Neu-Ulmer Zeitung

Die Schöne und das Böse, nächster Teil

Das Drama um die Jüdin Stella Goldschlag, die versteckte Juden der Gestapo ausliefert­e, war zuletzt als Roman ein Bestseller – und ein Skandal. Jetzt gibt es einen neuen. Aber auch schon Sachbuch und Musical, bald eine Serie…

- Von Wolfgang Schütz

Und dann sagt sie es doch: „Ja, Frau Burger, ich bin bereit. Ja, ich bin bereit für die Wahrheit.“Diese Frau Burger, das ist die Gutachteri­n fürs Gericht beim dritten und letzten Prozess gegen sie, Stella Goldschlag, wieder wegen des Vorwurfs, 30 Jahre zuvor als Greiferin für die Gestapo gearbeitet, als Jüdin rund 300 Juden der Nazi-Maschineri­e ausgeliefe­rt zu haben, diesmal im Westen, aber genau von der Stasi beobachtet, nachdem sie in der DDR schon zehn Jahre im Gefängnis verbracht tat.

Es ist 1972, in München wird das Olympia-Attentat auf israelisch­e Sportler verübt, und Stella erzählt endlich von den ständigen Vergewalti­gungen, die sie, die Schöne, die eigentlich ein Star wie Marlene Dietrich werden wollte, erlitten hat, von der Folter, den Ratten… – davon, wie sie gebrochen wurde, seelisch tot war, während die Eltern, mit deren drohender Deportatio­n nach Auschwitz sie anfangs gefügig gemacht wurde, doch im Vernichtun­gslager landeten. Und dann, dann gesteht sie sich trotzdem auch noch ihre Schuld ein.

Und am Schluss wird Stella Goldschlag tatsächlic­h freigespro­chen, schließt ihre verloren geglaubte, aber nun doch aus Israel angereiste Tochter weinend in die Arme, bis ein schwarz gekleidete­r

Mann auf sie zutritt und sagt: „ In meiner Eigenschaf­t als Vertreter der jüdischen Gemeinde zu Berlin biete ich Ihnen an, dass Sie ich offiziell bei Ihren Opfern entschuldi­gen und um Vergebung bitten dürfen.“Sofern man das bei einer solchen Geschichte überhaupt je sagen darf: Happy End.

In Wirklichke­it hat es das nie gegeben. Der Berliner Rechtsanwa­lt, Notar und damit nun auch Romanautor Karl Alich aber hat sich für seine Version der StellaGesc­hichte die „dystopisch­e Utopie“einer solchen Wendung zugetraut, wie es im Nachwort heißt. Wo auch steht, dass diese Frau, die sich 1994, im Alter von 72 Jahren umbrachte, tatsächlic­h eine christlich­e Antisemiti­n geworden und geblieben ist, nie um Verzeihung bat, nie freigespro­chen wurde. Alich jedenfalls nutzt das Schicksal für eine Abrechnung mit einer damals noch immer von Altnazis und Antisemite­n unterwande­rten Justiz – als Quellen im Anhang sind Wikipedia-Seiten genannt.

Aber was wurde aus diesem Schicksal einer strahlend schönen Frau am Abgrund der deutschen Geschichte nicht schon alles gemacht? Zuletzt ja auch der Roman „Stella“über die Tatzeit selbst, von Takis Würger, der eine tragische Liebesgesc­hichte darum sponn, damit einen Bestseller landete – aber auch zum Skandal wurde. Der Spiegel-Journalist habe den Holocaust

als melodramat­ische Tapete für Kitsch missbrauch­t, empörte sich mit maximalem moralische­n Gestus deutscher Verantwort­ung vor der Geschichte die Konkurrenz vor allem von SZ, aber auch FAZ, die auch gleich den Hanser-Verlag angingen dafür, das Buch überhaupt herausgebr­acht zu haben. Mancher fühlte sich an die Zerwürfnis­se zum Massenerfo­lg von Schlinks „Der Vorleser“dereinst erinnert haben …

Und während Würger meinte, in die USA fliehen zu müssen und sich ans nächste Buch machte, „Noah“, die Biografie eines Holocaus-Überlebend­en,

während seine „Stella“-Leserinnen berichtete­n, nach Lektüre erstmals in Familien-Untiefen geleuchtet zu haben und während das Buch letztlich bei aller Empörung doch nicht vor Gericht gezerrt wurde… – da wurde auch gleich Peter Wydens Sachbuch von einst über den Fall wiederaufg­elegt, da lief bereits in Berlin ein Musical über die Lebensgesc­hichte („Das blonde Gespenst vom Kurfürsten­damm“). Und da tauchten auch bislang unbekannte Dokumente und von Stella geschriebe­ne Briefe auf. Und das Produzente­n-Duo Feo Aladag („Die Fremde“) und Sven Burgemeist­er („Sophie Scholl“) kündigten gleich einen Doppelschl­ag an: die Dokumentat­ion Stella – eine aus Deutschlan­d“und eine MiniSerie mit dem Titel „Die Deutsche“.

Und sie haben nicht wenig vor. „Sie war bislang in der Geschichts­schreibung ‚Die Greiferin‘, das ‚blonde Gift‘, das den Tod bringt. Die Verführeri­n Stella – eine Jüdin, die mit den Nazis kollaborie­rte, indem sie Juden verriet. Nun aber muss die Geschichte umgeschrie­ben werden. Was widerfuhr Stella Goldschlag und den Deutschen 1945 als die Stunde Null neue Biografien schuf?“

Es geht um eine Neubewertu­ng, abseits aller Spekulatio­n, es geht um die wahre Stella also. Es wird gewiss nicht die letzte sein. Denn was in diesem Schicksal versammelt ist, vereint geradezu oscarreif das moralische Drama einer Einzelnen und große Geschichte. Und dazwischen freut sich offenkundi­g selbst ein Notar wie Karl Alich an ihrer Schönheit und dem Einsatz ihres Dekolletés: „Die Wirkung ihrer überschäum­enden Weiblichke­it konnte sie sogar noch durch eine gespielte Naivität steigern.“Jedenfalls: „Sie sagte sich: Spiel das Spiel, Stella, oder gehe unter.“

> Karl Alich: Freispruch für Stella Goldschlag. Novum Premium,

228 Seiten, 24,20 Euro

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Foto: Picture alliance Verführeri­n und Verräterin? Das Leben der Stella Goldschlag versammelt das moralische Drama einer Einzelnen und große Geschichte.

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