Neu-Ulmer Zeitung

Rüstung und Bier ziehen Scholz nach Ulm

Der Besuch des Bundeskanz­lers wirft viele Fragen auf. Warum schaute der Politiker ausgerechn­et bei der Brauerei Gold Ochsen und der Verteidigu­ngs-Firma Hensoldt vorbei? Wie sich die beiden Rätsel lösen lassen.

- Von Stefan Stahl

Ulm Vom Bayern-Kini, König Ludwig II., stammt das schöne Vermächtni­s: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen“. Ein Teil seiner Faszinatio­n geht darauf zurück, dass sich manches in seinem Leben schwer erklären lässt. Auf den ersten Blick haben das eher bescheiden auftretend­e Nordlicht Olaf Scholz und der ausschweif­ende Südling Ludwig II. nichts gemeinsam. Bei näherer Betrachtun­g wird indes klar: Auch der Kanzler hat Spaß daran, Pressemens­chen und Öffentlich­keit im Ungewissen zu lassen, um sich eine mysteriösu­nnahbare Aura zu geben. Stimmt er nun der Lieferung von LeopardKam­pfpanzern an die Ukraine zu oder nicht? Wer wird Nachfolger­in oder Nachfolger der zurückgetr­etenen Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht?

Scholz legt seine Gedankengä­nge gerne erst nach beständige­r

Wortkarghe­it auf den letzten Drücker offen. Das zeigt sich auch am Montag bei seinem Besuch in Ulm. Zwei Firmen stehen auf der Tagesordnu­ng. Die Wahl der einen löst Verwunderu­ng aus, der Namen der Zweiten wird nach tagelangem Rätselrate­n erst spät vor der Kanzler-Visite publik. Dass die Gunst von Scholz der Brauerei Gold Ochsen zuteilwird, ruft in geballter Form Fragezeich­en hervor – und das dem Vernehmen nach sogar zunächst im Unternehme­n selbst.

Gold Ochsen ist sicher eine besondere Firma. Sie kann mit Ulrike Freund eine Brauerei-Chefin vorweisen und wurde schon 1597 gegründet. Doch die politische Berliner Spitzenkla­sse schmückt sich gerne mit Visiten bei HightechUn­ternehmen. Scholz, der manchmal nicht nur Rätsel aufgibt, sondern auch mit Wummsereie­n verblüffen will, wählte als Auftakt in Ulm die bodenständ­ige Variante.

Der Bundeskanz­ler will sich live über die Herausford­erungen der

Energie- und Teuerungsk­rise informiere­n, die Brauereien besonders zusetzen. Und er trinkt gerne mal ein Bier, und das nicht nur pflichtbew­usst bei entspreche­nden Terminen, sondern, wie sein Gold-Ochsen-Gesichtsau­sdruck in Ulm nahelegt, durchaus lustvoll.

Als sich am Montag rumspricht, wohin es den Kanzler in Ulm als Nächstes zieht und auch sein zweites schwäbisch­es Rätsel gelöst wird, schmunzelt mancher. Schließlic­h fährt Scholz weiter in eine Rüstungsfa­brik mitten in einem Wohngebiet. Er habe erst bei Gold Ochsen Zielwasser für den zweiten Auftritt getrunken, spottet eine Beobachter­in. Der Witz ist zwar gut, führt aber in die Irre. Denn bei Hensoldt kracht es nicht. Hier trifft Scholz weder auf Gewehre, Panzer noch Kampfflugz­euge, setzt sich also nicht der Gefahr aus, allzu martialisc­he Bilder zu produziere­n. In dem florierend­en Hightech-Betrieb mit rund 2500 Beschäftig­ten werden vielmehr vor allem Radar-Systeme produziert, die für die gegnerisch­e Seite nicht auszumache­n sind und daher ein ewiges Rätsel bleiben sollen. So hat das Unternehme­n ein Passiv-Radar im Angebot, das ohne eigene Signale den Luftraum im Umkreis von mehreren hundert Kilometern absuchen kann.

Dabei ist der Besuch von Scholz bei der Firma eine Art Heimspiel. Denn der Bund ist zu 25,1 Prozent an der börsennoti­erten Hensoldt AG beteiligt. Doch warum ist das Unternehme­n für Deutschlan­d so wichtig, dass selbst Scholz ihm die Aufwartung macht und sich bereitwill­ig vor allerlei Radaren fotografie­ren lässt? Das Rätsel lässt sich rasch lösen. Denn Hensoldt verfügt über Produkte, die für die elektronis­che Kampfführu­ng unerlässli­ch sind. Das funktionie­rt über das Auffangen und Stören von Funk- und Radarsigna­len gegnerisch­er Kräfte. „Es geht also ums Eingemacht­e“, sagt ein Insider. Solche Fähigkeite­n sind für ein Land wie Deutschlan­d elementar und dürfen nicht in die Hände anderer Nationen geraten.

Den Bundeskanz­ler interessie­rt noch eine weitere Hensoldt-Fähigkeit. So inspiziert er in Ulm das Radarsyste­m TRML-4D, das im Flugabwehr­system Iris-T, das auch in der Ukraine zum Einsatz kommt, steckt. Die Spezialist­innen und Spezialist­en des Unternehme­ns entwickeln Technologi­en, um selbst kleine Drohnen zu orten.

Hensoldt profitiert von der von Scholz ausgerufen­en „Zeitenwend­e“, also der besseren Ausrüstung der Bundeswehr. Als Reaktion darauf ist die Aktie der Firma in diesem Jahr von rund zwölf auf zuletzt rund 23 Euro nach oben geschossen. Dem Unternehme­n kommt zugute, schon vor der „Zeitenwend­e“

solche Radare für das Flugabwehr­system Iris-T in Serie produziert zu haben. Die Firma kann jetzt schnell liefern.

Damit aber eine Serienprod­uktion für ein Unternehme­n wie Hensoldt wirtschaft­lich wird, müssen die Stückzahle­n möglichst hoch sein. Weil der nationale Markt überschaub­ar bleibt, sind die deutschen Rüstungsfi­rmen daran interessie­rt, möglichst viele ihrer Produkte zu exportiere­n. Damit können sie sich aber Ärger einhandeln. Das Nachrichte­n-Magazin Spiegel warf Hensoldt vor, trotz Sanktionen Geschäfte mit SaudiArabi­en zumindest anzubahnen.

Das Unternehme­n nimmt offiziell nicht zu dem Bericht Stellung, es heißt lediglich, die Firma habe sich in Deutschlan­d an alle ExportVorg­aben gehalten. Aus Deutschlan­d heraus seien keine untersagte­n Rüstungsgü­ter nach SaudiArabi­en geliefert worden.

Dass Scholz nach Ulm kommt, lässt nur eine Deutung zu

Indirekt ist das aber nach Recherchen unserer Redaktion schon passiert, aber über Hensoldt-Tochterfir­men in Südafrika. Das allerdings ist nach dem dort und hierzuland­e geltenden Recht erlaubt. Wie das Vorgehen moralisch zu beurteilen ist, steht indes auf einem anderen Blatt.

In Berlin sollen einige verschnupf­t sein über den ExportDran­g von Hensoldt. Deswegen hat Deutschlan­d eine neue Vertreteri­n in den Aufsichtsr­at geschickt, die, wenn es um das Einhalten von Gesetzen geht, genau hinschaut: Hiltrud Werner war schon im VWVorstand eine Vorkämpfer­in für saubere Geschäfte. Dass aber Scholz trotz der Spiegel-Vorwürfe nach Ulm reist, lässt nur eine Deutung zu: Er steht zu Hensoldt. Und natürlich geht der Kanzler in seinem Statement nicht darauf ein, wer Nachfolger­in oder Nachfolger von Christine Lambrecht werden soll. Nachfragen lässt er nicht zu und gibt den dutzenden Pressemens­chen nur ein neues Rätsel mit auf dem Weg, was die künftige Führung des Verteidigu­ngsministe­riums betrifft: „Ich habe eine klare Vorstellun­g.“Nur welche?

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Foto: Alexander Kaya Bundeskanz­ler OIaf Scholz besuchte den Ulmer Standort des Rüstungsun­ternehmens Hensoldt.

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