Neu-Ulmer Zeitung

Allgäu-Schnellweg vor dem Aus?

Die B12 zwischen Buchloe und Kempten soll vierspurig werden – zunächst bis kurz vor Kaufbeuren. So ist es eigentlich längst beschlosse­n. Doch für den Bund Naturschut­z ist es eines der klimaschäd­lichsten Vorhaben in Bayern. Und er zieht darum vor Gericht.

- Von Markus Bär

Kaufbeuren Die B12 zwischen Buchloe und Kaufbeuren gehört nicht unbedingt zu den schönsten Plätzen, die das Allgäu zu bieten hat. Zwar kann man an klaren Tagen bis zu den Alpen schauen, die sich noch recht weit entfernt am Horizont abzeichnen. Und auch der Blick etwa zum nahe gelegenen Georgiberg oberhalb der Ortschaft Untergerma­ringen ist eigentlich ganz schön. Doch ansonsten gibt es viele einförmig wirkende flache Wiesen und Felder, die oft für den Maisanbau genutzt werden. Und durch das Ganze zieht sich das Asphaltban­d der Bundesstra­ße, die von der Anschlusss­telle an der A96 bei Buchloe nach Kaufbeuren und an Marktoberd­orf vorbei in Richtung Kempten führt. Zumeist dreispurig, das heißt, alle paar Kilometer wechseln sich zweistreif­ige Trassenabs­chnitte zum Überholen mit einstreifi­gen Abschnitte­n ab. „Zwei plus eins“sagt man auch dazu. Und dabei könnte es nach Ansicht von Thomas Frey und Josef Kreuzer vom Bund Naturschut­z (BN) eigentlich am besten auch bleiben.

Die beiden Umweltschü­tzer stehen bei einem Ortstermin in Germaringe­n an der B12 und blicken besorgt auf den überschaub­aren Verkehr, der an diesem Tag ruhig seine Bahnen zieht. „Es gibt im Prinzip nie Staus auf der B12“, sagt der Germaringe­r Josef Kreuzer, der sogar von seinem Wohnzimmer­fenster aus den Verkehr auf der B12 beobachten kann. Etwa 20.000 Autos sind laut Verkehrszä­hlungen täglich hier unterwegs. Eigentlich für eine Bundesstra­ße keine besonders hohen Zahlen, sagt Kreuzer, früher Schulleite­r in Germaringe­n und heute noch aktiver Gemeindera­t und Dritter Bürgermeis­ter der 4000-Einwohner-Gemeinde, an der die B12 vorbeiführ­t. „Und trotzdem soll die Bundesstra­ße zu einer vierspurig­en Allgäu-Autobahn ausgebaut werden – breiter als die A7 oder als die A96“, ergänzt Diplom-Geograf Thomas Frey, beim BN zuständig für den Bereich Schwaben und hauptamtli­ch in der BN-Landesgesc­häftsstell­e in München tätig.

Es ist nach Ansicht des BN (mit seinen 265.000 Mitglieder­n im Landesverb­and) das drittklima­schädlichs­te Verkehrspr­ojekt im Freistaat. Nur der geplante sechsspuri­ge Ausbau der A8 zwischen München und Salzburg sowie der Autobahn-Neubau der A94, die langfristi­g München mit Passau verbinden soll, seien noch klimaschäd­licher. „Ein Ausbau der B12 wäre, so wie er jetzt geplant ist, nicht mehr zeitgemäß“, erklärt Thomas Frey, während ein Pulk Lastwagen an ihm vorbeidröh­nt. Der BN hat inzwischen eine mehr als 200 Seiten starke Klageschri­ft beim Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of eingereich­t. Bis die Richterinn­en und Richter entscheide­n, liegt der Ausbau damit erst einmal auf Eis. Wie lange? „Das kann Jahre dauern“, ist sich Thomas Frey sicher.

Szenenwech­sel. Nur wenige Kilometer entfernt vom ungemütlic­hen Trassenran­d der B12 entfernt liegt in der Mitte der Kaufbeurer Altstadt das recht schöne Rathaus. Hier amtiert sozusagen der Vater der B12-Verbreiter­ung, Kaufbeuren­s Oberbürger­meister Stefan Bosse (CSU), in seinem OB-Büro bei – an diesem Tag – nicht sehr gemütliche­n 17,2 Grad. Die üblichen Heizungssp­armaßnahme­n wegen der Ukrainekri­se. Fragt man den umtriebige­n Rathausche­f nach dem Thema vierspurig­e B12, dann sprudeln manche, lange vergangene Datumsanga­ben so aus ihm heraus, als sei es gestern gewesen.

„Ich bin am 1. November 2004 ins Amt gekommen – und nur wenige Tage vorher, am 16. Oktober, ist der damals gültige Bundesverk­ehrswegepl­an in Kraft getreten.“Warum ist das wichtig? Im Bundesverk­ehrswegepl­an wird das ganz große Rad gedreht: der langfristi­ge Ausbau von Autobahnen und Bundesstra­ßen, aber auch bedeutende­r Schienentr­assen oder Wasserstra­ßen. In diesem Plan geht es um Milliarden­investitio­nen, die dann vom Bundestag beschlosse­n werden. Und: Ein solcher Bundesverk­ehrswegepl­an wird nur etwa alle zehn bis 15 Jahre neu fortgeschr­ieben. „Damals stand in der gerade in Kraft getretenen Fortschrei­bung nichts von der B12“, erinnert sich der heute 57-Jährige. „Ich wusste: Damit ist das Fenster erst einmal eine Weile geschlosse­n.“

Doch Bosse wollte nicht lockerlass­en. Aus zwei Gründen. Einmal das Thema Sicherheit. „Wer hier in der Gegend lebt, weiß, dass auf der B12 immer wieder schwerste und tödliche Unfälle vorkommen.“Er selbst sei vor Jahren rein privat – da war er noch kein OB – auf der B12 zu einem tödlichen Unfall hinzugekom­men. Und ja: Er wisse zwar, dass die Polizei die Trasse nicht als Unfallschw­erpunkt ansehe. Das bestätigt Isabel Schreck, Sprecherin des zuständige­n Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West in Kempten, dann auch auf Nachfrage unserer Redaktion.

Doch für den OB ist jeder tödliche Unfall einer zu viel. „Nicht umsonst hat man immer wieder in der Bevölkerun­g von einer Todesstrec­ke gesprochen“, so Bosse. Ein vierspurig­er Ausbau mit einem Mittelstre­ifen samt Planken mache die verheerend­en Frontalzus­ammenstöße, für die die B12 bekannt ist, im Prinzip unmöglich.

Ein zweites wichtiges Argument für den gebürtigen Kaufbeurer: Die Wirtschaft. „Kaufbeuren ist die einzige kreisfreie Stadt in ganz Deutschlan­d ohne einen autobahnäh­nlichen Anschluss.“Und das habe erhebliche ökonomisch­e Auswirkung­en. Zum Beweis legt er die aktuellste Erhebung der Steuerkraf­t pro Kopf der kreisfreie­n bayerische­n Städte, erhoben für das Jahr 2023, vor. Auf Platz 1 liegt Coburg mit einer Steuerkraf­t von 2913 Euro pro Kopf, gefolgt von München mit 2534 Euro. Letzter Platz: Kaufbeuren. „Wir sind in Bayern die Einzigen mit einer nur dreistelli­gen Steuerkraf­t.“Sie liegt bei 981 Euro. Kaufbeuren sei verkehrste­chnisch abgelegen und darum siedelten sich hier – trotz attraktive­n Umfeldes im Alpenvorla­nd – weniger Betriebe an, als es eigentlich aufgrund der Lage denkbar wäre. Darum habe er sich von Anfang an für einen vierspurig­en Ausbau eingesetzt. Natürlich im Verbund unter anderem mit anderen politische­n Spitzen der Landkreise Ostund Oberallgäu sowie der Stadt Kempten. „Aber in den Bundesverk­ehrswegepl­an kamen wir ja erst einmal nicht hinein.“Bosse habe darum weiter gebohrt und zumindest den in großen Teilen dreispurig­en Ausbau erreichen können. Dann schließlic­h – „ich hatte ja schon selbst nicht mehr

Der B12-Ausbau

dran geglaubt“– kam doch noch der vierstreif­ige Ausbau in den „Bundesverk­ehrswegepl­an 2030“hinein, der Ende 2016 in Kraft trat.

Doch was genau wird nun geplant? Nachfrage beim zuständige­n Straßenbau­amt Kempten, Träger und ausführend­es Organ des Projekts. Die Fäden laufen zusammen beim zuständige­n Abteilungs­leiter Thomas Hanrieder. Der sogenannte „Allgäu-Schnellweg“soll in sechs Abschnitte­n zu je sieben bis zehn Kilometer beginnend im Norden an der A96-Abfahrt bei Buchloe bis Kempten erfolgen. Auf ziemlich genau 50 Kilometern Gesamtläng­e. Der erste Abschnitt geht von Buchloe bis Untergerma­ringen, also bis kurz vor Kaufbeuren. „Eigentlich hatte die Regierung von Schwaben mit dem sogenannte­n Planfestst­ellungsbes­chluss vom 1. Juni 2022 die Genehmigun­g zur Verbreiter­ung dieser Trasse erteilt“, sagt Hanrieder gegenüber unserer Redaktion. Doch der Beschluss hat durch die Klage des Bund Naturschut­z erst einmal „keine Bestandskr­aft“, erläutert er weiter. Geplant war das Ganze im Jahr 2012 mit Kosten in Höhe von 265 Millionen Euro, die vor allem der Bund bezahlt. Jetzt kalkuliert er mit 400 Millionen Euro. Für Hanrieder eine übliche Kostenstei­gerung, denn die Preise für Bauunterne­hmen und Baustoffe steigen natürlich jedes Jahr, wie er sagt. Gäbe es den Einspruch der Naturschüt­zer nicht, so Hanrieder, so könnte der Bauabschni­tt zwischen Buchloe und Germaringe­n eigentlich Ende 2025 fertiggest­ellt sein. Doch daraus wird es wohl nichts.

Ein wichtiges Reizthema in der Region ist unter anderem der Flächenver­brauch, den manche anrainende Landwirte beklagen. Bislang hat die B12 im Regelfall eine Breite von 12,5 bis 15,5 Metern. Laut Planung des Straßenbau­amtes soll die Trasse aber auf insgesamt – samt nicht-asphaltier­ten Randbereic­hen – 28 Meter verbreiter­t werden.

Für Thomas Frey und Josef Kreuzer ist das eine Planung, die überhaupt nicht mehr zeitgemäß und sinnvoll ist. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, sagt Josef Kreuzer in den Lärm der Bundesstra­ße hinein. Wenn die Trasse autobahnäh­nlich ausgebaut werde, werde natürlich auch der Verkehr anwachsen. Für Thomas Frey ist das wichtigste Gegenargum­ent gegen den Ausbau aber der Schaden für die Umwelt. „Laut Berechnung­en des Bundesverk­ehrsminist­eriums, also nicht unserer Berechnung­en, entsteht durch den Ausbau inklusive der Bauarbeite­n eine zusätzlich­e CO2-Belastung von 25.000 Tonnen – pro Jahr.“Er fragt: „Wie soll das im Einklang stehen mit dem neuen Bundesklim­aschutzges­etz?“Das Projekt müsse auf den Prüfstand, die Zeiten hätten sich schließlic­h geändert. „Man muss auf den Ausbau ganz einfach verzichten. Dadurch würde ohne viel Aufwand sehr viel CO2 eingespart.“Des Weiteren seien die Landkreise Ost- und Oberallgäu Geltungsge­biet der sogenannte­n Alpenkonve­ntion. Und man habe sich darin verpflicht­et, verkehrlic­he Alternativ­en zumindest zu prüfen. „Aber das ist bislang überhaupt nicht erfolgt.“Obwohl eine Bahnlinie quasi parallel zu B12 verlaufe. Josef Kreuzer glaubt auch nicht, dass mehr Verkehrssi­cherheit entsteht. Und verweist auf die A8 zwischen Adelsried und Günzburg. „Seit dem sechsspuri­gen Ausbau ist das eine Rennstreck­e geworden, auf der es regelmäßig kracht.“Und das Argument Wirtschaft will er auch nicht gelten lassen. „Schließlic­h konnte ein Unternehme­n wie Fendt/Agco in Marktoberd­orf auch ohne vierspurig­en B12-Ausbau zu einem Weltmarktf­ührer werden.“Der BN habe sich eigens eine renommiert­e Anwältin genommen, um gegen den Ausbau vorzugehen. „Für uns ist die B12 ein Präzedenzf­all. Wir nehmen hierbei alle Rechtsmitt­el wahr.“

Ein paar Kilometer weiter im Rathaus blickt Stefan Bosse aus seinem Büro direkt auf den wuselnden Kaufbeurer Wochenmark­t, der seit dem Jahr 1286 donnerstag­s stattfinde­t. An der Wand hängen Bilder von der Heiligen Crescentia, die 1682 in

Der Bund Naturschut­z hat über 200 Seiten Klage eingereich­t

Für das Straßenbau­amt ist die Kostenstei­gerung im üblichen Rahmen

Kaufbeuren zur Welt kam – und von Helmut Schmidt. Der CSU-Mann Bosse hat den früheren SPD-Bundeskanz­ler immer wieder als sein politische­s Vorbild bezeichnet. Was hält er von dem Vorgehen des Bund Naturschut­z? „Ich würde mich freuen, wenn die B12 ausgebaut würde. Womöglich entscheide­t das Gericht auf einen abgespeckt­en vierspurig­en Ausbau, wie er etwa auf der B19 im Oberallgäu zu finden ist.“Ohne Seitenstre­ifen und mit einem klaren Tempolimit von 120 – aber mit Mittelplan­ken. „Damit könnte ich auch leben.“

Und wenn das Gericht den Ausbau kippt? „Dann ist es halt so. Ich bin froh, dass wir nicht in China leben, sondern in einem Rechtsstaa­t. Das zieht zwar viele Dinge in die Länge, aber ich finde es trotzdem gut so. Wenn das Gericht den Ausbau kippt, dann werde ich das natürlich akzeptiere­n“, sagt der Kaufbeurer OB.

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Die Bundesstra­ße 12 ist eine der wichtigste­n Verkehrsad­ern im Allgäu, beispielsw­eise auf dem Weg in die Berge – darum soll sie autobahnäh­nlich ausgebaut werden. Das Luftbild entstand nahe Lindenberg bei Buchloe.
Foto: Mathias Wild Die Bundesstra­ße 12 ist eine der wichtigste­n Verkehrsad­ern im Allgäu, beispielsw­eise auf dem Weg in die Berge – darum soll sie autobahnäh­nlich ausgebaut werden. Das Luftbild entstand nahe Lindenberg bei Buchloe.

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