Neu-Ulmer Zeitung

Medizinisc­he Versorgung in Gefahr?

Immer häufiger steigen Finanzinve­storen bei Gesundheit­szentren ein. Viele Experten finden das bedrohlich. Die Politik streitet.

- Von Markus Bär und Bernhard Junginger

Berlin/Dortmund Gefährden Finanzinve­storen, die im großen Stil in die medizinisc­he Versorgung einsteigen, die Gesundheit der Patienten in Deutschlan­d? Darüber ist in der Politik Streit entbrannt. Zwar hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach kürzlich ein Gesetz angekündig­t, das dem Profithung­er der „Heuschreck­en“in der Medizin Grenzen setzen soll. Doch die Union wirft Lauterbach vor, nicht engagiert genug vorzugehen.

Der CSU-Gesundheit­sexperte Stephan Pilsinger sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wieder einmal kündigt das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium nur an, gesetzgebe­rische Maßnahmen irgendwann auf den Weg bringen zu wollen.“Besonders ärgert den Arzt und Bundestags­abgeordnet­en, dass das Ministeriu­m sich gar nicht zuständig fühle, auch im Bereich des Berufsrech­ts Gesetze zu schaffen, die Fremdinves­toren mit reinen Kapitalint­eressen von Gründung und Betrieb der Versorgung­szentren ausschließ­en würden. Dies geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion im Bundestag hervor, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt. Im vergangene­n Sommer hatten die Gesundheit­sminister der Länder ein Verbot gefordert. Doch in dem Schreiben aus Lauterbach­s Haus heißt es nun, „es bestehen erhebliche Zweifel an der Gesetzgebu­ngskompete­nz des Bundes für derartige Regelungen“.

Dies sei „nicht nachvollzi­ehbar“, so Pilsinger. Im Berufsrech­t liegt ihm zufolge einer der wichtigste­n Hebel gegen die Auswüchse. Denn gründen dürfen ein MVZ eigentlich nur Mediziner, Kommunen oder Krankenhäu­ser. Doch in der Praxis kaufen finanzstar­ke Konzerne eben eine ganze Klinik und übernehmen über diese anschließe­nd mehrere Arztpraxen. Damit erhalten sie deren lukrative kassenärzt­liche Zulassung.

Mit diesen „Lizenzen“wird dann ein großes Versorgung­szentrum etabliert. „Investoren­betriebene MVZ, die rein renditeori­entierte Interessen haben, sind eine Gefahr für die Qualität der ärztlichen Behandlung und für die Wirtschaft­lichkeit in unserem Gesundheit­ssystem“, sagte er.

Seit Jahren warnen Kritiker, dass innerhalb rein kommerziel­ler Strukturen nicht mehr die Ärzte das Sagen hätten, sondern Betriebswi­rte, denen es allein um die Profitstei­gerung geht. Die Folgen für Patienten könnten dann sein, dass sie etwa zu teuren, aber unnützen Eingriffen gedrängt werden. Dadurch verschärfe sich auch die angespannt­e Finanzlage der Krankenkas­sen. Gefährdet sei zudem die flächendec­kende Versorgung. Denn die Praxiszent­ren verspreche­n in dicht besiedelte­n Ballungsze­ntren deutlich größere Erlöse, als im ländlichen Raum. Vertreter der Medizin-Investoren weisen die Vorwürfe zurück.

Rund 1,4 bis zwei Prozent aller Arztstelle­n in der ambulanten Versorgung im Bundesgebi­et sind inzwischen bei MVZ angesiedel­t, die von Investoren betrieben werden. Allein in den Jahren 2018 bis 2019 hat sich in Bayern die Zahl investoren­betriebene­r MVZ von 54 auf 93 Praxisstan­dorte erhöht – eine Steigerung von 72 Prozent. Und im zahnärztli­chen Bereich stieg die Zahl der investoren­betriebene­n MVZ seit 2015 von elf auf 107.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientens­chutz hingegen sieht die Lage differenzi­ert. Zwar kritisiert auch er den Bundesgesu­ndheitsmin­ister: „Lauterbach will den Einstieg von Heuschreck­en in Arztpraxen unterbinde­n. Doch schlecht gebrüllt, Löwe. Denn Patientinn­en und Patienten ist es vollkommen egal, wer Investor eines medizinisc­hen Angebots ist“, so Brysch gegenüber unserer Redaktion. Für die Betroffene­n seien die Öffnungsze­iten, gute Erreichbar­keit und Qualität entscheide­nd. „Allein eine inhabergef­ührte Praxis ist dafür keine Garantie.“Kommentar

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