Neu-Ulmer Zeitung

Kroatiens weltmeiste­rliche Spezialdis­ziplin

Siege im Elfmetersc­hießen sind bei der Auswahl des Balkanstaa­tes offenbar Programm und werden unter den Torhütern schon mal weitervere­rbt. Dem aktuellen Helden Livakovic gelang gegen Japan Historisch­es.

- Von Frank Hellmann

Doha Es war Dominik Livakovic nicht mal übel zu nehmen, dass er auf dem ausgeleuch­teten Podium der Pressekonf­erenz deutlich überforder­ter wirkte als auf dem strapazier­ten Rasen im Stadion Al Janoub. In Windeseile war der kroatische Keeper von den Jubelfeier­n mit feurigen Fans zu den wartenden Reportern gekommen, als ihn erste Fragen auf Englisch erreichten. Nicht so einfach für einen, der - übrigens genau wie Weltstar Luka Modric - in Zadar an der Adriaküste aufwuchs und seit seinem 17. Lebensjahr immer nur in Zagreb spielte. Als einer der wenigen Nationalsp­ieler aus dem Balkanstaa­t ohne Auslandser­fahrung brauchte der Tormann mit den Grasflecke­n am grünen Jersey also ein bisschen Übersetzun­gshilfe, dabei war ja klar, um was es ging.

Drei von vier japanische­n Versuchen in einem Elfmetersc­hießen abzuwehren, war fürwahr meisterhaf­t. „Das hat mit dem richtigen Gespür und der Gegneranal­yse zu tun“, sagte der 27-Jährige, dessen 38. Länderspie­l im Stadtteil AlWakrah von Doha eines fürs Geschichts­buch war. „Alle unsere Probleme hat er gelöst“, lobte Nationalco­ach Zlatko Dalic, der am Tag zuvor in der Trainingse­inheit eigens wieder eine Extraschic­ht mit Strafstöße­n angesetzt hatte. Schon am Vorabend, so erzählte er hinterher Verteidige­r Dejan Lovren, habe der Kollege „fast alle Elfmeter“gehalten und die eigene Truppe fast zur Verzweiflu­ng gebracht.

Natürlich half dem neuen kroatische­n Nationalhe­lden, der angeblich in seiner Laufbahn jeden vierten Elfmeter gehalten hat, dass den japanische­n Fehlschütz­en Takumi Minamino, Kaoru Mitoma und Kapitän Maya Yoshida das Herz in die Hose rutschte. Team Nippon hatte sich so sehr in die historisch­e Chance verkrallt, erstmals ein WM-Viertelfin­ale zu erreichen, dass die Repräsenta­nten unter dem Druck zusammenbr­achen.

Livakovic, der im Spiel durchaus die eine oder andere nicht unbedingt nötige Flugshow eingebaut hatte, verzichtet­e bei der Entscheidu­ng auf jedwede Mätzchen. Vor allem konzentrie­rte er sich darauf, wirklich artig einen Fuß auf der Kreideline zu lassen, worauf die Regelhüter neuerdings achten müssen. Nicht jeder Torwart taucht unter diesen unnötig erschwerte­n Bedingunge­n so schnell ab wie das grüne Männchen, der bei der WM 2018 als Ersatzmann erlebt hatte, wie sein Vorgänger Danijel Subasic ebenfalls mit einem gehaltenen Dreierpack den Einzug ins Viertelfin­ale ebnete. „Ich wollte die Tradition fortsetzen“, sagte der Nachfolger nun schelmisch grinsend.

Zuvor hatte es in der WM-Geschichte nur der Portugiese Ricardo 2006 in Deutschlan­d fertiggebr­acht, drei Strafstöße zu parieren. Die Leidtragen­den waren damals auf Schalke - wie sollte es anders sein - noch die Engländer. Einen Teufelsker­l zwischen den Pfosten wird es brauchen, wenn Kroatien nun gegen Brasilien (Freitag 16 Uhr) antritt. Amtierende­r Vizeweltme­ister gegen Rekordwelt­meister - das hat was. Damit Neymars Titelträum­e im Education City Stadion in A-Rayyan nicht platzen, sollte tunlichst die Angelegenh­eit in der regulären Spielzeit geklärt werden.

Denn in keiner Spezialdis­ziplin ist ihr Gegner so (nerven)stark wie bei einer Draufgabe: Bei der WM 2018 hatte es in den ersten drei K.o.-Duellen der Kroaten nach 90 Minuten plus Nachspielz­eit keinen Sieger gegeben. Achtelfina­le gegen Dänemark (3:2) und Viertelfin­ale gegen Gastgeber Russland (4:2) entschiede­n die Kroaten im Elfmetersc­hießen, das Halbfinale gegen England (2:1) in der Verlängeru­ng. Der Respekt vor dem nächsten Gegner bei dieser WM ist riesengroß. „Realistisc­h gesehen ist Brasilien die stärkste Nationalma­nnschaft bei dieser Weltmeiste­rschaft“, sagte Lehrmeiste­r Dalic. „Wenn man sich die Auswahl an Spielern, die Qualität, die Breite im Kader und die Marktwerte der Spieler ansieht, ist das erschrecke­nd. Wir müssen mit viel Vertrauen ins Spiel gehen.“Und irgendwie versuchen, ins Elfmetersc­hießen zu kommen. Das wäre mehr als die halbe Miete für die Sensation.

 ?? Foto: Frank Augstein, dpa ?? Torwart, lass dich umarmen: Mario Pasalic umarmt Torwart Dominik Livakovic nach dessen Rettungsta­ten im Elfmetersc­hießen gegen Kroatien.
Foto: Frank Augstein, dpa Torwart, lass dich umarmen: Mario Pasalic umarmt Torwart Dominik Livakovic nach dessen Rettungsta­ten im Elfmetersc­hießen gegen Kroatien.

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