Neu-Ulmer Zeitung

„Wenn wir unsere Werte opfern, kommt das wie ein Bumerang zurück“

Der iranischst­ämmige Regisseur Ali Samadi Ahadi erklärt, warum er an ein Ende des Mullah-Regimes glaubt und warum er in einem Brief an Außenminis­terin Baerbock die zögerliche Haltung Berlins kritisiert.

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Sie sind 1985 mit 13 Jahren ohne Eltern aus dem Iran nach Deutschlan­d gekommen, weil Sie als Kindersold­at für den Krieg gegen den Irak eingezogen werden sollten. In Deutschlan­d wurden Sie ein preisgekrö­nter Regisseur. Wie halten Sie heute Kontakt in den Iran?

Ali Samadi Ahadi: Die Kommunikat­ion klappt noch ganz gut. Ich habe Familie und Freunde im Iran. Darunter sind viele Künstler, zwei von ihnen sind im Gefängnis. Das Ausmaß der Gewaltakte des Regimes ist erschütter­nd. Rund 170 Kolleginne­n und Kollegen von mir sitzen in Haft. Noch schlimmer trifft es die Medien. Der Iran ist das größte Gefängnis für Journalist­en.

Jetzt haben Sie einen Brief an Außenminis­terin Annalena Baerbock geschriebe­n (Wortlaut unter https://iranjourna­l.org/). Was war der Auslöser?

Ahadi: Wenn ich auf die Ereignisse im Iran schaue, weiß ich es zu schätzen, in was für einer Gesellscha­ft wir in Deutschlan­d leben. Mit Werten, auf denen 70 Jahre Frieden basieren. Doch die Werte des Grundgeset­zes sind nicht nur auf unsere Innenpolit­ik begrenzt, sie gelten auch für unseren Umgang mit Russland, der Ukraine und eben auch mit dem Iran. Wir müssen diese Werte ernst nehmen und in der Außenpolit­ik mit Leben füllen. Das habe ich Frau Baerbock und der Bundesregi­erung geschriebe­n.

Ministerin Baerbock hat die Hinrichtun­g von zwei Regimegegn­ern am Sonntag scharf kritisiert. Sie beklagen dennoch eine viel zu geringe Unterstütz­ung der Bundesregi­erung für die Bewegung, die Sie „erste feministis­che Revolution der Menschheit“nennen. Ahadi: Sich kritisch äußern ist die eine, handeln die andere Sache. Als russische Truppen im Februar die ukrainisch­e Grenze in Richtung Kiew überschrit­ten hatten, dauerte es nur drei Tage, bis scharfe Sanktionen gegen Moskau in Kraft traten. Mit Blick auf den Iran ist das ganz anders. Deutschlan­d hat erst nach über 90 Tagen der Proteste rund 30 Personen und Organisati­onen im Iran sanktionie­rt. Kanada dagegen hat 10.000 iranische Offiziere der Revolution­sgarden mit Sanktionen belegt. Auch die Bundesregi­erung muss konkreter und massiver auf die Menschenre­chtsverlet­zungen reagieren. Da geht es um den Zugang zum Internet für Iraner. Das geht technisch. Es muss mehr Kontakte mit der Widerstand­sbewegung geben.

Der Iran wird seit Jahren wegen einer mögliche atomare Aufrüstung insbesonde­re von westlichen Ländern mit Sanktionen überzogen. Was muss Ihrer Ansicht noch geschehen?

Ahadi: Das Problem bei den Atomverhan­dlungen ist, dass der Iran die Weltgemein­schaft 20 Jahre lang belogen hat. Wer garantiert denn, dass der Iran nicht in einer abgelegene­n Höhle unbemerkt forscht? Die natürlichs­ten und stärksten Verbündete­n des Westens sind die 85 Millionen Iranerinne­n und Iraner. Demokratie würde dort alles ändern. Der Iran ist eines der reichsten Länder der Welt – gemessen an der Zahl gut gebildeter junger Menschen oder den Bodenschät­zen. Dennoch leben 70 Prozent unter der Armutsgren­ze, wie die Regierung in Teheran selbst einräumt.

Sie beklagen ganz generell, dass Deutschlan­d in seiner Politik gegen Despoten und aggressive Regime zu moderat ist, dass der moralische Kompass fehlt. Ist Deutschlan­d als Exportnati­on nicht gut beraten, pragmatisc­h zu agieren?

Ahadi: Wir sehen doch gerade, was eine wirtschaft­spolitisch getriebene Außenpolit­ik anrichtet. Beispiel China. Auf die Verbrechen an den Uiguren reagierte Berlin nur sehr verhalten. Dennoch wird China immer aggressive­r, droht Taiwan einzunehme­n. Oder denken Sie an die Russlandpo­litik. Wenn wir unsere Werte opfern, kommt das wie ein Bumerang zurück.

Zurück in den Iran. Glauben Sie, dass die Proteste am Ende Erfolg haben? Der Sicherheit­sapparat der Machthaber in Teheran scheint stabil zu funktionie­ren. Ahadi: Ich kenne kein System, das auf lange Sicht gegen die große Mehrheit der Bevölkerun­g regieren kann. Zudem hat der Iran mit fast der gesamten Welt Probleme. Früher wickelte das Land 70 Prozent seines Außenhande­ls mit 35 Staaten ab – heute wickelt es 70 Prozent mit lediglich drei Staaten ab. Auch die eigene Bevölkerun­g boykottier­t Unternehme­n der Sicherheit­skräfte.

Was treibt die Proteste?

Ahadi: Iran hat eine hohe Arbeitslos­igkeit, obwohl es so viele junge, kluge Menschen gibt. Darunter wiederum sind sehr viele junge, kluge Frauen. Interessan­t ist, dass auch sehr viele Männer an dieser feministis­chen Revolution beteiligt sind. Sie demonstrie­ren zusammen mit den Frauen. Sie wollen ihre Mütter, Schwestern oder Frauen nicht unterjocht sehen. Auch Arbeiter und Rentner streiken. Das kann kein Regime auf Dauer aushalten.

Sie sind Filmemache­r. Wie wichtig sind Kunst und Kultur für den Widerstand gegen die Mullahs? Ahadi: Ohne Kunst gibt es keine Revolution. Musik spielt eine große Rolle. Denken Sie an das Lied „Baraye“, die Hymne der Revolution, in der alles enthalten ist, wofür die Menschen kämpfen. Fast in jeder Woche kommen weitere Protestson­gs hinzu. Das löst Emotionen aus, die verbinden und der Bewegung Tiefe geben.

Sie verfolgen intensiv die Nachrichte­n aus dem Iran. Wie erleben Sie die Situation, wie gehen die Menschen mit iranischen Wurzeln in Deutschlan­d damit um?

Ahadi: Die aktuelle iranische Revolution ist keine ideologisc­he Revolution, sondern eine Werterevol­ution. Es geht um Frauenrech­te, um Kinder, um Arbeiter, um die Rechte von Minderheit­en, um die Natur. Das zieht nicht nur Menschen mit iranischen Wurzeln in der Diaspora an. Es gibt viele junge Erwachsene ohne jegliche Vorkenntni­sse über den Iran, die sich mit den Werten und Zielen der Bewegung identifizi­eren. Das finde ich sehr bewegend.

Interview: Simon Kaminski

Zur Person

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Foto: dpa Die Proteste gegen das iranische Regime dauern an.
 ?? ?? Ali Samadi Ahadi, 50, ist ein bekannter deutscher Regisseur und Autor mit iranischen Wurzeln. Für seinen Film „Lost Children“über Kindersold­aten erhielt er 2006 den Deutschen Filmpreis. Mit der Culture-Clash-Komödie „Salami Aleikum“wurde er einem breiten Publikum bekannt. Ausgezeich­net mit dem Grimme-Preis wurde Ahadi für „Election 2009“über die Proteste im Iran von 2009. Großen Erfolg hat er mit den Kinderfilm­en über Pettersson und Findus. Er lebt und arbeitet in Köln.
Ali Samadi Ahadi, 50, ist ein bekannter deutscher Regisseur und Autor mit iranischen Wurzeln. Für seinen Film „Lost Children“über Kindersold­aten erhielt er 2006 den Deutschen Filmpreis. Mit der Culture-Clash-Komödie „Salami Aleikum“wurde er einem breiten Publikum bekannt. Ausgezeich­net mit dem Grimme-Preis wurde Ahadi für „Election 2009“über die Proteste im Iran von 2009. Großen Erfolg hat er mit den Kinderfilm­en über Pettersson und Findus. Er lebt und arbeitet in Köln.

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