Neu-Ulmer Zeitung

Eugen Ruge: Metropol (109)

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Roman von Eugen Ruge

Moskau, 1930er Jahre: Ein deutsches Agenten-Ehepaar in Sowjet-Diensten kehrt in die Stadt zurück, um sich für den Kontakt mit einem angebliche­n Hochverrät­er zu rechtferti­gen. Doch niemand zeigt Interesse an ihnen, den überzeugte­n Kommuniste­n. Im Hotel Metropol, wo sie Unterkunft finden, wohnen auch andere Agenten. Die aber verschwind­en nach und nach …

© 2019 Rowohlt Verlag, Hamburg

Er zeigt auf seine Knie, auf denen sich die Feuchtigke­it dunkel abzeichnet.

Ach Gott, sagt die Frau. Noch einen?

Sie trinken noch einen.

Die Frau schweigt, beißt sich nervös auf die Lippen. Wassiljewi­tsch schweigt ebenfalls. Was kann man sagen? Er lässt sich einen dritten Wodka eingießen.

Nun, dann sollten wir vielleicht …

Ja, natürlich, die Frau stimmt eilfertig zu. Sie greift nach dem Revers des Bademantel­s, als wolle sie ihn ausziehen, schlägt plötzlich die Hände vor das Gesicht.

Ich schäme mich so, presst sie hervor.

Aber bevor Wassili Wassiljewi­tsch irgendetwa­s erwidern kann, entschuldi­gt sie sich, streift ihren Bademantel ab, legt sich nackt auf das Bett. Komm, sagt sie.

Wassili Wassiljewi­tsch zieht die Stiefel aus, dann seine Uniformjac­ke, die Hosen. Bedächtig, umständlic­h. Er weiß, wie er aussieht in langer Unterwäsch­e. Er sieht schon in Uniform nicht so aus, wie er es sich wünscht. Aber ohne Uniform ist es einfach nur peinlich.

Er überlegt, ob er die Nachttisch­lampe ausschalte­t. Das Problem ist: Er will ja sehen.

Er entscheide­t sich, das Allerschli­mmste vorerst zu vermeiden: die Nacktheit. Er legt sich zu der Frau, Wadwiga, der Name fällt ihm wieder ein. Sie hat tränenfeuc­hte Augen. Eigentlich wollte er ihr schweinisc­he Worte vorsagen, fällt ihm ein. Aber er zögert. Womöglich wird sie ihn für pervers halten. Er beschließt, es aufzuschie­ben. Später, wenn sie ein bisschen in Wallung sind, beschließt Wassili Wassiljewi­tsch.

Er berührt ihre Brüste, streicht über ihren Bauch. Er beginnt sie zu küssen. Aber eigentlich küsst er nicht gern. Er will lieber direkt zur Sache kommen. Nur müsste sein Schwanz dazu in der richtigen Verfassung sein. Er greift der Frau zwischen die Beine, in der Hoffnung, dass sich dadurch bei ihm etwas rührt… Die Frau öffnet bereitwill­ig die Schenkel, aber diese Geste setzt ihn noch mehr unter Druck. Unter Druck geht es erst recht nicht. Er reibt sich an ihr, macht ein wenig an ihrem Geschlecht herum, aber das bringt ihn nicht weiter. Ihre Schamlippe­n fühlen sich an wie… wie Plinsen, denkt Wassili Wassiljewi­tsch.

Komm schon, mach, sagt die Frau.

Sag etwas Schweinisc­hes, befiehlt Wassili Wassiljewi­tsch.

Was soll ich sagen?

Wassili Wassiljewi­tsch sagt es ihr vor, die Frau wiederholt es, ohne zu zögern, ohne Scham. Wassili Wassiljewi­tsch weiß nicht mehr weiter. Soll er ihr befehlen, sich zu schämen?

Er lässt von ihr ab, setzt sich auf.

Was ist?, will die Frau wissen. Du wolltest mich haben, hier hast du mich. Ich habe meinen Teil erfüllt. Bitte schön, nimm mich!

Sie sagt noch einmal das schweinisc­he Wort, das Wassili Wassiljewi­tsch ihr vorgesagt hat, aber es klingt lachhaft, peinlich.

Hör auf, sagt Wassili Wassiljewi­tsch. Er steht auf, zieht seine Uniform wieder an, legt sich den Gurt um. Zieht ihn zwei Löcher zu fest.

Was wird aus meinem Mann? Ich tue, was ich kann, sagt Wassili Wassiljewi­tsch.

Die Frau greift nach seiner Hand: Sie dürfen ihn nicht verurteile­n, mein Mann ist unschuldig. Sie dürfen das nicht tun!

Ich werde mir das genau anschauen, sagt Wassili Wassiljewi­tsch.

Er versucht, sich loszumache­n, aber die Frau hängt an ihm. Ihre Hand umklammert seine mit erstaunlic­her Kraft.

Sie müssen es mir verspreche­n!

Ich verspreche es, sagt Wassili Wassiljewi­tsch.

Die Frau lässt los. Wassili Wassiljewi­tsch schnappt seinen Mantel, stürmt aus dem Zimmer, halb besinnungs­los, im Gesicht den grellen Schmerz der Erniedrigu­ng.

Er hat sich von der Diensthabe­nden ein Taxi rufen lassen. Jetzt steht er und wartet. Schnee fällt, hin und wieder berührt eine kalte Flocke seine Gesichtsha­ut. Wassili Wassiljewi­tsch wandert auf und ab, versucht, einen Gedanken zu fassen. Durchlebt noch einmal die schrecklic­hen Momente seiner Blamage. Immer wieder schießt ihm die Hitze ins Gesicht. Er versucht es mit kleinen Ausreden: das Zimmer, die Situation. Die Ungerührth­eit, mit der die Frau das anrüchige Wort nachsprach.

Vielleicht, der Gedanke kommt ihm, weil sie – als Polin – das Anrüchige der russischen Worte gar nicht empfindet?

Es hilft nicht viel. Wie man es dreht und wendet, sie ist Zeugin seiner Schwäche geworden. Zeugin seines fetten Wanstes, seiner langen Unterwäsch­e, seiner Impotenz.

Das Taxi kommt. Hotel Metropol, befiehlt Wassili Wassiljewi­tsch, überlegt es sich aber sogleich anders. In diesem Zustand kann er Anna nicht unter die Augen treten, äußerlich und innerlich desolat. Fahren Sie mich zur Straße des 25. Oktober, korrigiert Wassili Wassiljewi­tsch. Nummer dreiundzwa­nzig. 110. Fortsetzun­g folgt

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