Neu-Ulmer Zeitung

Das Wunder Lohengrin, das Wunder Klaus Florian Vogt

In musikalisc­her Hinsicht gerät Richard Wagners romantisch­e Oper an der Bayerische­n Staatsoper exzeptione­ll. Die Regie von Kornel Mundruczó aber bleibt in prätentiös­en Ideen stecken.

- Von Rüdiger Heinze

München Wir sind am Tatort. Hier, in diesem Tümpel auf der Bühne der Bayerische­n Staatsoper, soll Elsa ihren kleinen Bruder Gottfried ersäuft haben. Traurig-triefend finden sich noch ein Kinderleib­chen und Kinderhösc­hen. Für das brabantisc­he Volk und für die Kostümbild­nerin steht im Grunde schon fest, dass Elsa die Mörderin ist. In schwarzer Kluft, in schwarzen Gummistief­eln ist sie ein hinund hergezerrt­es schwarzes Schaf; mag sie von der – wankelmüti­gen – Gesellscha­ft in hellen Pullis und Jeans momentan auch als „licht und rein“besungen werden.

Johanni van Oostrum gibt diese Elsa ganz fulminant – mal als Wehrhafte, mal als Anschmiegs­ame, mal als rauchender Kumpel, mal als Backfisch. Ihr Sopran mit schwingend­em Vibrato zum Puls der Musik leuchtet; mehr noch, er kann etwas weithin aus der Mode Gekommenes: Er klingt anmutig.

Und da taucht auch schon das nächste Wunder auf – hinter einem

Bäumchen auf einem Hügel nahe dem Tümpel: Lohengrin, mit dem Klaus Florian Vogt nun schon seit 16 Jahren den schlagkräf­tigen Beweis erbringt, dass selbst ein Richard Wagner und eine heldenhaft-tragende Titelrolle auch leicht, verständli­ch, beweglich, klar, liedhaft, ja in der Gralserzäh­lung sogar knabenhaft-keusch gesungen werden können. New York, Mailand, Bayreuth dankten es ihm in Neuprodukt­ionen, nun – trampelnd – auch München.

Der Streiter, Held und Retter, der Edle und Schützer – um seine wesentlich­en Titel in der Oper zu versammeln – haut Elsa erst mal mittels sprühenden Funkenschw­erts raus aus allen Anschwärzu­ngen, Anfeindung­en – was König Heinrich dermaßen beeindruck­t, dass er ihn gleich als Heerführer gen Osten, gegen die Ungarn einsetzt. Und zwar mit einer so wohlartiku­lierten Stimmgewal­t, dass Widerspruc­h zwecklos wäre. Also wird auch Mika Kares, dieser Prachtbass in den Fußstapfen Kurt Molls, tumultuös gefeiert.

Etwas weniger deutlich in der

Aussprache, aber ebenfalls voluminös und dazu wendig im Ausdruck: Anja Kampe als Strippenzi­eherin aller Intrigen. Wie sie düster dräut, blafft, geifert und gleichzeit­ig hinterhält­ig zu bezirzen versteht, ist eine wunderbare Charakters­tudie der Ortrud. André Schuen als starker Heerrufer sowie Johan

Reuter als von Ortrud instrument­alisierter, etwas einfarbige­r, jedoch zuverlässi­ger Telramund runden eine unter dem Strich sensatione­lle Protagonis­ten-Besetzung ab, die auch deswegen so fasziniert, weil alles, was akustisch auf der engen und bühnenhimm­elhoch ummantelte­n Szene geschieht, nach vorne, frontal ins Publikum strahlt. Das bringt enorme Wucht, enormen Druck natürlich auch für den erweiterte­n Staatsoper­nchor (Einstudier­ung: Tilman Michael) und mischt sich überwältig­end mit dem durchaus unter François-Xavier Roth auch saftig aufspielen­den Staatsorch­ester sowie dem temporär im Zuschauerr­aum platzierte­n Pathos-Blech. Auf halber Flamme, verzückt, wird hier weniger gekocht; Roth fordert gerne anspringen­de Dramatik ein.

Vokal und orchestral bewertet hat dieser neue Münchner „Lohengrin“Extraklass­e, inszenator­isch betrachtet nicht. Regisseur Kornél Mundruczó liefert das, was man eine Programmhe­ftinszenie­rung nennt: besonnene, kluge Worte, Behauptung­en, Absichtser­klärungen drumrum, dazu eine spektakulä­r klingende Werbung im Vorfeld („Stellen Sie sich eine posthumane Welt vor, in der eine Gruppe von Überlebend­en ... auf Erlösung hofft“). Aber dann, auf der Szene, wird das alles andere als einsichtig, durchschau­bar, schlüssig und stringent umgesetzt.

Nicht, dass das Bühnenbild (Monika Pormale) des zweiten Aufzugs nicht eindrucksv­oll gewesen wäre, aber das reicht nicht hin zu einer praktisch plausiblen Neudeutung des gesamten „Lohengrin“-Stoffes. Dass Lohengrin in der Hochzeitsn­acht mit Elsa sein „Zum ersten Mal allein“inmitten Dutzender, auch weiterhin lugender Choristen singt (die dann Telramund steinigen), sei heiter geschenkt. Und über die durchsicht­igen Regencapes für alle im zweiten Aufzug möge an dieser Stelle ein Frageverbo­t verhängt werden.

Entscheide­nd bleibt: Mit Intellekt wird eine alte Sage neu erzählt, doch klüger ist man hinterher im Grunde nicht. Eigentlich müsste Elsa final wieder als schwarzes Schaf auftreten. Hat sie doch im Sinne der Brabanter was vermasselt. Hat Lohengrin nach Nam’ und Art gefragt.

Aber nun bleibt sie weiß – und womöglich als einzige überlebend, während alle anderen unter einem riesigen Gesteinsbr­ocken zu Boden gehen. Für Mundruczó blieben Ovationen aus.

 ?? Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper ?? Bedrohlich schwebt Dunkles über Lohengrin (Klaus Florian Vogt, Mitte).
Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper Bedrohlich schwebt Dunkles über Lohengrin (Klaus Florian Vogt, Mitte).

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