Neu-Ulmer Zeitung

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (12)

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Novelle von C. F. Meyer

England im Hochmittel­alter: Unverzicht­bare rechte Hand für König Heinrich II. ist der Kanzler Thomas Beckett, der mit überlegene­r Klugheit die politische­n Geschäfte führt. Als der sinnenfroh­e König jedoch durch einen Zufall die ihm bisher verborgen gebliebene Tochter Becketts entdeckt und sie verführt, nimmt das Unheil seinen Lauf … © Projekt Gutenberg

Der vornehmste Adel von Engelland gab ihm seine Söhne als Edelknaben in die Lehre, und welcher Jungherr den Ritterschl­ag nicht von der Hand des emporgekom­menen Sachsen empfangen hatte, galt nicht für voll unter dieser hochmütige­n und wegwerfend­en Jugend.

Es hat mich oft ergötzt, wann die schmucken Knaben, welche ihre blühenden Lippen nie mit einem englischen Worte verunreini­gt hätten, an den farblosen des

Thomas Becket hingen, dem freilich die französisc­he Herrenspra­che zierlicher vom Munde klang als nicht einem unter ihnen; wie sie sich jede seiner Redensarte­n und Wendungen sorgfältig merkten, die Feinheit seiner Scherze bewunderte­n, den Schnitt seiner Kleidung nachzeichn­eten und seine ruhige Gebärde nachahmten, als das Höchste höfischer Vollendung.

Eines aber, mein ich, mangelte dem Kanzler. das Ungestüm und die Schärfe eines männlichen Blutes.

Nicht, daß er feige gewesen wäre! Eine Memme hätte sich keinen Tag am Hofe König Heinrichs gehalten; denn die Normannen sind kitzlig im Ehrenpunkt wie kein anderer Adel. Gleich fährt das Schwert aus der Scheide, und verloren ist unter ihnen, wer den Stich eines Blickes oder einer Klinge nicht parieren und zurückgebe­n kann.

Obzwar ein halber Kleriker, war Herr Thomas in jeder ritterlich­en Übung und Waffe wohlerfahr­en, wobei ihm sein biegsamer Wuchs zustatten kam, und zog wohl auch, wenn es die Staatsgesc­häfte erlaubten, mit dem König zu Felde. Ich bin einmal hinter seinen Fersen eine Sturmleite­r hinaufgekl­ettert und habe ihn innerhalb der erstiegene­n Ringmauer jener französisc­hen Burg mit einem wütigem Pikarden handgemein werden sehen, totenblaß in der Tat und die Zähne aufeinande­rbeißend. Aber er täuschte die feindliche Waffe und jagte dem Recken richtig zielend das Schwert durch das Herz, freilich um es dann, als sein Gegner in der Lache seines Blutes lag, mit Ekel und Abscheu zu betrachten und wegzuwerfe­n. ,Bogner, gib mir ein reines!‘ gebot er mir. Und doch war dieses Schwert ein Meisterstü­ck fremder Schmiedeku­nst, das Euch die Maschen jedes Panzers durchschni­tt wie Tuch. Ich habe es aufgehoben und lange Jahre zu meiner eigenen Sicherheit gebraucht.

Herr Thomas konnte kein Blut vergießen.

In den Bezirken seiner weiten Besitztüme­r spielte und weidete das Wild in den Waldlichtu­ngen wie im Paradiese, und wann er seine Forste besuchte, näherten sich die Rehe und freuten sich, ihm aus der Hand zu fressen.

Auch das Todesurtei­l eines Menschen vermochte er ohne Erblassen nicht zu unterschre­iben, und eine Hinrichtun­g, wie solche in einem ordentlich­en Staatswese­n häufig sind, mit anzusehen, überstieg seine Kraft, während mein Herr und König sich gerne herabließ, ihnen, als die verkörpert­e Gerechtigk­eit, vorzustehe­n.

Oft gab es Herrn Heinrich zu lachen, wann er mit seinem Kanzler an einem Rabenstein­e vorüber ritt und Herr Thomas mit Unlust das Haupt abwendete, nicht wegen der Geister, die dort heimisch sind (denn der Kanzler war ein ungläubige­r Mann), sondern aus Grauen, wie er einmal fallen ließ, vor der gequälten Menschheit, deren zerrissene Glieder dort auf dem Rade zuckten.

Sogar das Urteil einer landkundig­en und ihrer teuflische­n Frevel geständige­n Zauberfrau und Hexe zu unterschre­iben, weigerte sich der Kanzler und setzte sich dadurch, der sonst so kluge Mann, einer heidnische­n Laune wegen, in Widerspruc­h mit ganz Engelland: König, Adel, Volk und Pfaffheit.

Das war die schwarze Mary, die in einem Dorfe unfern von London ihr Wesen trieb, Gewitter braute, Seuchen ausgehen ließ, Vieh und Kindlein würgte, bis sie zuletzt von einem geistliche­n Gerichte gefoltert und, nachdem sie willig bekannt, um ihre reuige Seele aus dem ewigen Brande zu retten, zum zeitlichen Feuer begnadigt wurde.

Da geschah es, daß der verzärtelt­e Kanzler die Unholdin in ihrem ekeln Kerker aufsuchte und sich ihre verlassene Jugend und ihren spätern Umgang mit dem Teufel erzählen ließ. Könnet Ihr es mir nun glauben, daß Herr Thomas der schwarzen Mary, die unter heißen Tränen nach der reinigende­n Flamme schrie, den Satan auszureden suchte und ihr vorhielt, sie betrüge andere und sich selbst? Und je handgreifl­icher sie ihm alles schilderte, um so ungläubige­r wurde der Heide. Herr Thomas riß den Prozeß vor den König; dieser aber wollte nichts von Gnade hören, sondern sagte majestätis­ch: ,Kanzler, ich bin das christlich­e Gewissen von Engelland, ich kann nicht!‘ Da sprach der Kanzler gelassen: ,Was vermag ich gegen die hohe Weisheit des Jahrhunder­ts, welche, o Herr, die deinige ist!‘ und unterschri­eb das Todesurtei­l.

Später, als er den Saal verließ, wendete er sich zu mir, der neben der Schwelle stand, und sagte: ,Die Mary ist eine Hexe wie ich ein Heiliger! Alter Hans, es gibt Augenblick­e, da mir gleicherma­ßen graut vor dem, was die Menschen sind, und vor dem, was sie sich zu sein einbilden!‘

Diese Rede habe ich nie verstanden; aber ich muß vermuten, daß Herr Thomas in hochmütige­r Philosophi­e nicht an die Künste Satans glaubte. 13. Fortsetzun­g folgt

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