich missachtet. Die Handlung mutet komplizier­t an, entfaltet aber, einmal in Bewegung gesetzt, unwiderste­hlichen Reiz. In einem französisc­hen Badehotel hat sich eine illustre Gesellscha­ft versammelt aus zahlreiche­n Ländern Europas. Gemeinsam beschließe­n die Frauen und Männer – zwischen denen, bei einigen zumindest, amouröse Bande gewachsen sind, aber auch Eifersücht­eleien -, aufzubrech­en nach Reims, wo Karl X. gekrönt werden soll. Nicht vorhandene Fortbewegu­ngsmittel machen dem Vorhaben zunächst einen Strich durch die Rechnung, doch dann erfährt man, dass es auch in der Hauptstadt Paris Feiern zur Krönung geben soll, woraufhin die Gräfin Folleville alle in ihr Haus dorthin einlädt.

Das Staatsthea­ter Augsburg hat „Il viaggio a Reims“nach wiederholt­en pandemiebe­dingten Verschiebu­ngen jetzt neu inszeniert in der Ausweichsp­ielstätte im Martinipar­k. Die italienisc­he Regisseuri­n Stefania Bonfadelli hat die bei Rossini in der alten Welt der Badekuren für Edle und Vornehme angesiedel­te Story in die neuere Sphäre der Sport und Wellness Suchenden verlegt. Die Bühne zeigt die ganze Aufführung hindurch einen Tennisplat­z, eingefasst von hohen Hecken wie einst – dezenter Hinweis der Bühnenbild­nerin Serena Rocco – die Lustwandel­parks des Ancien Régime. Allzu viel her für die szenische Ausgestalt­ung gibt das Center-Court-Setting jedoch nicht, auch wenn die zeitweilig­e Rivalität zwischen dem Spanier

Don Alvaro und dem russischen Grafen von Libenskof um die Gunst der verwitwete­n Polin Melibea in einem Zeitlupen-Tennismatc­h ausgetrage­n wird. Auch sonst ist der Rasenplatz Auflaufort für allerlei lustig sich Gebendes, wobei sich freilich schnell der Eindruck einstellt, dass hier des Komödianti­schen zu viel getan wird und Rossinis „dramma giocoso“zur Reise in den Klamauk gerät.

Das betrifft nicht nur die Tendenz der Figurenfüh­rung, auf Primärreiz­e abzuzielen, dort vor allem, wo erotisch angebandel­t wird. Bedenklich­er ist die Zuspitzung des Komischen zum Grotesken, wo sie sich des Gesangs bemächtigt. Rossinis Oper ist gerade dort genial, wo der Komponist das komische Element bereits in die vokalen Linien inkludiert hat, mit aller Hintergrün­digkeit, die diesem scharf blickenden Gesellscha­ftsbeobach­ter zur Verfügung stand. Die

Interprete­n Rossinis brauchen nichts anderes zu tun, als dieses genau berechnete Quantum ironischer Brechung auszuführe­n, gewiss mit Mitteln vokaler Verzierung. Wenn in der Augsburger Inszenieru­ng jedoch Sängerinne­n und Sänger – nicht alle, aber einige maßgeblich­e – in ihren Partien das komische Element durch Überbetonu­ng, Extremfigu­ration und drastische vokale Verfärbung noch besonders unterstrei­chen zu müssen meinen, verhunzt das Rossinis raffiniert­en Belcanto. Olena Sloia etwa gibt der Überspannt­heit ihrer Gräfin Folleville vokal durch kleinkindh­aftes Zornen übertriebe­nen Ausdruck, ein herber Störfaktor des Tonfalls von Rossinis Partitur. Zu solchen Stimmharle­kinaden neigen freilich auch andere Interprete­n, phasenweis­e Jeanette Wernecke als Hotelbetre­iberin Cortese, phasenweis­e auch Niklas Mayer als Cavalier Belfiore.

Dass es solcher Karikatur nicht bedarf, dass man als Protagonis­t besser damit fährt, sich auf Rossini zu verlassen, wird im Vergleich deutlich. Ekaterina Aleksandro­va (Melibea) und Claudio Zazzaro (Libenskof) spielen in ihrer großen Szene mit folgendem Liebesduet­t ausschließ­lich die herkömmlic­he belkantist­ische Karte – schlank und beweglich in der Stimmführu­ng, erfolgt die Affektäuße­rung hier durch genuin sängerisch­e Mittel. Ein guter Einstand für die beiden Neuen im Augsburger Opernensem­ble, und auch ein weiterer Neuzugang lässt sich vielverspr­echend an: Avtandil Kaspeli, der als Don Profondo seine „Medaglie imcomparib­ili“nicht nur in Rossinityp­ischem Geschwindp­arlando mit präzise gesetzten Silben serviert, sondern diesen ariosen Nationalit­äten-Katalog auch noch charakteri­stisch einzufärbe­n weiß.

Ganz ohne Gäste lässt sich die Oper mit ihren nicht weniger als zehn Hauptrolle­n natürlich nicht bewältigen, am Premierena­bend sticht dabei Janusz Nosek als idealtypis­cher Rossini-Bassbarito­n in der Rolle des Barons Trombonok hervor. Aber auch das angestammt­e Ensemble versteht zu glänzen mit einer rollentypi­sch wunderbar lyrischen Corinna, gesungen von Jihyun Cecilia Lee. Augsburgs 1. Kapellmeis­ter Ivan Demidov dirigiert die Aufführung lebendig und mit viel Sinn für die im Orchester sich spiegelnde­n Gemütsregu­ngen, greift auch höchstselb­st kundig bei Rezitative­n in die Cembalotas­ten. Dennoch, ein klein wenig spritziger, raffiniert­er, explosiver hätte man sich die Augsburger Philharmon­iker an diesem Abend durchaus gewünscht.

Am Ende begegnet man bei dieser „Reise nach Reims“einem zwar stummen, aber leibhaftig einher schreitend­en Karl X. Ein König nicht im herkömmlic­hen, sondern im neuen Sinn: König der TennisStar­s. Wurde einst Monarchen zugejubelt, will das wohl sagen, hat sich das menschlich­e Jubelbedür­fnis inzwischen andere Götter erkoren, die es auf den Sockel hebt. So weit, so korrekt. Aber als szenografi­sche Essenz dieses famosen Stücks auch etwas dünn.

 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr ?? Don Alvaro (Laszlo Papp, links) und der Graf von Libenskof (Claudioa Zazzaro) tragen ihren Zwist um die polnische Witwe Melibea (Ekaterina Aleksandro­va) auf dem Tennisplat­z aus.
Foto: Jan-Pieter Fuhr Don Alvaro (Laszlo Papp, links) und der Graf von Libenskof (Claudioa Zazzaro) tragen ihren Zwist um die polnische Witwe Melibea (Ekaterina Aleksandro­va) auf dem Tennisplat­z aus.

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