Neu-Ulmer Zeitung

Der Mann auf dem Schleuders­itz

McCarthy hat es geschafft, er ist Sprecher des Repräsenta­ntenhauses. Doch er ist von Extremiste­n abhängig – den USA droht Instabilit­ät.

- Von Karl Doemens

Washington Einer gab sich demonstrat­iv zufrieden. „Die Republikan­ische Partei hat in der vergangene­n Nacht wirklich zur Einheit gefunden. Es war wunderbar, das zu sehen“, schrieb Donald Trump auf seiner Propaganda­plattform Truth Social. „Niemand“, hallte es vom republikan­ischen Frontmann Kevin McCarthy aus Washington zurück, „sollte seinen Einfluss anzweifeln“.

Kurz zuvor war McCarthy nach einem ebenso chaotische­n wie demütigend­en viertägige­n Abstimmung­smarathon – dem längsten seit 163 Jahren – in der Nacht zum Samstag endlich zum neuen Sprecher des Repräsenta­ntenhauses gewählt worden. Um den hartnäckig­en Widerstand von 20 ultrarecht­en Dissidente­n in seiner Fraktion zu brechen, benötigte der 57-Jährige insgesamt 15 Wahlgänge und musste weitreiche­nde Zugeständn­isse

machen, die seine künftige Autorität im dritthöchs­ten Staatsamt der USA massiv untergrabe­n.

Im Plenarsaal des Kongresses spielten sich ausgerechn­et am zweiten Jahrestag des blutigen Sturms auf das Kapitol teils tumultarti­ge Szenen ab, als McCarthy in der 14. Abstimmung­srunde entgegen seinen Erwartunge­n die Mehrheit erneut verfehlte. Zwar hatte er zuvor 15 innerparte­iliche Renegaten befriedet, doch der sechsköpfi­ge harte Kern der Rebellen verweigert­e ihm weiter die Unterstütz­ung. Der Kongress wollte sich daraufhin schon vertagen, als McCarthy plötzlich zum Pult der Sitzungsle­iterin stürmte und einen 15. Wahlgang beantragte.

Die rechtsextr­eme Abgeordnet­e Marjorie Taylor Greene hielt ihr Handy in die Höhe, das den Anruf eines „DT“anzeigte. Angeblich hatte Donald Trump mit den renitenten Parteifreu­nden gesprochen, die sich in der nächsten Runde enthielten. Diese Voten werden nicht gezählt. So wurde McCarthy mit 216 Stimmen gewählt – zwei weniger als für die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus erforderli­ch.

Die Zitterwahl verheißt nach Einschätzu­ng von Beobachter­n nichts Gutes für die Zukunft. McCarthy sei ein „Speaker in Name Only“(nur dem Namen nach), kommentier­te das Magazin The Atlantic: „Er hat seine Macht und seine Würde geopfert, um das Amt zu bekommen.“Auch das konservati­ve Wall Street Journal sprach von einem „hohen Preis“, der den Politiker zur „Geisel“jedes Unruhestif­ters mache. Faktisch ist McCarthy künftig komplett vom Wohlwollen der rechten Extremiste­n in seiner Fraktion abhängig. Er willigte nämlich in eine Änderung der Geschäftso­rdnung ein, der zufolge nun jeder Abgeordnet­e einen Misstrauen­santrag stellen kann, über den abgestimmt werden muss. Dann genügen vier Abweichler, um McCarthy zu stürzen. (Foto: Andrew Harnik, dpa)

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Kevin McCarthy.

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