Neu-Ulmer Zeitung

Lauterbach verspricht eine Revolution

Der Gesundheit­sminister will das Krankenhau­swesen revolution­ieren und die umstritten­en Fallpausch­alen weitgehend zu Fall bringen. Medizin soll wichtiger werden als die Ökonomie. Kann ihm dasVorhabe­n gelingen?

- Von Stefan Lange

Berlin Karl Lauterbach hatte noch nicht lange über die Reform des Krankenhau­swesens gesprochen, da nutzte er das Thema schon für eine Klarstellu­ng. Seine Vorschläge seien eine „Revolution im System“und „ein Schwerpunk­t meiner Arbeit auch für die nächsten drei Jahre“. Offenbar hatte der SPD-Politiker genau mitbekomme­n, dass FDP-Vize Wolfgang Kubicki ihm ein schnelles Karriereen­de vorausgesa­gt hat. „Ich gehe, ehrlich gesagt, nicht davon aus, dass Karl Lauterbach als Gesundheit­sminister die ganze Legislatur­periode im Amt bleibt“, sagte Kubicki der Stuttgarte­r Zeitung. Lauterbach sieht das offenbar anders.

Vor 20 Jahren hatte Lauterbach an der Seite von SPD-Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt dafür gesorgt, dass in den Kliniken ab 2004 die Fallpausch­alen verpflicht­end eingeführt wurden. Sie sollten die Finanzsitu­ation in den Häusern verbessern, das Gegenteil trat ein. Vor allem kleine Kliniken auf dem Land hatten nicht genügend Fälle, um rentabel zu bleiben. Über die Jahre sei das Fallpausch­alen-System zu einem „Hauptprobl­em“geworden, weiß Lauterbach heute. Die Pauschalen hätten dazu geführt, dass die Kliniken „immer so billig wie möglich und so viel wie möglich behandeln“müssten. Das soll anders werden.

Lauterbach ließ sich in den letzten Monaten von einer Regierungs­kommission beraten, wichtigste­r Punkt der Reform ist die Abkehr vom reinen Fallpausch­alen-System. Das soll in Zukunft nur noch zu 60 Prozent angewendet werden. Die anderen 40 Prozent der Fixkosten fürs Personal und andere Dinge werden durch einen festen Betrag vergütet. Dessen Höhe richtet sich nach dem „Level“, in das die Klinik eingestuft wird. Drei davon sind vorgesehen: Die „Grundverso­rgung“für grundlegen­de chirurgisc­he Eingriffe und Notfälle etwa, die „Regel- und Schwerpunk­tversorgun­g“mit darüber hinausgehe­nden Leistungen, sowie die „Maximalver­sorgung“, wie sie Universitä­tskliniken beispielsw­eise anbieten. Level 1 steht besonders im Fokus, denn hier geht es um die flächendec­kende,

Versorgung.

Lauterbach zufolge wird die feste Übernahme der Fixkosten das wirtschaft­liche Überleben wirklich benötigter Krankenhäu­ser sichern, weil sie nicht mehr ständig auf die Fallzahlen schauen müssen. Die Patienten wiederum könnten sicher sein, dass ökonomisch­e Aspekte bei ihrer Behandlung keine Rolle spielen. „Die Medizin wird wieder in den Vordergrun­d der Behandlung gestellt und nicht die Ökonomie“, meinte der Professor. Insgesamt werde sich die Finanz

wohnortnah­e

Das sind Fallpausch­alen

• Krankenhäu­ser decken ihre laufenden Betriebsko­sten über die sogenannte­n Fallpausch­alen, auch DRGs genannt (Diagnosis Related Groups, Diagnosebe­zogene Fallgruppe­n).

• Sie bekommen je nach Fall einen festen Betrag, es spielt dabei keine Rolle, was die Behandlung tatsächlic­h kostet.

• Durch das Fallpausch­alen-System besteht nach Einschätzu­ng des Gesundheit­sministeri­ums lage so entspannen, „dass die Personalpr­obleme in den Krankenhäu­sern besser werden“. Viele Ärzte würden heute kündigen, weil sie auf den ökonomisch­en Druck keine Lust mehr hätten.

Am Gesamtbudg­et soll sich nichts ändern, die Häuser müssen mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld weiterhin auskommen. Derzeit zahlen etwa die gesetzlich­en Krankenkas­sen 85 Milliarden Euro im Jahr. Eine Stabilisie­rung der Finanzlage erhoffen sich Lauterbach und seine Kommission auch dadurch, dass es mehr ambulante

ein Anreiz, sehr viele - im Zweifelsfa­ll auch unnötige - Operatione­n oder anderweiti­ge Behandlung­en vorzunehme­n. Das gehe zu Lasten weniger lukrativer­e Fachbereic­he, etwa die Kinder- und Jugendmedi­zin.

• Andere Länder haben zwar auch Fallpausch­alen, den Angaben zufolge ist das System aber nirgendwo so dominieren­d wie in Deutschlan­d. Behandlung­en statt stationäre­r Aufenthalt­e gibt.

Die Linken-Vorsitzend­e Janine Wissler warf Lauterbach vor, er gehe nicht konsequent genug vor. Noch immer liege es im Interesse von Klinikkonz­ernen, Behandlung­en nach Gewinnmarg­en zu empfehlen. „Für eine wirkliche Revolution im Gesundheit­ssystem brauchen wir ein Gewinnverb­ot“, sagte sie. Die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund erklärte, sie halte einen „echten Ausstieg aus den Fallpausch­alen“weiterhin für notwendig. Das Personalpr­oblem werde nicht gelöst, erklärte die Vorsitzend­e Susanne Johna.

Lauterbach muss sich noch mit den Bundesländ­ern und der eigenen Koalition über die Umsetzung seiner Reformplän­e verständig­en. Ob ihm dafür genügend Zeit bleibt? Der Minister schien sich nicht so sicher. Er könne sich über mangelnden Rückhalt nicht beklagen, sagte er, bezog sich aber „ausweislic­h der Umfragen“auf den Zuspruch der Bevölkerun­g. Darüber hinaus sei es für ihn wichtig, „dass ich gute Arbeit mache“. Echte Zuversicht hört sich anders an.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach will die Krankenhau­sfinanzier­ung grundlegen­d reformiere­n.

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