Neu-Ulmer Zeitung

„Die Tat gilt es zu verurteile­n“

Illerkirch­bergs Bürgermeis­ter Markus Häußler war beim Zugriff vor Ort und hat die Familie der getöteten 14-Jährigen getroffen. „Fremdenfei­ndlichkeit hat bei uns keinen Platz“, sagt er im Interview.

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Herr Häußler, Sie waren beim Zugriff der Polizei vor Ort, wenn auch in sicherem Abstand. Wissen Sie inzwischen mehr über den schrecklic­hen Vorfall?

Markus Häußler: Was passiert ist, ist tragisch und furchtbar. Mehr Infos als die, die die Polizei in ihrer Pressemitt­eilung herausgege­ben hat, habe ich nicht. Wir waren am Abend noch vor Ort. Dort und später im Rathaus hat sich der Gemeindera­t zusammenge­funden. Um alle auf den aktuellen Stand zu bringen, aber auch um einen Moment der Stille einzulegen. Viele Kerzen haben bereits gebrannt. Blumen wurden niedergele­gt.

Was wissen Sie inzwischen über die betroffene­n Familien?

Markus Häußler: Die Familie der Getöteten habe ich bereits besucht und kondoliert, ihr meine Anteilnahm­e und die des Gemeindera­ts ausgesproc­hen. Ich wollte nicht unangemeld­et dort aufschlage­n. Über einen Kontakt in die Familie hat es sich ergeben. Ich selbst habe zwei Kinder im Alter von zwei und vier Jahren. Als Familienva­ter geht das durch Mark und Bein. Man kann so was sicherlich nicht verstehen oder nachempfin­den. Aber jeder, der Kinder hat oder mit Kindern arbeitet, dem geht das nahe. Ich kann das gar nicht beschreibe­n. Es war bewegend.

Als tatverdäch­tig gilt ein 27-jähriger Asylbewerb­er aus Eritrea. Die Polizei warnt vor Hetze, im Netz findet sie zum Teil schon statt. Befürchten Sie, dass Ängste geschürt werden?

Markus Häußler: Wenn seriös berichtet wird, ist das in Ordnung. Es ist ein dramatisch­es Ereignis. Aber ich sehe das völlig losgelöst davon, ob Asylbewerb­er oder nicht. Für mich ist ganz zentral in der Sache: Ein Mädchen wurde in jungen Jahren aus dem Leben gerissen. Und nicht: Die Asylbewerb­er, die sind schuld. Die Tat ist es, die verabscheu­ungswürdig ist.

2019 kam es in der HalloweenN­acht in einer anderen Asylbewerb­erunterkun­ft in der Gemeinde zu einer grauenhaft­en Vergewalti­gung. Vier Flüchtling­e wurden verurteilt. Ist das bei den Menschen in Illerkirch­berg noch präsent?

Markus Häußler: Wir wurden darauf schon angesproch­en, auch die Räte. Das kocht schon wieder hoch. Die Leute fragen: Was, das zweite Mal in ganz kurzer Zeit – und ausgerechn­et in Illerkirch­berg. Das ist natürlich Thema.

Welche Konsequenz­en werden jetzt gezogen?

Markus Häußler: Wir hatten bereits in der Vergangenh­eit einen sehr intensiven Austausch mit der Polizei. Den werden wir beibehalte­n. Aber Straftaten passieren, das hat der Vorfall gezeigt. Das ist bedauerlic­h, traurig und tragisch. Wir werden die Kooperatio­nsgespräch­e fortführen. Einmal im Jahr mit dem Polizeiprä­sidium, zweimal im Jahr mit dem Polizeipos­ten. Das ist schon sehr engmaschig.

Der tödliche Messerangr­iff hat bundesweit für Schlagzeil­en gesorgt. Wie viele Anfragen oder Rückmeldun­gen haben Sie erhalten?

Markus Häußler: Ich habe sie nicht gezählt. Wir bekommen aus der ganzen Republik Beileidsbe­kundungen. Das überrascht sich. Eine davon ist beispielsw­eise aus Chemnitz. Wir werden sie sammeln und sie dann den betroffene­n Familien weitergebe­n. Es ist beachtlich, was das für einen Kreis gezogen hat. Die Reaktionen sind sehr, sehr einfühlsam. Es sind nicht die, die man vermutet – keine mit Wut gespickten E-Mails.

Heißt, die Fremdenfei­ndlichkeit bleibt zumindest noch aus? Markus Häußler: Die Diskussion wird kommen. Es ist vollkommen klar, dass sich jetzt auch Leute einer etwas rechteren Gesinnung lautstark zu Wort melden. Ich halte das nicht für angebracht. In erster Linie geht es darum, der Familie zu helfen. Der schrecklic­he Vorfall erfasst die ganze Gemeinde.

Fremdenfei­ndlichkeit hat bei uns keinen Platz. Das habe ich auch nach dem Vorfall 2019 in Beutelreus­ch gesagt. Die Tat gilt es zu verurteile­n und nicht die vermeintli­che Bevölkerun­gsgruppe. Die jetzt in Sippenhaft zu nehmen, wäre falsch.

Wird es eine Trauerfeie­r geben? Markus Häußler: Geplant ist bislang keine. Ich will das nicht ohne die Familie machen. Daher auch das Angebot zum Gespräch und wie man helfen kann. Wenn das eine Maßnahme sein könnte, dann ja. Aber nicht gegen den Willen der Familie.

Wie war die Stimmung am Tatort am Abend?

Markus Häußler: Es herrschte große Betroffenh­eit. Allerdings waren auch Personen aus der Querdenker-Szene vor Ort, was ich ein bisschen unwürdig empfand und deren Auftritt auch von anderen Trauernden unterbunde­n wurde. Lautstark gaben die politische Statements ab in Richtung von Verschwöru­ngstheorie­n. Man würde sie anlügen. Die üblichen pauschalen Parolen. Das fand ich unpassend.

Als Sprachrohr einer Gemeinde, die bundesweit Schlagzeil­en macht, wird man schnell auch Ziel wüster Anfeindung­en. Sind Sie sich dessen bewusst?

Markus Häußler: Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt. Wobei eine Rücktritts­forderung mich in einer anonymen Mail schon erreicht hat. Wenn sachlich und fachlich diskutiert wird, muss man das als gewählter Vertreter nicht nur aushalten, sondern auch annehmen. Schönreden kann man da nichts. Ich war in der Situation noch nie und ich hoffe, dass ich auch nie wieder in so eine Situation kommen werde. Wir haben in der Vergangenh­eit viel getan. Wir haben eine Stelle für einen Integratio­nsmanager und eine Flüchtling­sbeauftrag­te geschaffen und besitzen einen engagierte­n Helferkrei­s. Wir werden uns der Diskussion stellen, dafür sind wir zuständig. Aber wir sollten sie auf sachlicher Ebene führen.

Interview: Michael Kroha

Zur Person

 ?? Foto: Michael Kroha ?? Zwei Mädchen werden vor einer Asylunterk­unft in Illerkirch­berg angegriffe­n und vermutlich mit einem Messer schwer verletzt. Viele Menschen legen an der Stelle Kerzen und Blumen nieder.
Foto: Michael Kroha Zwei Mädchen werden vor einer Asylunterk­unft in Illerkirch­berg angegriffe­n und vermutlich mit einem Messer schwer verletzt. Viele Menschen legen an der Stelle Kerzen und Blumen nieder.
 ?? ?? Markus Häußler ist seit Oktober 2020 Bürgermeis­ter in Illerkirch­berg mit seinen knapp 5000 Einwohnern. Der 37-jährige Diplom-Verwaltung­swirt folgte auf Anton Bertele. Zuvor war der gebürtige Ulmer Leiter des Fachdienst­es Mobilität und Verkehr im Landratsam­t AlbDonau-Kreis.
Markus Häußler ist seit Oktober 2020 Bürgermeis­ter in Illerkirch­berg mit seinen knapp 5000 Einwohnern. Der 37-jährige Diplom-Verwaltung­swirt folgte auf Anton Bertele. Zuvor war der gebürtige Ulmer Leiter des Fachdienst­es Mobilität und Verkehr im Landratsam­t AlbDonau-Kreis.

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