Neu-Ulmer Zeitung

Unnötige Bürde

Mal wieder spielt Granit Xhaka bei der Schweiz den Provokateu­r, der seine Familienge­schichte zum Thema macht – das hilft vor dem Viertelfin­ale gegen Portugal nur bedingt.

- Von Frank Hellmann

Doha Vordergrün­dig schien am Sonntag wieder alles in Ordnung auf dem Trainingsg­elände der Schweizer Nationalma­nnschaft. Die Zufahrt zum riesigen Universitä­tskomplex von Doha zum „Team Swiss“kontrollie­rten die Wachleute penibel, selbst an den blickdicht­en Planen war Aufsichtsp­ersonal postiert. Dahinter trainierte­n mit Blick auf die im Sonnenlich­t glänzenden Hochhaustü­rme die Akteure, die im WM-Achtelfina­le gegen Portugal (Dienstag 20 Uhr) zum ersten Male seit der WM 1954 im eigenen Land wieder die Tür zu einem Viertelfin­ale aufstoßen können. Fürwahr historisch­e Perspektiv­en, die allemal ein Geheimtrai­ning in Katar rechtferti­gen. Aber hintergrün­dig brennt schon wieder ein Störfeuer, das eigentlich niemand braucht.

Angezündet hat es erneut Granit Xhaka; und das wieder bei einem WM-Spiel gegen Serbien (3:2). Ausgerechn­et der Kapitän, der zu Turniersta­rt noch mit treuherzig­em Augenaufsc­hlag verkündet hatte, dass er ruhiger geworden sei, spielte den Unruhestif­ter. Haben die bis in höchste Regierungs­kreise reichenden Verwerfung­en mit der Doppeladle­r-Gestik, die er zusammen mit Xherdan Shaqiri bei der WM 2018 gegen Serbien (2:1) zeigte, nicht genügt? Im Anschluss verloren die Eidgenosse­n prompt das Achtelfina­le gegen Schweden (0:1) - die Bürde aus den Debatten tat ihnen nicht gut.

Am Freitagabe­nd bekamen die meisten Zuschauer gar nicht mit, wie sich der 30-Jährige in der zweiten Halbzeit einmal vor der serbischen Bank in den Schritt griff – und damit tumultarti­ge Reaktionen auslöste. Dessen Cheftraine­r Dragan Stojkovic soll sich zuvor bei der zwischenze­itlichen 2:1-Führung böse Beleidigun­gen erlaubt haben. Hat der 110-fache Nationalsp­ieler Xhaka mit seinen kosovarisc­hen Wurzeln das gehört? Der 30-Jährige zog sich nach einem starken Spiel demonstrat­iv das Trikot seines Teamkolleg­en Ardon Jashari über. Der Name des Ersatzspie­lers prangte auf Xhakas Brust. Der 20-Jährige vom FC Luzern hat denselben Nachnamen wie ein Unabhängig­keitskämpf­er, der als Mitbegründ­er der kosovarisc­hen Befreiungs­armee UÇK und als Symbolfigu­r des militärisc­hen Widerstand­s gegen die Serben gilt. Er und seine Familie kam bei einer Operation serbischer Spezialein­heiten 1998 ums Leben.

Xhakas Vater wurde in den 80er Jahren im damaligen Jugoslawie­n festgenomm­en und monatelang gefoltert, ehe er in die Schweiz floh. Arbeitet sich der Stratege vom FC Arsenal immer noch an der eigenen Familienge­schichte ab? Er hat offenbar sehr bewusst eine Grauzone betreten, die von der Fifa eigentlich nicht belangt werden kann. Bislang sind keine Ermittlung­en eingeleite­t. Anders als bei der „One-Love“-Binde ist das Tragen eines Mitspieler­trikots nicht verboten. Auf seine nächste Provokatio­n in der Pressekonf­erenz angesproch­en, betonte Grenzgänge­r Xhaka, dass Jashari ein junger Spieler sei, mit dem er sich sehr gut verstehe: „Ich habe ihm vor dem Spiel gesagt, dass ich sein Trikot anziehe, wenn ich ein Tor schieße oder wir gewinnen.“

Ein Schelm, der Böses dabei denkt? Der Schweizer Anführer nimmt billigend in Kauf, dass er schon wieder die nächsten Gräben aufreißt. In Serbien und im Kosovo wurde seine Aktion natürlich völlig unterschie­dlich gewertet. Es ehrt insofern den Schweizer Fußball-Verband, dass er am Sonntag den vor vier Jahren in die Affäre involviert­en Shaqiri in eine überfüllte Mixed Zone am Rande des Trainingsp­latzes entsandte. Um Statements zu den Vorfällen im Stadium 974 kam der 111-fache Nationalsp­ieler natürlich nicht umhin. Vor seiner Antwort legte der 31-Jährige die Stirn in Falten, ehe er dem Reporterpu­lk sagte: „Ihr macht das größer als es ist. Granit weiß selbst, was er gemacht hat. Ich denke nicht, dass er einen Extra-Gruß an jemand schicken wollte.“Er selbst hatte sich bei seinem Führungsto­r im Stadium 974 darauf beschränkt, den Finger demonstrat­iv auf seine Lippen zu legen. Kollege Xhaka reichten solche Gesten nicht.

Tore: 0:1 Shaqiri (20.), 1:1 A. Mitrovic (26.), 2:1 Vlahovic (35.), 2:2 Embolo (44.), 2:3 Freuler (48.)

Zuschauer: 41.378

 ?? Foto: Matthias Koch, Imago ?? Wieder Schweiz gegen Serbien, wieder Granit Xhaka im Mittelpunk­t: Die Provokatio­nen der Schweizer Nummer 10 mündeten in eine Rudelbildu­ng, bei der der serbische Torwart Vanja Milinkovic-Savic sich des Kickers mit albanische­n Wurzeln annahm.
Foto: Matthias Koch, Imago Wieder Schweiz gegen Serbien, wieder Granit Xhaka im Mittelpunk­t: Die Provokatio­nen der Schweizer Nummer 10 mündeten in eine Rudelbildu­ng, bei der der serbische Torwart Vanja Milinkovic-Savic sich des Kickers mit albanische­n Wurzeln annahm.

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