Neu-Ulmer Zeitung

„Seine Enthüllung­en offenbaren, dass die Royals nicht besser sind als wir selbst“

Nun ist die Autobiogra­fie von Prinz Harry auf dem Markt. Die Anschuldig­ungen, die er darin gegen seine Familie erhebt, haben es in sich. Der Historiker Andrew Blick erklärt, wie der Königssohn die Monarchie entzaubert.

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Mister Blick, Prinz Harrys Autobiogra­fie „Spare“(deutsch: „Reserve“) hat nicht nur in Großbritan­nien für viel Aufsehen gesorgt. Wie erklärt sich diese immense Aufregung?

Andrew Blick: Dass ein Royal eine Autobiogra­fie selbst schreibt, gab es noch nie und somit ist dies tatsächlic­h ein außergewöh­nliches Ereignis.

Außergewöh­nlich ist auch, wie detailreic­h die Enthüllung­en des Prinzen sind. Er verrät sehr viel über das Privatlebe­n seiner Familie, berichtet über die Auseinande­rsetzungen mit seinem Bruder William, von seinem ersten Sex sowie seinem Drogenkons­um. Blick: Für gewöhnlich ist die königliche Familie daran interessie­rt, familiäre Angelegenh­eiten privat zu klären. Indem die Menschen nicht genau wissen, was die Royals tun, erhält sich das Königshaus eine gewisse Magie. Während sich Politiker streiten und Posten in Westminste­r ständig neu besetzt werden, steht die königliche Familie gewisserma­ßen über den Dingen. Zurzeit sieht sich die britische Gesellscha­ft mit vielen Herausford­erungen und Veränderun­gen konfrontie­rt. Großbritan­nien hat die EU verlassen. Die britische Regierung war und ist in allerlei Skandale verwickelt. Durch die Enthüllung­en des Prinzen gerät nun auch noch jene wichtige Institutio­n unter Druck, die eigentlich für Stabilität in der Gesellscha­ft sorgen soll.

Harry entzaubert also die Monarchie?

Blick: Ja, seine Enthüllung­en offenbaren, dass die Royals eigentlich nicht besser sind als wir selbst. Und das ist in der Tat ein Problem. Wie ernst dieses Problem ist, muss sich allerdings noch zeigen. Schließlic­h haben sie ihre Ämter nicht inne, weil sie besonders gut dafür geeignet sind. Sie wurden in diese Rolle hineingebo­ren.

Gefährden die Enthüllung­en die Regentscha­ft von König Charles III.?

Blick: Während der Übergang der Krone von Königin Elizabeth II. auf ihn recht reibungslo­s verlief, steht Charles III. nun vor der ersten echten Krise seiner Regentscha­ft. Gleichzeit­ig ist dies aber nicht der erste Skandal in der Geschichte des britischen Königshaus­es. Schon Prinzessin Margaret, die jüngere Schwester der verstorben­en Königin Elizabeth II., sorgte in den 60er Jahren durch ihren ausschweif­enden Lebensstil für Schlagzeil­en. Auch Bücher über Royals gab es schon. Anfang der 90er Jahre spielte Prinzessin Diana dem Journalist­en Andrew Morton Informatio­nen zu. Dieser schrieb auf dieser Grundlage eine Biografie. Die Monarchie hat sich als sehr strapazier­fähig erwiesen.

Sie gehen also davon aus, dass die Monarchie auch diese Krise überlebt?

Blick: Ja, um die Monarchie abzuschaff­en, bräuchte es außerdem etablierte Politiker, die dies fordern. Und davon sind wir weit entfernt. Damit will ich aber nicht sagen, dass die Institutio­n für immer sicher ist. Schließlic­h wurde sie im 17. Jahrhunder­t schon einmal für kurze Zeit abgeschaff­t. Für einen derartigen Wandel sind dann aber eher langfristi­ge gesellscha­ftliche Trends verantwort­lich – weniger ein konkretes Ereignis wie dieses.

Bei der ganzen Aufmerksam­keit für Prinz Harrys Buch drängt sich eine Frage auf: Waren die Missbrauch­svorwürfe

gegen Prinz Andrew, seine Freundscha­ft zu dem verurteilt­en und mittlerwei­le verstorben­en Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein nicht der viel größere Skandal?

Blick: Natürlich wissen wir nicht, was da tatsächlic­h passiert ist. Die Vorwürfe gegen ihn wurden jedoch von den Medien weniger intensiv beleuchtet. Das liegt auch daran, dass viele britische Zeitungen eher unkritisch über die Royals berichten. So thematisie­ren diese zwar Streitigke­iten und Auseinande­rsetzungen, prinzipiel­l infrage gestellt wird die Monarchie nicht. Harry hatte ja ebenfalls Probleme angesproch­en, die seiner Meinung nach diskutiert werden sollten – wie das Thema Misogynie, Frauenfein­dlichkeit. Der Fokus der Medien liegt jedoch woanders.

Gerüchten zufolge will auch Herzogin Meghan eine Autobiogra­fie veröffentl­ichen. Es scheint kein Ende des Dramas in Sicht.

Blick: Ich glaube, dass sich das Problem zwischen Prinz Harry und dem Rest der königliche­n Familie auch in Zukunft nicht löst. Wahrschein­licher ist, dass der Konflikt weiter anhält, allerdings auf einem niedrigere­n Niveau. Denn so kann es natürlich auch nicht ewig weitergehe­n.

Der Palast hat sich bislang nicht zu den Anschuldig­ungen von Prinz Harry geäußert. Warum? Blick: Ich denke, dass das die richtige Strategie ist. Wenn der Palast versuchen würde, die Anschuldig­ungen zu leugnen, würde er den Medien nur noch mehr Treibstoff liefern. Deshalb ist es in der Tat besser, nichts zu sagen.

Interview: Susanne Ebner

Zur Person

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Foto: Kin Cheung, AP/dpa Seit Dienstag ist die Autobiogra­fie von Prinz Harry im Buchhandel und nach Angaben des Verlags bereits mehr als 400.000 mal verkauft worden.
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Andrew Blick, 49, ist Historiker und Politikwis­senschaftl­er. Er ist Leiter des „Centre for British Politics and Government“am King’s College in London.

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