Rüstung und Bier ziehen Scholz nach Ulm
Der Besuch des Bundeskanzlers wirft viele Fragen auf. Warum schaute der Politiker ausgerechnet bei der Brauerei Gold Ochsen und der Verteidigungs-Firma Hensoldt vorbei? Wie sich die beiden Rätsel lösen lassen.
Ulm Vom Bayern-Kini, König Ludwig II., stammt das schöne Vermächtnis: „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen“. Ein Teil seiner Faszination geht darauf zurück, dass sich manches in seinem Leben schwer erklären lässt. Auf den ersten Blick haben das eher bescheiden auftretende Nordlicht Olaf Scholz und der ausschweifende Südling Ludwig II. nichts gemeinsam. Bei näherer Betrachtung wird indes klar: Auch der Kanzler hat Spaß daran, Pressemenschen und Öffentlichkeit im Ungewissen zu lassen, um sich eine mysteriösunnahbare Aura zu geben. Stimmt er nun der Lieferung von LeopardKampfpanzern an die Ukraine zu oder nicht? Wer wird Nachfolgerin oder Nachfolger der zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht?
Scholz legt seine Gedankengänge gerne erst nach beständiger
Wortkargheit auf den letzten Drücker offen. Das zeigt sich auch am Montag bei seinem Besuch in Ulm. Zwei Firmen stehen auf der Tagesordnung. Die Wahl der einen löst Verwunderung aus, der Namen der Zweiten wird nach tagelangem Rätselraten erst spät vor der Kanzler-Visite publik. Dass die Gunst von Scholz der Brauerei Gold Ochsen zuteilwird, ruft in geballter Form Fragezeichen hervor – und das dem Vernehmen nach sogar zunächst im Unternehmen selbst.
Gold Ochsen ist sicher eine besondere Firma. Sie kann mit Ulrike Freund eine Brauerei-Chefin vorweisen und wurde schon 1597 gegründet. Doch die politische Berliner Spitzenklasse schmückt sich gerne mit Visiten bei HightechUnternehmen. Scholz, der manchmal nicht nur Rätsel aufgibt, sondern auch mit Wummsereien verblüffen will, wählte als Auftakt in Ulm die bodenständige Variante.
Der Bundeskanzler will sich live über die Herausforderungen der
Energie- und Teuerungskrise informieren, die Brauereien besonders zusetzen. Und er trinkt gerne mal ein Bier, und das nicht nur pflichtbewusst bei entsprechenden Terminen, sondern, wie sein Gold-Ochsen-Gesichtsausdruck in Ulm nahelegt, durchaus lustvoll.
Als sich am Montag rumspricht, wohin es den Kanzler in Ulm als Nächstes zieht und auch sein zweites schwäbisches Rätsel gelöst wird, schmunzelt mancher. Schließlich fährt Scholz weiter in eine Rüstungsfabrik mitten in einem Wohngebiet. Er habe erst bei Gold Ochsen Zielwasser für den zweiten Auftritt getrunken, spottet eine Beobachterin. Der Witz ist zwar gut, führt aber in die Irre. Denn bei Hensoldt kracht es nicht. Hier trifft Scholz weder auf Gewehre, Panzer noch Kampfflugzeuge, setzt sich also nicht der Gefahr aus, allzu martialische Bilder zu produzieren. In dem florierenden Hightech-Betrieb mit rund 2500 Beschäftigten werden vielmehr vor allem Radar-Systeme produziert, die für die gegnerische Seite nicht auszumachen sind und daher ein ewiges Rätsel bleiben sollen. So hat das Unternehmen ein Passiv-Radar im Angebot, das ohne eigene Signale den Luftraum im Umkreis von mehreren hundert Kilometern absuchen kann.
Dabei ist der Besuch von Scholz bei der Firma eine Art Heimspiel. Denn der Bund ist zu 25,1 Prozent an der börsennotierten Hensoldt AG beteiligt. Doch warum ist das Unternehmen für Deutschland so wichtig, dass selbst Scholz ihm die Aufwartung macht und sich bereitwillig vor allerlei Radaren fotografieren lässt? Das Rätsel lässt sich rasch lösen. Denn Hensoldt verfügt über Produkte, die für die elektronische Kampfführung unerlässlich sind. Das funktioniert über das Auffangen und Stören von Funk- und Radarsignalen gegnerischer Kräfte. „Es geht also ums Eingemachte“, sagt ein Insider. Solche Fähigkeiten sind für ein Land wie Deutschland elementar und dürfen nicht in die Hände anderer Nationen geraten.
Den Bundeskanzler interessiert noch eine weitere Hensoldt-Fähigkeit. So inspiziert er in Ulm das Radarsystem TRML-4D, das im Flugabwehrsystem Iris-T, das auch in der Ukraine zum Einsatz kommt, steckt. Die Spezialistinnen und Spezialisten des Unternehmens entwickeln Technologien, um selbst kleine Drohnen zu orten.
Hensoldt profitiert von der von Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“, also der besseren Ausrüstung der Bundeswehr. Als Reaktion darauf ist die Aktie der Firma in diesem Jahr von rund zwölf auf zuletzt rund 23 Euro nach oben geschossen. Dem Unternehmen kommt zugute, schon vor der „Zeitenwende“
solche Radare für das Flugabwehrsystem Iris-T in Serie produziert zu haben. Die Firma kann jetzt schnell liefern.
Damit aber eine Serienproduktion für ein Unternehmen wie Hensoldt wirtschaftlich wird, müssen die Stückzahlen möglichst hoch sein. Weil der nationale Markt überschaubar bleibt, sind die deutschen Rüstungsfirmen daran interessiert, möglichst viele ihrer Produkte zu exportieren. Damit können sie sich aber Ärger einhandeln. Das Nachrichten-Magazin Spiegel warf Hensoldt vor, trotz Sanktionen Geschäfte mit SaudiArabien zumindest anzubahnen.
Das Unternehmen nimmt offiziell nicht zu dem Bericht Stellung, es heißt lediglich, die Firma habe sich in Deutschland an alle ExportVorgaben gehalten. Aus Deutschland heraus seien keine untersagten Rüstungsgüter nach SaudiArabien geliefert worden.
Dass Scholz nach Ulm kommt, lässt nur eine Deutung zu
Indirekt ist das aber nach Recherchen unserer Redaktion schon passiert, aber über Hensoldt-Tochterfirmen in Südafrika. Das allerdings ist nach dem dort und hierzulande geltenden Recht erlaubt. Wie das Vorgehen moralisch zu beurteilen ist, steht indes auf einem anderen Blatt.
In Berlin sollen einige verschnupft sein über den ExportDrang von Hensoldt. Deswegen hat Deutschland eine neue Vertreterin in den Aufsichtsrat geschickt, die, wenn es um das Einhalten von Gesetzen geht, genau hinschaut: Hiltrud Werner war schon im VWVorstand eine Vorkämpferin für saubere Geschäfte. Dass aber Scholz trotz der Spiegel-Vorwürfe nach Ulm reist, lässt nur eine Deutung zu: Er steht zu Hensoldt. Und natürlich geht der Kanzler in seinem Statement nicht darauf ein, wer Nachfolgerin oder Nachfolger von Christine Lambrecht werden soll. Nachfragen lässt er nicht zu und gibt den dutzenden Pressemenschen nur ein neues Rätsel mit auf dem Weg, was die künftige Führung des Verteidigungsministeriums betrifft: „Ich habe eine klare Vorstellung.“Nur welche?