Neu-Ulmer Zeitung

„Habeck, Habeck, du warst mal o.k., doch dann kam RWE“

Die bevorstehe­nde Räumung des Ortes Lützerath im Rheinische­n Braunkohle­revier treibt einen Keil zwischen Grünen-Spitze und Unterstütz­ermilieu. Der Partei droht ein schwerer Ansehensve­rlust im eigenen Lager.

- Von Christian Grimm

Berlin Jetzt verspotten die Klimakämpf­er ihren besten Mann. Eigentlich ist Robert Habeck einer von ihnen, aber in ihren Augen ist er abgefallen. Von der grünen Seite auf die schwarze Seite des Kohlekonze­rns RWE. „Habeck, Habeck, du warst mal o.k., doch dann kam RWE“, ätzt die Kölner Band AnnenMayKa­ntereit bei einem Auftritt im besetzten Dorf Lützerath im Rheinische­n Braunkohle­revier.

Die Musiker singen es auf die Melodie des Blödellied­s „Jesus“aus den 90er Jahren, das einst Olli Dittrich und Wigald Boning zusammenre­imten. Hinter der Bühne sind die verschling­enden Schaufeln der Bagger des Energiekon­zerns RWE schon bedrohlich nah. Habeck hat gemeinsam mit seiner Parteifreu­ndin Mona Neubaur den Kohlefahrp­lan mit RWE ausgehande­lt. Habeck ist Wirtschaft­sminister für ganz Deutschlan­d, Neubauer für das Industriel­and Nordrhein-Westfalen.

Der Deal sieht vor, dass RWE jetzt mehr Kohle im Tagebau Garzweiler abbaggern darf und dafür im Jahr 2030 Schluss macht mit der Stromerzeu­gung aus dem heimischen Rohstoff. Das ist acht Jahre früher als ursprüngli­ch geplant. Damit RWE jetzt mehr Kohle aus der Erde holen kann, um in der Energiekri­se mehr Strom zu produziere­n, soll der Weiler weichen.

In Lützerath wohnen keine Lützerathe­r mehr. Sie sind alle weggezogen. Eingezogen in die leeren Häuser sind Klimaschüt­zer. Sie wollen das Örtchen verteidige­n gegen die Polizei und den RWEWerksch­utz. Es sind nicht nur Brav-Bewegte darunter, sondern auch Aktivisten der harten Gangart. Sie haben Sperren aus Eisen, Beton und Reifen gebaut, Häuser verrammelt. Greenpeace hatte eine Mahnwache abgehalten. Mehrere tausend Klimaschüt­zer hatten sich am Wochenende versammelt. Derzeit sind es wohl nur einige hundert, die die Polizei stoppen wollen.

Am Dienstag begannen die Einsatzkrä­fte mit dem Räumen erster Barrikaden.

Die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Kathrin Henneberge­r kämpft gegen die Räumung. „Der Preis ist zu hoch! Die Kohle unter Lützerath muss im Boden bleiben“, sagt die 35-Jährige. Über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter lässt sie die Welt mit Bildern und kurzen Videos an der Blockade teilhaben.

Sie weiß aber auch, was das mit der Umweltbewe­gung und ihrem parlamenta­rischen Arm macht. „Ein Problem dieses Deals ist, dass er einen Riss verursacht zwischen der Bewegung und der Partei.“

Wenn es eine Gallionsfi­gur der Bewegung gibt, dann ist es Luisa Neubauer, die einst die riesigen Demos von Fridays for Future anführte. „Es ist nicht radikal dort (in Lützerath) zu sein, es ist radikal, der Zerstörung freien Lauf zu lassen“, meint Neubauer. Die 26-Jährige ist selbst Grünen-Mitglied, erhielt für ihr Studium der Geografie ein Stipendium der parteinahe­n Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Mutter engagierte sich einst in der Anti-Atom-Bewegung. Grüner als Neubauer kann man kaum sein. Der Riss zieht sich also in die Partei hinein. Der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hat bereits angekündig­t, sich notfalls aus Lützerath von der Polizei wegschlepp­en zu lassen.

Das Partei-Establishm­ent versucht, die Abgefallen­en mit Verständni­sgesten

zu umarmen. Die Aufgabe übernimmt die Parteivors­itzende Ricarda Lang, Robert Habeck äußert sich nur, wenn er unbedingt muss. Lang übernimmt die Rolle der Schmerzens­frau, die immer wieder betont, wie schwer ihr Lützerath zu schaffen mache. Das Gebot der Stunde sei Deeskalati­on.

Der Kampf um die leeren Häuser erinnert an den Kampf um den Hambacher Forst im Jahr 2018. Damals gewann das Klimalager nach wochenlang­en schweren Scharmütze­ln mit der Polizei. Ein Journalist verlor dabei sein Leben. Die Bäume sollten seinerzeit für die Braunkohle­bagger weichen. Seinerzeit stritten die Grünen Seit an Seit mit den Klimaschüt­zern, Annalena Baerbock besuchte die Protestler. Das Roden des alten Waldes sei falsch, sagte sie damals. „Es zerstört auch das Vertrauen in die Politik.“Es ist wie ein Déjà-vu unter anderen Vorzeichen. Genau das geschieht den Grünen in diesen Tagen in Lützerath.

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Die Räumung von Lützerath steht kurz bevor.
Foto: Oliver Berg, dpa Die Räumung von Lützerath steht kurz bevor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany