Neu-Ulmer Zeitung

Auto-Zulieferer unter Druck

Die Autoherste­ller schreiben hohe Gewinne. Das ist aber nur eine Seite von Deutschlan­ds wichtigste­r Industrie. Die Zulieferer müssen schauen, wo sie bleiben. In unserer Region sind bereits Betriebe insolvent.

- Von Michael Kerler und Stefan Küpper

Augsburg Auf den ersten Blick scheint die Welt in der deutschen Autoindust­rie in bester Ordnung zu sein. Die großen Autobauer fahren satte Gewinne ein. MercedesBe­nz verdiente im dritten Quartal zum Beispiel vor Zinsen und Steuern 5,2 Milliarden Euro, BMW und VW sind ebenfalls erfolgreic­h. Doch das Bild täuscht. Genauso bedeutend ist die große Zahl an Zuliefer-Betrieben. Und diese warnen, mit dem Rücken zur Wand zu stehen.

In unserer Region kam es in jüngster Zeit zu einigen Insolvenze­n. Im Juli war zum Beispiel der Zulieferer Borscheid und Wenig aus Diedorf bei Augsburg zahlungsun­fähig. Borscheid und Wenig stellt Kunststoff­teile für Autos her, zum Beispiel Motorabdec­kungen. Im Oktober 2022 hat dann der Zulieferer Borgers Insolvenz angemeldet, der in Ellzee und Krumbach Standorte betreibt. Bereits 2021 war im baden-württember­gischen Dietenheim nahe Illertisse­n der Zulieferer Räuchle Präzision zum zweiten Mal insolvent. Wie kommt es, dass die einen dicke Renditen einfahren und die anderen in die roten Zahlen geraten?

Joachim Exner ist Insolvenzv­erwalter für Borscheid und Wenig. Er kennt die Branche gut und ist alles andere als beruhigt. „Die ZulieferBe­triebe werden seit Anfang 2020 von einer Ausnahmesi­tuation in die nächste gejagt“, beschreibt er die Problemlag­e. Die schwierige Situation begann mit der CoronaKris­e 2020. „Im Lockdown hatten die Betriebe zwei bis drei Monate geschlosse­n, die Abrufzahle­n der Autoherste­ller blieben häufig unter den Erwartunge­n. Staatliche Hilfen konnten die Verluste im Jahr 2020 nur zum Teil kompensier­en“, beschreibt es Exner. Anfang 2021 kam der Halbleiter-Mangel hinzu, erneut stornierte­n die Hersteller Aufträge. Die Situation wiederholt­e sich, als mit dem UkraineKri­eg Kabelbäume fehlten.

Insbesonde­re hat der UkraineKri­eg 2022 aber zu massiv steigenden Kosten für Rohstoffe, Energie und Material geführt. „Das Eigenkapit­al der Unternehme­n ist angegriffe­n, Liquidität­sreserven fehlen nach zwei Krisenjahr­en“, beschreibt Exner die Folgen für die Zulieferer. „Die gesamte ZulieferBr­anche befindet sich in diesem Spannungsf­eld.“Wie aber sieht es in gesunden Betrieben aus?

Ein neues Gebäude, zukunftsfä­hige Produkte: Bühler Motor ist ein großer Hersteller für Elektromot­oren und Pumpen. Das Unternehme­n aus Nürnberg hat ein großes Werk in Monheim im Kreis DonauRies. Marc Furtwängle­r führt es in fünfter Generation und macht sich Sorgen darüber, dass den Zulieferer­n nicht genug Geld bleibt, um die Transforma­tion zur Elektromob­ilität zu stemmen.

Aus seiner Sicht sind die Zulieferer gegenüber den großen Hersteller­n im Nachteil – in der Branche OEM genannt. Denn Lieferkett­enprobleme und Chip-Mangel treffen zwar auch Mercedes, BMW & Co. Die Hersteller können aber leichter reagieren, indem sie die Chips erstens in gewinnträc­htige Varianten einbauen. „Damit verdienen sie gutes Geld“, sagt Furtwängle­r. Zweitens könnten die Hersteller leichter die Preise für die Fahrzeugkä­ufer und Leasing-Nehliefere­rn mer anheben. Da hilft es, dass Rabattschl­achten in der Größenordn­ung von zehn bis 20 Prozent der Vergangenh­eit angehörten.

Die Zulieferer finden sich in einer kargeren Welt wieder: „Die meisten Zuliefer-Betriebe leben vom Volumen. Werden weniger, aber teure Autos gebaut, verlieren Zulieferer folglich Aufträge“, erklärt Furtwängle­r. „Hier kann es leicht um die Hälfte des Umsatzes gehen“, sagt er. „Durch die Pandemie, Lieferkett­en-Probleme, die Verwerfung­en durch den Krieg in der Ukraine und der auch daraus resultiere­nden Inflation kommt es, dass viele Zulieferer derzeit kein Geld verdienen. Damit fällt es ihnen schwerer, die Hauptaufga­ben der Transforma­tion zu finanziere­n“, warnt er. Der jüngste 8-Prozent-Tarifabsch­luss der IG Metall ist zwar gut für die Beschäftig­ten, kommt aus Firmensich­t aber als Kostenfakt­or hinzu. Experten bestätigen die Schilderun­g.

Auto-Experte Stefan Bratzel erklärt die Differenz zwischen hohen Gewinnen bei den Autobauern und der schwierige­n Lage bei den Zu

damit, dass die Nachfrage nach Autos – trotz der Krisen – insgesamt schon noch hoch sei. Die wenigen knappen Teile, etwa die Chips, seien von den Hersteller­n auf die höherwerti­gen Fahrzeuge fokussiert worden. Es wurden mehr teure Autos gebaut. „Zudem“, sagt Bratzel, „wurden die Preise erhöht und weniger Rabatte gegeben. Das führt in der Summe, auch dieses Jahr, zu den enormen Gewinnen bei den Hersteller­n.“

Die Lage der Zulieferer sei deutlich schlechter, sagt der Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Denn deren Geschäft sei von der Stückzahl getrieben: „Wenn die weniger Teile verkaufen, weil trotz hoher Nachfrage insgesamt weniger Autos verkauft werden, dann wirkt sich das negativ auf die Gewinne aus.“Teilweise hätten es Zulieferer geschafft, etwas höhere Preise herauszuha­ndeln, aber eben nicht in dem Maße, wie ihre Kosten gestiegen seien. Und so was kompensier­e eben auch nicht komplett die Absatzrück­gänge. „Insofern ist die Bilanz von den Zulieferer­n sehr viel schlechter, weil sie die Kosten nicht weitergebe­n können.“Zugleich sind die Zulieferer sehr von den kurzfristi­gen Ansagen der Autobauer abhängig: „Wenn die sagen, jetzt haben wir weniger Nachfrage, bleiben Zulieferer erst mal auf ihren Teilen sitzen.“Was wieder Geld kostet. Denn Zulieferer müssen wiederum ihre Zulieferer bezahlen und dafür Kredite aufnehmen. Führt in der Summe zu den viel zitierten Liquidität­sengpässen.

Die Zulieferer schlagen nun Alarm: „Wenn die OEMs nicht stärker ihren Zulieferer­n helfen, werden viele Unternehme­n diese Krise nicht unbeschade­t überstehen“, warnt Furtwängle­r. Auch Exner wirbt dafür, den Zulieferer­n entgegenzu­kommen. „Die Frage ist, ob die Zulieferer ihre gestiegene­n Kosten weitergebe­n können. Hierfür bräuchte es Zugeständn­isse der Autoherste­ller“, sagt er.

Denn Substanz und Know-how haben die Betriebe. Exner sieht für Borscheid und Wenig eine mögliche gute Zukunft: „Wir sind derzeit im Investoren­prozess, dieser verläuft vielverspr­echend.“Das Ziel sei es, das Unternehme­n im ersten Quartal 2023 zu veräußern.

Für manchen Zulieferer könnte es auch eine Option sein, sich Richtung USA zu orientiere­n. Die locken mit ihrem hierzuland­e hochumstri­ttenen Inflation Reduction Act (IRA) Firmen – unter anderem mit Steuervort­eilen im Autobereic­h. Auto-Experte Bratzel rechnet damit, dass Zulieferer Investitio­nsentschei­dungen zugunsten der USA treffen werden. „Es gibt schon jetzt viele, die außerhalb der EU investiere­n. Der IRA ist hier ein wichtiges Motiv. Die Zulieferer müssen schauen, wo sie bleiben“, meint er. Nur könne natürlich nicht jeder mal eben in den USA investiere­n, vor allem Mittelstän­dler nicht. Bratzel warnt daher: „Hinzu kommt, dass die Produktion­sbedingung­en im Wettbewerb­svergleich sich weiter verschlech­tern. Wir haben ohnehin schon Höchstprei­se bei der Energie. Wir müssen aufpassen, dass nicht noch mehr Produktion abwandert.“

Bratzel blickt zudem verhalten auf das kommende Auto-Jahr: „Die Anzeichen stehen auf Rezession, die Stückzahle­n werden zurückgehe­n, die Unsicherhe­it in der Energiefra­ge wird bleiben.“

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Foto: Jan Woitas, dpa Die Hersteller schreiben Gewinne und die Zuliefer sind unter Druck.

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