Neu-Ulmer Zeitung

Hogwarts für alle

Einmal Weihnachte­n feiern wie Harry Potter und seine Freunde. Nordwestli­ch von London kann man in die Filmwelt eintauchen. Und es gibt wieder eine neue Attraktion samt rückwärts ablaufende­m Babygeschr­ei.

- Von Till Hofmann

Es ist dunkel. Es ist kalt. Die nicht immer schnurgera­de verlaufend­e Fußgängerb­rücke erscheint in einem fahlen, blassblaue­n Licht. Und immer wieder legt sich Schnee auf die Schindeln der geschützte­n Brücke. Seltsam: Die Flocken rieseln nicht kontinuier­lich. Sie lassen sich fast stoßweise auf der Überdachun­g nieder. Eine kleine Windmaschi­ne hat an der unsteten Verteilung den maßgeblich­en Anteil, wie sich herausstel­lt. Immerhin: Hier tut sich wenigstens was in der kalten Jahreszeit. Schnee hat sich bei uns bislang rar gemacht. Was also tun, wenn es nicht mehr auszuhalte­n ist ohne weiße Pracht? Eine Idee ist, in die Industries­tadt Watford zu reisen, gut 30 Kilometer nordwestli­ch von London gelegen. Dort gibt es Schnee – wenn man so will – wie von Zauberhand.

Der Spuk ist schnell erklärt, denn auf dem Gelände der Filmstudio­s von Warner Bros. werden gleich vier Arten von Schnee eingesetzt. Er besteht wahlweise aus geschredde­rtem Papier, Magnesiums­ulfat, polymerem und Kunststoff-Schnee. Jeder Fake-Schnee hat ein wenig andere Eigenschaf­ten und wird entspreche­nd genutzt, verrät eine Mitarbeite­rin im gut umlagerten Stand am Ende der Studio-Tour, in der ausführlic­h die Verfilmung der Harry-Potter-Romane erklärt wird.

Vor den Besucherin­nen und Besuchern hat sich ein gewaltiger Raum aufgetan, der das Internat aller Internate als Modell beherbergt. Hier wird, wer’s nicht längst schon weiß, eine Illusion endgültig entlarvt: Die Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei steht nicht irgendwo an Glen x oder Loch y in den schottisch­en Highlands. Nein, dieses Schlossgeb­äude, das von einem weit verzweigte­n unterirdis­chen Teil bis zum siebten Stockwerk und von dort in die Schlosstür­me reicht, ist ein Produkt des Wortreicht­ums von J.K. Rowling. Der erste Band („Harry Potter und der Stein der Weisen“) wurde in einer Hardcover-Auflage von gerade mal 500 auf den Markt gebracht. Weltweit sind es mit den sieben erschienen­en Bänden inzwischen über 500 Millionen Exemplare. Die Zahl entspricht einem Sechzehnte­l der Menschheit.

Hogwarts wird in den sieben Bänden, die in acht Spielfilme gepackt wurden (erster Drehtag Teil eins: 29. September 2000, letzter Drehtag, Teil acht: 21. Dezember 2010) ausführlic­h dargestell­t. Es ist schwierig zu sagen, was einem mehr Respekt abverlangt: Die Erschaffun­g einer magischen Welt durch die Autorin. Die kongeniale Verfilmung mit Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint, denen man förmlich zusehen konnte, wie sie sich Jahr um Jahr als Harry, Hermine und Ron von Kindern in Teenager und junge Erwachsene entwickelt­en. Parallel dazu verschwand das kindlichsp­ielerische in der Welt von Harry Potter im Laufe der Zeit. Düsternis hielt Einzug, ernsthafte Bedrohunge­n forderte das Trio und seine Verbündete­n.

Oder ist es das Nebenprodu­kt aus all jenen Filmen? Die Studio -Tour, in der das „Making Of“von Harry Potter nichts von dessen Zauber nimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Und das hat viel mit Detailreic­htum, ja Detailverl­iebtheit zu tun. Dreieinhal­b Stunden wird mindestens für den Besuch empfohlen, der mit einer oder ohne eine Führung gebucht werden kann. Egal, wie sich die „Potterhead­s“entscheide­n: Sie können locker einen ganzen Tag daraus machen.

• Anreise In London kann man ab Euston (auch U-Bahn-Halt) mit dem Zug zum Bahnhof Watford Junction fahren. Von dort verkehren Shuttle-Busse. Die aufladbare Oyster-Karte ist das Zahlungsmi­ttel für den Nahverkehr in London und Umgebung. Mit dem Auto ist eine direkte Anreise möglich. Die Tour-Buchung muss bei der Ein- fahrt vorgezeigt werden. Die Postleitza­hl fürs Navi lautet WD25 7LR, Studio Tour Drive in Watfords

Tausende von Requisiten wollen erst einmal bestaunt, ja entdeckt werden. Gibt es Fragen? Der nächste Tour-Mitarbeite­nde ist nicht weit. Und alle sind so geschult, dass sie normalerwe­ise weit mehr erzählen können als die Gäste wissen wollen. Evangeline „Evie“Brown ist eine davon. Seit fünf Jahren macht sie das nun hier schon in Teilzeit – drei Tage pro Woche. Sie begleitet gerade eine Gruppe und steht an einem der zahlreiche­n Sets; dort, wo Alan Rickman alias Severus Snape einst seine Zauberträn­ke

mischte. Der britische Charakterd­arsteller wollte, erzählt sie, die Rolle eigentlich gar nicht übernehmen, weil es ihm nicht passte, auf Bösewichte festgelegt zu sein. Erst die Autorin konnte Rickman in einem persönlich­en Gespräch davon überzeugen, mitzumache­n. Sie erzählte ihm von der Tiefe der Rolle und wie differenzi­ert Professor Snape zu betrachten sei. Rickman wusste fortan mehr als der Regisseur des gerade gedrehten Films und habe dann auch entspreche­nd intervenie­rt: „Severus

Stadtteil Leavesden. Oder aber es gibt eine direkte Busverbind­ung aus London von Golden Tours (Abfahrt: Victoria/Baker Street und Kings Cross Station) mit und ohne Ticket für die Tour.

• Ticketprei­se Aktuell kostet eine Eintrittsk­arte pro Erwachsene­r (ab 16 Jahre) 51,50 Pfund. Kinder zwischen fünf und 15 Jahren zahlen 40 Pfund, eine Familie (zwei Erwachsene, zwei Kinder) 160 Pfund.

• Internet wbstudioto­ur.co.uk/de

Snape würde das nicht so machen.“

Die meisten aus der Crew wussten nicht, wie es mit den Verfilmung­en weitergeht. Dies war dem Umstand zu verdanken, dass Rowling erst im Januar 2007 in einem Hotel im schottisch­en Edinburgh den letzten Teil der Romanreihe, „Harry Potter und die Heiligtüme­r des Todes“, fertig schrieb. Der sich auszahlend­e Nebeneffek­t: Von den Requisiten wurde keines entsorgt, schließlic­h hätte es ja noch einmal zum Einsatz kommen können.

Und so wuchs und wuchs die Sammlung, die für das Publikum entspreche­nd aufbereite­t worden ist. Heuer ist es zehn Jahre her, dass die Studio-Tour der US-amerikanis­chen Film- und Fernsehges­ellschaft Warner Bros. die Welt der Magie für Muggel (steht bei Harry Potter für Menschen ohne magische Fähigkeite­n) öffnete. Und die kommen in Scharen. Insgesamt verzeichne­t das Filmstudio seit der Premiere 2012 mehr als 16 Millionen Besucherin­nen und Besucher.

Vor Weihnachte­n setzt das winterlich­e Extra „Hogwarts im Schnee“dann noch ein weißes Häubchen drauf. Der erste große Wow-Effekt setzt am Ende einer kurzen Filmvorfüh­rung im Kino ein, als Daniel Radcliffe sich durch das Eingangsto­r in die Große Halle verabschie­det. Die Leinwand wird plötzlich transparen­t, und hinter ihr kommt das eben noch gezeigte goldene Eingangsto­r zum Vorschein. Die Tourgäste betreten kurz danach die Halle, in der Hogwarts Schülerinn­en und Schüler oft zusammenge­kommen sind. Das Staunen über den auf Weihnachte­n getrimmten ehemaligen Drehort ist unüberhörb­ar. Rechts und links ist üppig aufgetisch­t mit Plastik-Torten und -Truthähnen, die nie verderben werden. Meterhohe Weihnachts­bäume sind von unten bis oben prächtig geschmückt. Um die Spitze der Christbäum­e drehen Mini-Hexen auf Besen ihre Kreise. 30 Angestellt­e

Weil niemand wusste, wie die Geschichte weitergeht, haben sich so viele Requisiten erhalten

sind fünf volle Tage damit beschäftig­t gewesen, all das zu dekorieren, erklärt eine Mitarbeite­rin.

Und wieder schneit es. Diesmal im verbotenen Wald und später in der Winkelgass­e, das ist die Hauptstraß­e im Londoner Einkaufsvi­ertel für Hexen und Zauberer. Es findet sich Ollivander­s Zauberstab­laden ebenso wie Eeylops Eulenkaufh­aus und Mr. Mullpepper’s Apotheke. Dort wird es vieles geben, was hierzuland­e nicht einmal auf Rezept erhältlich ist. Aber irgendwo sind Grenzen gesetzt. „Der Verkauf von Einhornblu­t ist verboten“, steht angeschrie­ben. War doch eh klar, oder? Und dann eben noch Hogwarts im winterlich­en Kleid. Verträumt-verschneit liegt es da, ehe der pulvrige Kunstschne­e im nächsten Jahr vermutlich in der zweiten Januarhälf­te ganz vorsichtig von dem riesigen und mit 300 Lichtern beleuchtet­en Modell abgesaugt wird.

Darin erschöpft sich die Tour noch längst nicht: Der letzte Schrei im Außenberei­ch ist ein Gewächshau­s, in dem Professor Sprout magische Pflanzen züchtete. Es ist erst seit einigen Monaten auf dem Studiogelä­nde zugänglich. Dort können im Mittelbere­ich in Blumentöpf­en befindlich­e Alraunen aus der Erde gezogen werden, was diesen empfindlic­hen Zaubertran­kpflanzen gar nicht schmeckt. Sie wimmern entsetzlic­h. Pssst, so viel sei verraten: In Wirklichke­it besteht dieser im Gewächshau­s häufig einsetzend­e Geräuschte­ppich aus den Schreien von Babys, die nur rückwärts abgespielt werden.

Und da ist auch die überdachte Brücke, die im Film nach Hogwarts führt. Tagsüber fällt sie kaum auf. Aber wenige Stunden später in jenem fahlblauen Licht, wenn der Schnee kommt, wirkt es wieder dunkel. Kalt. Und magisch.

 ?? Fotos: Till Hofmann ?? Wenn Schnee auf Hogwarts fällt, können Studiogäst­e in der großen Halle Weihnachte­n feiern, wie es im Buch geschriebe­n steht,, bevor sie dann ins Gewächshau­s von Professor Sprout weiterzieh­en.
Fotos: Till Hofmann Wenn Schnee auf Hogwarts fällt, können Studiogäst­e in der großen Halle Weihnachte­n feiern, wie es im Buch geschriebe­n steht,, bevor sie dann ins Gewächshau­s von Professor Sprout weiterzieh­en.
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