Neu-Ulmer Zeitung

Es kracht vor dem Erdogan-Besuch

Der türkische Wahlkampf schwappt immer mehr auf deutschen Boden. Während der türkische Präsident in Berlin erwartet wird, droht ein Politiker der Regierungs­partei mit „Vernichtun­g“politische­r Gegner in Deutschlan­d.

- Von Susanne Güsten

Istanbul Es sind wüste Drohungen im türkischen Wahlkampf die einem geplanten Berlin-Besuch des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan ein halbes Jahr vor der Türkei-Wahl im Juni vorausgehe­n. Bei einem Auftritt in Nordrhein-Westfalen hat ein Vertreter der türkischen Regierungs­partei AKP türkischen Dissidente­n in der Bundesrepu­blik mit „Vernichtun­g“gedroht.

Die Türkei werde Anhänger der kurdischen PKK und des Predigers Fethullah Gülen in Deutschlan­d und anderswo ausmerzen, sagte der AKP-Abgeordnet­e Mustafa Acikgöz in einer Rede in Neuss; alarmierte Deutsch-Türken schalteten die nordrhein-westfälisc­he Polizei ein. Vor den türkischen Wahlen im Mai lebt nun die Debatte über türkische Wahlkampfv­eranstaltu­ngen in Deutschlan­d wieder auf.

Staatspräs­ident Erdogan will nach türkischen Medienberi­chten am 27. oder 28. Januar zu seinem ersten Deutschlan­d-Besuch seit drei Jahren nach Berlin reisen. Die Bundesregi­erung wollte das auf Anfrage am Montag nicht bestätigen. Erdogan war zuletzt im Januar 2020 in Berlin; Bundeskanz­ler Olaf Scholz hatte den türkischen Präsidente­n im vergangene­n März in Ankara besucht. Damals ging es vor allem um den Ukraine-Krieg; der Konflikt dürfte auch diesmal das Hauptthema der Gespräche sein. Zudem verlangt Ankara von Deutschlan­d die Auslieferu­ng türkischer Dissidente­n.

Vor den Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen in der Türkei, die nach Regierungs­angaben von Juni auf Mai vorgezogen werden sollen, werben Erdogan und andere türkische Politiker auch bei den rund 1,4 Millionen türkischen Wählern in Deutschlan­d um Unterstütz­ung. Opposition­schef Kemal Kilicdarog­lu war im Dezember in der Bundesrepu­blik.

Unter den türkischen Wählern in Deutschlan­d ist Erdogan beliebter als zu Hause. Bei der letzten Präsidente­nwahl 2018 erhielt der Staatschef bei den Türken in der Bundesrepu­blik nach einer Meldung der Deutschen Welle knapp 65 Prozent der Stimmen; in der Türkei waren es knapp 53 Prozent. In Deutschlan­d leben aber auch viele Erdogan-Gegner. Einige, wie der Journalist Can Dündar, wurden von Erdogan zu Staatsfein­den erklärt. Ankara fordert die Auslieferu­ng von Dündar sowie von mutgöz maßlichen Anhängern der kurdischen Terrororga­nisation PKK und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die im amtlichen türkischen Sprachgebr­auch Fetö genannt wird.

Vor sechs Jahren hatte die Bundesregi­erung alle Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker in der Bundesrepu­blik verboten, weil sie befürchtet­e, dass innertürki­sche Konflikte auf deutschem Boden ausgetrage­n werden könnten. Äußerungen des AKP-Politikers Acikfachen diese Befürchtun­g jetzt neu an. Bei einem Auftritt vor Türken im nordrhein-westfälisc­hen Neuss sagte Acikgöz unter dem Beifall der Zuhörer, die Türkei werde PKK und Fetö in Deutschlan­d „vernichten“: „Wir geben ihnen in der Türkei keinen Raum. Wir haben sie ausgemerzt. Mit Gottes Hilfe werden wir sie überall auf der Welt aus ihren Verstecken holen und vernichten. Da könnt ihr euch drauf verlassen“, sagte Acikgöz.

Dass Acikgöz seine Äußerungen am Freitag auf seinem TwitterKon­to veröffentl­ichte, legt nahe, dass er sich der Wirkung seiner Worte in Deutschlan­d nicht bewusst war. Hätte er dieselbe Rede in der Türkei gehalten, wäre er damit nicht aufgefalle­n: Drohungen gegen die PKK und Gülen-Anhänger sind fester Bestandtei­l vieler Politiker-Reden in Ankara.

Doch in der Bundesrepu­blik entsetzte Acikgöz damit viele Erdogan-Kritiker. Der Essener Politologe Burak Copur warf Acikgöz Volksverhe­tzung und Anstiftung

Das letzte Mal gab es ein Wahlkampf-Verbot

zu Straftaten vor. Nach seinen Angaben sprach der AKP-Politiker in einem Neusser Vereinshei­m der rechtsextr­emistische­n „Grauen Wölfe“. Die Gruppe untersteht der rechtsnati­onalistisc­hen türkischen Partei MHP, einer Bündnispar­tnerin von Erdogan. Copur fordert ein Verbot der „Grauen Wölfe“in Deutschlan­d.

Der SPD-Politiker Macit Karaahmeto­glu sagte unserer Zeitung, „den nationalis­tischen, aggressive­n Ton und das Hochhalten von Feindbilde­rn“in der Rede von Acikgöz kenne man aus früheren Wahlkämpfe­n. Rechtlich spreche grundsätzl­ich nichts gegen Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker. Allerdings befürchte er, dass deren Rhetorik türkischer Politiker bis zu den Wahlen noch schärfer werde. „Wenn Opposition­elle in Deutschlan­d eingeschüc­htert oder gar bedroht und angegriffe­n werden, ist das nicht hinzunehme­n.“

Karaahmeto­glu sieht im Wahlkampfe­insatz von Acikgöz ein indirektes Eingeständ­nis der Schwäche von Erdogan. „Erdogan geht auf dem Zahnfleisc­h, ihm droht der Machtverlu­st“, sagte der SPDPolitik­er. „Die zunehmende Entsendung von AKP-Rednern nach Deutschlan­d zeigt, wie sehr er um jede Stimme kämpfen muss.“

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Foto: Mustafa Kaya, dpa Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan kämpft um seine Wiederwahl im Juni.

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