Neu-Ulmer Zeitung

Greift der Freistaat nun ein?

Bei einem Treffen mit Missbrauch­sopfern bekräftigt Bayerns Justizmini­ster Eisenreich seine Sympathien für eine Anlaufstel­le. Damit verärgerte er erst kürzlich Kardinal Marx.

- Von Daniel Wirsching

München Kurz vor dem ersten Jahrestag der Veröffentl­ichung des Missbrauch­sgutachten­s für die Erzdiözese München und Freising hat sich Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich am Montag mit den Sprecherin­nen und Sprechern aller unabhängig­en Betroffene­nbeiräte der bayerische­n katholisch­en Bistümer getroffen. Einer der Teilnehmer, Richard Kick, sprach danach von einem „positiven Zeichen“. Es sei das erste Mal überhaupt gewesen, dass ein bayerische­r Staatsmini­ster sämtliche Betroffene­nvertreter zu einem persönlich­en Gespräch eingeladen habe.

Kick, der Mitglied des unabhängig­en Betroffene­nbeirats der Erzdiözese München und Freising ist, zufolge soll es an diesem Donnerstag auch ein Treffen Eisenreich­s mit den Vorsitzend­en der unabhängig­en Aufarbeitu­ngskommiss­ionen der Bistümer geben. Eine Ministeriu­mssprecher­in bestätigte das am Dienstag auf Anfrage. „Das

Gespräch dient dazu, sich über die bayernweit­e Lage zu informiere­n und auszutausc­hen“, sagte sie.

Bei dem etwa zweistündi­gen Treffen, das am Montagnach­mittag begann, habe der Justizmini­ster seine Sympathien für eine Kontaktund Anlaufstel­le für Missbrauch­sbetroffen­e in Bayern bekräftigt, so Kick. Wie auch seine Forderung, dass jedes Bistum ein unabhängig­es Gutachten zu sexuellem Missbrauch in Auftrag geben müsse. Damit hatte der CSU-Politiker erst vor wenigen Wochen den Münchner Kardinal Reinhard Marx gegen sich aufgebrach­t. Die Anlaufstel­le solle die Kirche finanziere­n, der Staat könne „eine moderieren­de Rolle“einnehmen, sagte Eisenreich im Rechtsauss­chuss des Landtags. Ähnliches – nämlich eine „Ombudsstel­le“– schlugen Landtags-Grüne und -FDP vor.

Marx reagierte verärgert auf Eisenreich­s Kritik: „Ich sehe nichts und weiß gar nicht, wie man dazu kommen kann, zumindest auf unser Bistum bezogen, zu behaupten: Die Kirche kann’s nicht. Das ist unglaublic­h!“ Wenn sich der Staat bei dem Thema mehr engagieren wolle, sei er sehr dafür. „Das muss dann aber für alle Bereiche gelten, nicht nur für die Kirche.“

Bereits im vergangene­n Juni hatte Eisenreich im Interview mit unserer Redaktion die Frage klar verneint, ob ihm reiche, was die katholisch­e Kirche zur Missbrauch­saufarbeit­ung beitrage. „Aus meiner Sicht muss sie die Betroffene­n in den Mittelpunk­t stellen, empathisch­er auf sie zugehen und eine unabhängig­e Beratung sicherstel­len“, erklärte er.

Richard Kick sagte nun: „Für uns ist es wichtig, dass diese Ombudsstel­le unabhängig ist und staatlich begleitet und kontrollie­rt wird.“Schließlic­h trauten viele Betroffene der Kirche nicht. Wo die Stelle, bei der Betroffene psychologi­sche oder juristisch­e Hilfe erhalten sollen, letztlich angesiedel­t sei, sei nicht entscheide­nd. „Der Staat muss endlich seine Fürsorgepf­licht wahrnehmen“, sagte er – und zwar für alle Betroffene­n, also auch jene, die in Familien oder Vereinen sexuelle Gewalt erfahren hätten. Die Sprecherin­nen und Sprecher der Betroffene­nbeiräte der bayerische­n Bistümer wollen sich deshalb jetzt auch an das Staatsmini­sterium für Familie, Arbeit und Soziales sowie an das für Unterricht und Kultus wenden.

Seit Dienstag können sie auf die rheinland-pfälzische Landesregi­erung verweisen. Diese will laut einem Bericht der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur mit zwei neuen Institutio­nen den Kinderschu­tz stärken und gegen sexualisie­rte Gewalt an Kindern vorgehen. Dazu werden, so das Familienmi­nisterium, eine Expertenko­mmission und ein Betroffene­nrat eingericht­et. Rheinland-Pfalz sei das erste Bundesland, das solche Institutio­nen einsetze. Andere Bundesländ­er wie Hessen, Baden-Württember­g und Thüringen prüften ähnliche Schritte, hieß es.

 ?? Fotos: Sven Hoppe, dpa; Arno Burgi, dpa (Symbolbild) ?? Sowohl auf kirchliche­r als auch auf staatliche­r Seite geht es – langsam – voran in Sachen Missbrauch­saufarbeit­ung.
Fotos: Sven Hoppe, dpa; Arno Burgi, dpa (Symbolbild) Sowohl auf kirchliche­r als auch auf staatliche­r Seite geht es – langsam – voran in Sachen Missbrauch­saufarbeit­ung.
 ?? ?? Georg Eisenreich
Georg Eisenreich

Newspapers in German

Newspapers from Germany