Greift der Freistaat nun ein?
Bei einem Treffen mit Missbrauchsopfern bekräftigt Bayerns Justizminister Eisenreich seine Sympathien für eine Anlaufstelle. Damit verärgerte er erst kürzlich Kardinal Marx.
München Kurz vor dem ersten Jahrestag der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens für die Erzdiözese München und Freising hat sich Bayerns Justizminister Georg Eisenreich am Montag mit den Sprecherinnen und Sprechern aller unabhängigen Betroffenenbeiräte der bayerischen katholischen Bistümer getroffen. Einer der Teilnehmer, Richard Kick, sprach danach von einem „positiven Zeichen“. Es sei das erste Mal überhaupt gewesen, dass ein bayerischer Staatsminister sämtliche Betroffenenvertreter zu einem persönlichen Gespräch eingeladen habe.
Kick, der Mitglied des unabhängigen Betroffenenbeirats der Erzdiözese München und Freising ist, zufolge soll es an diesem Donnerstag auch ein Treffen Eisenreichs mit den Vorsitzenden der unabhängigen Aufarbeitungskommissionen der Bistümer geben. Eine Ministeriumssprecherin bestätigte das am Dienstag auf Anfrage. „Das
Gespräch dient dazu, sich über die bayernweite Lage zu informieren und auszutauschen“, sagte sie.
Bei dem etwa zweistündigen Treffen, das am Montagnachmittag begann, habe der Justizminister seine Sympathien für eine Kontaktund Anlaufstelle für Missbrauchsbetroffene in Bayern bekräftigt, so Kick. Wie auch seine Forderung, dass jedes Bistum ein unabhängiges Gutachten zu sexuellem Missbrauch in Auftrag geben müsse. Damit hatte der CSU-Politiker erst vor wenigen Wochen den Münchner Kardinal Reinhard Marx gegen sich aufgebracht. Die Anlaufstelle solle die Kirche finanzieren, der Staat könne „eine moderierende Rolle“einnehmen, sagte Eisenreich im Rechtsausschuss des Landtags. Ähnliches – nämlich eine „Ombudsstelle“– schlugen Landtags-Grüne und -FDP vor.
Marx reagierte verärgert auf Eisenreichs Kritik: „Ich sehe nichts und weiß gar nicht, wie man dazu kommen kann, zumindest auf unser Bistum bezogen, zu behaupten: Die Kirche kann’s nicht. Das ist unglaublich!“ Wenn sich der Staat bei dem Thema mehr engagieren wolle, sei er sehr dafür. „Das muss dann aber für alle Bereiche gelten, nicht nur für die Kirche.“
Bereits im vergangenen Juni hatte Eisenreich im Interview mit unserer Redaktion die Frage klar verneint, ob ihm reiche, was die katholische Kirche zur Missbrauchsaufarbeitung beitrage. „Aus meiner Sicht muss sie die Betroffenen in den Mittelpunkt stellen, empathischer auf sie zugehen und eine unabhängige Beratung sicherstellen“, erklärte er.
Richard Kick sagte nun: „Für uns ist es wichtig, dass diese Ombudsstelle unabhängig ist und staatlich begleitet und kontrolliert wird.“Schließlich trauten viele Betroffene der Kirche nicht. Wo die Stelle, bei der Betroffene psychologische oder juristische Hilfe erhalten sollen, letztlich angesiedelt sei, sei nicht entscheidend. „Der Staat muss endlich seine Fürsorgepflicht wahrnehmen“, sagte er – und zwar für alle Betroffenen, also auch jene, die in Familien oder Vereinen sexuelle Gewalt erfahren hätten. Die Sprecherinnen und Sprecher der Betroffenenbeiräte der bayerischen Bistümer wollen sich deshalb jetzt auch an das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales sowie an das für Unterricht und Kultus wenden.
Seit Dienstag können sie auf die rheinland-pfälzische Landesregierung verweisen. Diese will laut einem Bericht der Katholischen Nachrichten-Agentur mit zwei neuen Institutionen den Kinderschutz stärken und gegen sexualisierte Gewalt an Kindern vorgehen. Dazu werden, so das Familienministerium, eine Expertenkommission und ein Betroffenenrat eingerichtet. Rheinland-Pfalz sei das erste Bundesland, das solche Institutionen einsetze. Andere Bundesländer wie Hessen, Baden-Württemberg und Thüringen prüften ähnliche Schritte, hieß es.