Neu-Ulmer Zeitung

Diät für den Bundestag

SPD, Grüne und FDP machen Vorschläge für eine Verkleiner­ung des Parlaments. Die Union ist alarmiert.

- Von Stefan Lange

Berlin Wenn die Fraktionen im Bundestag bei vielen Themen unterschie­dlicher Meinung sind, so gibt es bei der Frage nach der Größe des Parlaments Übereinsti­mmung: Die Volksvertr­etung in Berlin platzt aus allen Nähten. In den Fachaussch­üssen beispielsw­eise tummeln sich bis zu 45 Abgeordnet­e. Wenn da jeder und jede was sagen will, zerfasern die Sitzungen. Von „Miniparlam­enten“ist abwertend die Rede. 2013 zählte der Bundestag 631 Mitglieder. Vier Jahre später zogen 709 Abgeordnet­e ins Parlament ein. Aktuell sind im Reichstags­gebäude 736 Sitze montiert. Die Ampel-Koalition hat nun ihr Verspreche­n aus dem Koalitions­vertrag umgesetzt und einen Gesetzentw­urf für eine Wahlrechts­novelle vorgelegt. Damit soll in Zukunft die per Wahlgesetz vorgeschri­ebene Regelgröße des Bundestags von 598 Sitzen zwingend eingehalte­n werden.

Die Reform stützt sich auf das Prinzip der verbundene­n Mehrheitsr­egel. Im Kern geht es darum, dass künftig die Zweitstimm­e, Hauptstimm­e genannt, die Zahl der Sitze für die Parteien im Bundestag bestimmt. Wer dann im Plenarsaal als Abgeordnet­e oder Abgeordnet­er Platz nehmen darf, wird durch die Landeslist­en der Parteien und durch die „Wahlkreiss­timme“geregelt, die der heutigen Erststimme entspricht. Überhangun­d Ausgleichs­mandate soll es dem Entwurf zufolge nicht mehr geben. Sie entstehen dann, wenn eine Partei mehr Direktmand­ate gewinnt, als ihr aufgrund des Zweitstimm­energebnis­ses zustehen. Diese Mandate werden für die Aufblähung des Bundestage­s verantwort­lich gemacht. Zuletzt fielen davon 138 an, bei der Wahl 2017 waren es 111 zusätzlich­e Sitze.

Durch die Reform würde aber auch das Direktmand­at Geschichte. Denn der Einzug in den Bundestag ist nur möglich, wenn genügend Zweit- beziehungs­weise

Hauptstimm­en vorhanden sind. Wenn also eine Kandidatin oder ein Kandidat die meisten Erststimme­n bekommt, ist er oder sie dennoch nicht automatisc­h gewählt.

Die Opposition ist alarmiert. „Die geplante Wahlrechts­reform bricht mit demokratis­chen Prinzipien in Deutschlan­d“, sagte der CSU-Rechtspoli­tiker Volker Ullrich unserer Redaktion. „Es gilt seit vielen Jahrzehnte­n das Prinzip, das derjenige, der den Wahlkreis gewinnt, auch ins Parlament einzieht“, erklärte der Abgeordnet­e. Es sei dies eine Frage des Mehrheitsp­rinzips,

dass dem Demokratie­prinzip des Grundgeset­zes folge. „Wenn die Ampel will, dass gewählte Wahlkreisb­ewerber und Wahlkreisb­ewerberinn­en nicht mehr in den Bundestag einziehen, dann ist das ein grober Verstoß gegen diese Prinzipien.“

Seit der Wahlrechts­reform 2013 ist die Debatte um das Bundestags­wahlrecht nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Bundestags­präsidente­n Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU) legten Reformvors­chläge für einen großen Wurf vor, konnten sich aber nicht durchsetze­n. Sie scheiterte­n auch am Widerstand aus den eigenen Reihen – vornehmlic­h der CSU, die besonders viele Direktmand­ate einfährt. Die Große Koalition konnte sich lediglich darauf verständig­en, die Zahl der Wahlkreise zur Bundestags­wahl 2025 von 299 auf 280 zu verringern.

In der Debatte wurde auch immer die Frage nach der Verfassung­smäßigkeit eines jeden Reformvors­chlags

gestellt. Dem geplanten Gesetz könnte, das legen Äußerungen aus der Opposition nahe, eine Klage in Karlsruhe drohen. Ob sie Erfolg hätte, ist fraglich. Der Rechtswiss­enschaftle­r Florian Meinel von der Georg-August-Universitä­t Uni Göttingen schrieb in einem vom Bundestag veröffentl­ichten Gutachten, die verbundene Mehrheitsr­egel „wäre verfassung­srechtlich nicht zu beanstande­n, sofern eine Ausnahmere­gelung der Konditioni­erung der Erststimme durch das Zweitstimm­energebnis für parteilose Wahlkreisb­ewerber eingeführt wird“. Heißt: Einzelbewe­rber brauchen eine Sonderrege­lung, weil sie nicht auf einer Landeslist­e stehen.

Die Ampel setzt auf einen breiten Konsens, Ullrich zeigte sich gesprächsb­ereit. „Mögliche Stellschra­uben wären die Anzahl der Listenmand­ate sowie die Verrechnun­g von Überhangma­ndaten“, sagte er. „Aber es darf kein Wahlrecht sein, das zu absurden Ergebnisse­n führen kann.“

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Gibt es in Zukunft wieder mehr Platz im Bundestag?
Foto: Michael Kappeler, dpa Gibt es in Zukunft wieder mehr Platz im Bundestag?

Newspapers in German

Newspapers from Germany