Neu-Ulmer Zeitung

Nebel des Grauens

Im Dezember 1952 legte sich tagelang eine schwere Dunstglock­e aus Rauch und Nebel über die britische Hauptstadt. Der „Great Smog“forderte tausende von Menschenle­ben.

- Von Susanne Ebner

London Als Prinzessin Margaret am Morgen des 6. Dezember 1952 die Vorhänge öffnet, sieht sie, noch im Morgenmant­el gekleidet, hauptsächl­ich eines: grünlichen Dunst. Wie eine Wand behindert er die Sicht. Die Stimme eines Radiosprec­hers erklingt: „Der Verkehr in London ist durch dichten Nebel, der über Nacht herabgesun­ken ist, zum Erliegen gekommen.“Der Rauch aus den Schornstei­nen sei auf Straßenhöh­e eingeschlo­ssen – aufgrund eines beständige­n Hochdruckg­ebietes. Daraufhin sieht man Eindrücke aus der Hauptstadt, die „Westminste­r Bridge“, den Buckingham-Palast. Alles ist dunkel, Gebäude verschwimm­en hinter einem giftigen Schleier. Es bilden sich Staus, Passanten husten.

Die Szene stammt aus der ersten Staffel der Netflix-Serie „The Crown“, welche, so betonen Experten, die Smog-Katastroph­e in London, „The Great Smog“, vor 70 Jahren recht realistisc­h darstellt – auch wenn die Details der Handlung erfunden sind. Damals brachte eine Kombinatio­n aus dem insbesonde­re im Winter weitverbre­iteten dichten Kohlenrauc­h und ungewöhnli­ch hartnäckig­em Nebel die Metropole tagelang zum Erliegen. Weil es kalt war, und die Bewohner der Hauptstadt mehr heizten, bildete sich schließlic­h giftige Schwefelsä­ure. Immer mehr Londoner wurden in die Krankenhäu­ser eingeliefe­rt. Als sich der Dunst am 9. Dezember verzog, war die Bilanz niederschm­etternd. Tausende waren gestorben oder erlagen laut jüngeren Schätzunge­n in den Monaten und Jahren danach durch den Smog verursacht­en Atemwegser­krankungen.

Auch wenn Londoner schon früher Smog erlebt hatten, dieser löste ein Umdenken aus, wie der Stadt-Historiker Jerry White in seinem Buch „London im 20. Jahrhunder­t“betont. Wenige Jahre nach der Katastroph­e verabschie­dete die Regierung den sogenannte­n „Clean Air Act“, laut Experten ein Meilenstei­n im Hinblick auf den Umweltschu­tz. Im Mittelpunk­t stand insbesonde­re das Verbot der Benutzung von Kohle zum

Heizen von Wohnungen. Der Ausstoß von Rauch wurde begrenzt. In der Folge konnte die Belastung durch Aerosole deutlich reduziert werden. Danach erlebte die Stadt auch bei austauscha­rmen Hochdruckw­etterlagen im Winter nur noch vereinzelt Smog, den letzten im Jahr 1974.

Doch beseitigt war das Problem der Luftversch­mutzung in den Jahrzehnte­n danach nicht. Dafür verantwort­lich ist vor allem der Verkehr. Denn noch immer steckten in den meisten Bussen, Taxis und Lieferwage­n, die durch die Metropole brausten, Dieselmoto­ren. Das Jahresmitt­el für Stickstoff­dioxid – der Schadstoff kommt hauptsächl­ich vom Diesel – überschrit­t noch 2014 in der Oxford Street den EU-Höchstwert um ein Vielfaches. An die 40.000 vorzeitige Tote im Jahr wurden damals in Großbritan­nien auf zunehmende Luftversch­mutzung zurückgefü­hrt, mehrere Tausend davon in London.

Das erste Opfer, auf dessen Sterbeurku­nde Luftversch­mutzung als Todesursac­he vermerkt wurde, war die neunjährig­e Ella. Das Mädchen, welches ihre Mutter als fröhlich und offen beschrieb, lebte im Südosten Londons an einer stark befahrenen Straße. 2013 schließlic­h starb sie nach einem schweren Asthmaanfa­ll, der zu einem Herzstills­tand führte. Seitdem will ihre Mutter Rosamund Adoo-Kissi-Debrah etwas ändern. Sie wurde zu einer Aktivistin und Anwältin für bessere Luft. „Ich versuche, das Unsichtbar­e sichtbar zu machen. Aber wenn die Leute es nicht sehen, glauben sie es nicht“, sagte sie einmal.

Hoffnung macht, dass sich die Situation in London in den vergangene­n Jahren verbessert hat. Dies ist unter anderem der Einführung der sogenannte­n „Ultra Low Emission Zone“(ULEZ) im Zentrum der Stadt geschuldet, für die sich Adoo-Kissi-Debrah ebenfalls einsetzte. In diesem Gebiet müssen

Fahrzeuge strenge Abgaswerte erfüllen. Tun sie dies nicht, müssen Autofahrer eine hohe Gebühr zahlen, falls sie die betroffene­n Straßen dennoch befahren. Von ExPremierm­inister Boris Johnson im Jahr 2015 zu seiner Zeit als Bürgermeis­ter angekündig­t, setzte sein Labour-Nachfolger Sadiq Khan die Idee im Jahr 2019 um.

Vergangene Woche kündigte Khan im Rahmen einer Pressekonf­erenz in einer Schule im Südosten Londons überdies an, die Ultra Low Emission Zone auf den Großraum London auszuweite­n, damit Millionen Menschen „bessere Luft atmen können“, so Sadiq Khan. Bis 2041 sollen überdies 80 Prozent der Routen mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, per Fahrrad oder zu Fuß zurückgele­gt werden, sagte er gegenüber unserer Redaktion. Adoo-Kissi-Debrah unterstütz­t diese Idee: „In London sterben jedes Jahr zwischen acht und zwölf Kinder. Es muss etwas getan werden.“

 ?? Foto: dpa ?? Im Dezember 1952 legt sich fünf Tage lang eine schwere Dunstglock­e aus Rauch und Nebel über die britische Hauptstadt – mit tödlichen Konsequenz­en.
Foto: dpa Im Dezember 1952 legt sich fünf Tage lang eine schwere Dunstglock­e aus Rauch und Nebel über die britische Hauptstadt – mit tödlichen Konsequenz­en.

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