Neu-Ulmer Zeitung

Das Verteidigu­ngsministe­rium ist ein politische­r Schleuders­itz

Christine Lambrecht hat ihren Rücktritt als Ressortche­fin eingereich­t – nach gut einem Jahr im Amt. Sie ist nicht die Erste, die vor Ablauf der Legislatur­periode hinschmeiß­en muss. Was das Haus so schwierig macht.

- Von Margit Hufnagel

Bundesentw­icklungsmi­nisterin Svenja Schulze (SPD).

Berlin/Augsburg Am Ende sprach aus ihren Worten der lang angestaute Frust. „Die monatelang­e mediale Fokussieru­ng auf meine Person lässt eine sachliche Berichters­tattung und Diskussion über die Soldatinne­n und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheit­spolitisch­e Weichenste­llungen im Interesse der Bürgerinne­n und Bürger Deutschlan­ds kaum zu“, schrieb Christine Lambrecht in ihrer Begründung, warum sie ein Jahr nach Amtsantrit­t schon wieder den Rückzug aus dem Verteidigu­ngsministe­rium antritt. Von den Pannen, die während ihrer Amtszeit geschahen, sprach die 57-Jährige nicht. Auch die Nachfolge für den wichtigen Postens ist bislang zumindest offiziell ungeklärt. Für das Ressort selbst gehört es inzwischen hingegen fast zur schlechten „Tradition“, dass die Amtsinhabe­r wechseln. Der Posten des Verteidigu­ngsministe­rs gilt als politische­r Schleuders­itz. Als eine der letzten, die den Bendlerblo­ck für die eigene Karriere nutzten, war Ursula von der Leyen, die inzwischen Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission ist.

Durchschni­ttlich dreieinhal­b Jahre betrug die Amtszeit im Verteidigu­ngsministe­rium – auf die vollen vier Jahre brachten es also nur wenige Politiker. 19 Ministerin­nen und Minister gab es seit Gründung des Hauses im Jahr 1955, sieben davon sind vorzeitig aus dem Amt geschieden. Der gigantisch­e Apparat ist für Politiker eine Herausford­erung, die Strukturen sind bürokratis­ch, der Spagat zwischen militärisc­hem Denken und zivilen Vorstellun­gen oft nicht ganz einfach zu bewältigen. So viel Rückendeck­ung wie im Moment hatte die Bundeswehr in der Gesellscha­ft nicht immer, auch die finanziell­en Mittel waren stets hart umkämpft. Intern ist das Ministeriu­m mit all seinen Verästelun­gen von Machtkämpf­en geprägt. Das Beschaffun­gswesen gilt als regelrecht­es Bürokratie-Monster, das schon so manche Million verschlung­en hat. Von Christine Lambrecht hieß es immer wieder, sie habe es noch nicht einmal geschafft, sich die Diensträng­e der Truppe zu merken und habe nur wenig Motivation erkennen lassen, in die Materie einzutauch­en.

Von ihren Kritikern wurde immer wieder belächelt, dass sie als Frau nicht gedient habe. Doch das Argument taugt nur bedingt. Der SPD-Politiker Peter Struck war einer der beliebtest­en Verteidigu­ngsministe­r, doch gedient hat er nie. Struck wurde wegen seines Studiums bei der Wehrpflich­t zurückgest­ellt, danach wurde er altersbedi­ngt nicht mehr eingezogen. Ganz anders etwa Rudolf Scharping, der eine Kaserne auch schon vor dem Antritt als Verteidigu­ngsministe­r von innen kannte. Doch eine ganze Reihe von Entscheidu­ngen ließen Zweifel an seiner Eignung aufkommen, unter anderem ging es um die Annahme von Berater-Honoraren. Als er sich dann mit seiner damaligen Lebensgefä­hrtin von der Klatschsam­te

Zeitschrif­t Bunte im Pool fotografie­ren ließ, während deutsche Soldaten im Kosovo kämpfen sollten, sorgte dies für öffentlich­e Empörung. Im Juli 2002 war schließlic­h endgültig Schluss: Scharping hatte 50-mal die Luftwaffe genutzt, um von Berlin nach Frankfurt zu seiner Lebensgefä­hrtin zu kommen.

Erfahrung mit persönlich­er Inszenieru­ng durch die Medien hatte auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Der CSU-Politiker verstand es, sich durch seine Auftritte als zupackende­r Minister zu präsentier­en. In seine Zeit fallen zudem wegweisend­e Entscheidu­ngen, die bis heute nachschwin­gen: die Abschaffun­g der Wehrpflich­t und die Verkleiner­ung der Streitkräf­te. Doch schon nach 16 Monaten im Amt wurde zu Guttenberg jäh gestoppt: Seine Doktorarbe­it war nicht sauber erarbeitet, ganze Passagen waren abgeschrie­ben, das Plagiat beendete nicht nur seine Amtszeit, sondern gleich seine ge

politische Karriere. Vielen Experten gilt zu Guttenberg als einer der tatkräftig­sten Totengräbe­r einer schlagkräf­tigen Bundeswehr. Seine Reformen waren nichts anderes als eine Schrumpfku­r ohne

Rücksicht auf Verluste – getrieben von der Annahme, man sei nur noch von Freunden umgeben.

Den Rekord für die kürzeste Amtszeit hält dennoch ein anderer: Rupert Scholz war nur elf Monate an der Spitze des Ministeriu­ms. Er wurde 1989 Opfer einer Kabinettsu­mbildung. Der CDU-Mann galt als führungssc­hwach, in seine Zeit fiel das Unglück in Ramstein. Bei einer Militärsch­au kam es zu einer Kollision von Flugzeugen, dutzende Menschen starben. Daraus entspann sich eine Debatte über das Verbot von Tiefflügen.

Die Serie der Rücktritte „gestartet“wurde von einem Mann, der später eine umso größere Karriere hinlegte: Franz Josef Strauß. 1962 musste er im Zusammenha­ng mit der Spiegel-Affäre zurücktret­en. Es war einer der ersten Justizskan­dale der noch jungen Bundesrepu­blik. Die Liste ließe sich fortsetzen: KaiUwe von Hassel, Gerhard Stoltenber­g, Franz-Josef Jung, Thomas de Maizière…

Christine Lambrecht kann gleich eine ganze Mängellist­e vorweisen. Einmal nahm sie ihren volljährig­en Sohn mit auf einem Flug im Regierungs­hubschraub­er – um anschließe­nd mit ihm einen Urlaub in Sylt zu verbringen. Zwar hatte sie die Kosten voll übernommen, doch der Ruf der Ministerin war ohnehin schon angeschlag­en. Bei einem Truppenbes­uch im Wüstenland Mali trat sie mit Stöckelsch­uhen auf, zu Beginn des Ukraine-Krieges wollte sie Kiew mit 5000 Helmen abspeisen. Zuletzt sorgte sie für Kopfschütt­eln, als sie in der Silvestern­acht vor einer Böller-Lärmkuliss­e eine Handy-Grußbotsch­aft aufnahm.

Lambrechts Fehler wogen umso schwerer, weil ihre Amtszeit mitten in eine Phase fiel, die Kanzler Olaf Scholz selbst als „Zeitenwend­e“ausgerufen hatte. Die Bundeswehr gilt als Sanierungs­fall und das ausgerechn­et in einer Zeit, in der alte internatio­nale Gewissheit­en zerbröseln, die Verteidigu­ngsfähigke­it nicht mehr nur theoretisc­h gegeben sein darf und Russland vom Freund zum Bedrohungs­fall geworden ist.

Auch internatio­nal sind deshalb nun die Erwartunge­n an den Wechsel an der Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums groß. „Ich hoffe, dass ihr Nachfolger das nötige Format mitbringt, um Deutschlan­d zu einer Führungsro­lle innerhalb der Nato zu verhelfen“, sagte der ehemalige Oberkomman­deur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges, dem Stern. Die erste Feuerprobe für den Neuen oder die Neue steht schon am Freitag an, wenn es in Ramstein darum geht, ob die Ukraine Leopard-2-Kampfpanze­r bekommen soll. (mit dpa)

Die Liste von Lambrechts Pannen ist lang

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Mit Stöckelsch­uhen im Wüstensand: Christine Lambrecht bei einem Truppenbes­uch in Niger.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Mit Stöckelsch­uhen im Wüstensand: Christine Lambrecht bei einem Truppenbes­uch in Niger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany