BuDapEsts nEuE „grünE“StErnE
Gleich acht Sterne verlieh der Guide Michelin im Herbst an Budapester Restaurants – so viele wie in keiner Hauptstadt des ehemaligen Ostblocks. Welche Rolle dabei die Rückbesinnung auf traditionelle, ungarische Rezepte spielt.
Anna Niszkács strahlt vor Freude. Noch immer. Man muss sie nur auf diesen Anruf ansprechen. Vor ein paar Wochen hat die 39-Jährige die Nachricht von der Redaktion des Guide Michelin erhalten: Ihr Restaurant Onyx Mühely in Budapest wurde mit dem Grünen Stern für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Jetzt sitzt die Geschäftsführerin mit ihrem zwölf-köpfigen Team am runden Tisch und stößt an – mit Sauska Brut Nature, einem Cuvée aus Chardonnay, Pinot Noir und der autochthonen Rebsorte Furmint, den das Weingut aus Tokaj eigens für das Restaurant entwickelt hat.
Das Restaurant ist seit vielen Jahren eine feste Adresse der Feinschmecker in der ungarischen Hauptstadt. „2011 waren wir das erste Sternerestaurant des Landes mit einem ungarischen Koch. 2018 kam dann der zweite Michelin-Stern dazu. Doch irgendwie fühlte sich das alles nicht mehr richtig, nicht zeitgemäß an“, erinnert sich die Firmenchefin. Der Anspruch an Manpower, Speiseangebot und exotischem Wareneinsatz, sei nun mal schwer mit einem nachhaltigen, regionalen Konzept zu vereinbaren. „Es musste etwas anderes her“. Die Corona-Pandemie und der Stillstand in der Gastronomie gab dann Zeit zum Nachdenken – und für einen radikalen Wandel des Konzepts.
„Heute sind wir das erste Restaurant in Ungarn, das den CO2-Abdruck des Abendmenüs ermittelt“, erklärt Anna stolz. Die zwölf Gänge, die den Gästen serviert werden, emittieren 31,7 Kilogramm CO2-Äquivalente – so viel beispielsweise wie die Fernsehübertragung des WMViertelfinales Brasilien gegen Kroatien. Und wer mag, kann diesen Emissionsausstoß am Ende des Abends mit dem Pflanzen eines Baumes kompensieren. Das Restaurant hat zwar keine eigenen Ausgleichsfläche, lässt aber Bäume im Rahmen eines lokalen Baumpflanzungsprogramms pflanzen.
„Das funktioniert natürlich nur, wenn man den gesamten Produktionsprozess auf Nachhaltigkeit umstellt“, betont die
Spitzenköchin. In der Küche würden daher konsequent nur noch Produkte verarbeitet, die aus lokalen und regionalen Quellen stammen. Möbel, Ausstattung, Geschirr, ja selbst die Arbeitskleidung der Mitarbeiter seien nach ökologischen Gesichtspunkten produziert worden – von Unternehmen aus der Region. Vieles ist recycelbar. „Unser langfristiges Ziel ist es, uns selbst zu versorgen“, erzählt Anna. Eine kleine Freilandhühnerfarm habe man schon, „jetzt suchen wir nach einem Grundstück, wo wir unseren Bedarf an Obst und Gemüse vollständig decken können“.
Lohn all der Mühe war die Auszeichnung durch Michelin im Herbst. Insgesamt acht Mal verlieh der berühmte Guide den begehrten Stern an Restaurants in der ungarischen Hauptstadt, zwei erhielten den Michelin Green Star, der erst seit drei Jahren im Programm ist. Aber auch abseits der Haute Cuisine fanden die Testesser die Qualität der Budapester Köche lobenswert, sodass sie zwölf weitere Locations mit einer Tellerempfehlung in das rote Buch aufnahmen. Dass es in der Donaumetropole damit mehr Sternerestaurants gibt als in den Hauptstädten Polens, Tschechiens, Kroatiens oder Sloweniens verwundert Kennerinnen und Kenner nicht: Gut gegessen hat man in hier schon immer und erfindungsreich und progressiv
Kurz informiert
• Anreise Von München mit der Bahn über Wien in sieben Stunden. Direktflüge gibt es auch ab München.
• Unterkunft Zentrale Lage, Dachterrasse mit Donaublick und ein Sternerestaurant bietet das Rum Budapest. Wer sein Budget schonen will, findet im B&B City eine gute Anbindung und saubere Zimmer.
• Essen Kein Michelin-Stern, aber etliche Hollywood-Stars beehrten das Rosenstein am Keleti-Bahnhof. Wegen der familiären Atmosphäre, den großen Portionen und der herausragenden ungarisch-jüdischen Küche.
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Die Recherche wurde unterstützt vom Ungarischen Tourismusamt Visit Hungary. war die Gastroszene der ungarischen Hauptstadt stets gewesen.
So entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts Dutzende Cafés mit prächtiger Ausstattung – große Fenster zum Sehen und gesehen werden. Goldbrokat, Marmor und Mahagoni – die in ganz Europa berühmt für ihre Patisserie waren. Viele von ihnen, wie das Café Gundel, Gerbeaud, Central oder New York, haben Krieg, Kommunismus und dessen Sturz unbeschadet überlebt. Während der Sowjetzeit, als man in den Bruderstaaten wegen mangelndem Nachschub an frischer Ware in den Gaststätten oft Vorgefertigtes oder Beilagen aus Dosen serviert bekam, war das Angebot in Budapest auf Westniveau. Eine persönliche Erinnerung schnell eingeschoben: Der Autor dieser Zeilen erinnert sich noch an das Buffet im Hotel Budapest, bei dem sich der zwölfjährige Bruder an den Wurst- und Käseplatten derart vollstopfte, dass er zwei Tage im Bett lag und so das Abendmenü im seiner Zeit legendären Százéves Étterem verpasste: Kirschsuppe, gespickter Fasan, Zanderroulade, Gänseleber-Pastete und Topfen-Strudel. Noch heute ein Thema bei Familientreffen.
Auch dass mit Costes in Budapest 2010 erstmals ein Restaurant aus einem ehemaligen Ostblock-Staat einen Michelin-Stern erhielt, wunderte da nicht. Das erste ZweiSterne-Restaurant
Österreich
Slowakei
des Ostens war dann 2018 Onyx, der Vorgänger von Onyx Mühely. Dass es diesmal „nur“für einen Green Star reichte, stört Anna im Übrigen überhaupt nicht – im Gegenteil: „Die Zukunft ist grün“, glaubt die Firmenchefin und ist sich sicher, dass es bald nur noch grüne Sterne geben werde.
Szilárd Tóth sieht das ähnlich. Der 37-Jährige ist Co-Inhaber und Chefkoch des Restaurants Salt im 5. Bezirk, dass sowohl für das Umwelt-Engagement, wie für die hohe Kochkunst je einen Stern verliehen bekam. Szilárd stammt aus SzabolcsSzatmár im Nordosten nahe der ukrainischen Grenze. Die Region gehört zu den ärmeren in Ungarn und ist ländlich geprägt. „Im Sommer ging es mit der Oma in die
Die Gäste können den CO2-Abdruck ihres Menüs ausgleichen und im Anschluss einen Baum pflanzen
Pilze. Gekocht wurde, was Garten und Stall hergaben. Weggeschmissen wurde gar nichts“, so der Küchenchef. Das prägt. „Den Begriff Nachhaltigkeit kannte niemand, aber man lebte danach.“
Später habe ihn die Küche Skandinaviens inspiriert – während eines Aufenthalts im Kadeau Copenhagen: „Dort kocht man mit dem, was links und rechts des Weges wächst, verarbeitet die Produkte der Region, technisch dabei immer auf höchstem Niveau. Das wollte ich auch!“Fermentieren ist ein anderer Grundpfeiler der Nordic Cuisine und so verwundert es nicht, dass über dem Chefs Table im Salt – zu dem der Koch seine Gäste immer wieder mal auf einen Gang einlädt – eine ganze Batterie Eingemachtes steht: Pilze, Blüten und Kräuter. Wurzel und Beeren. Obst und Gemüse.
„Was wir selber herstellen können, stellen wir selber her“, erklärt Szilárd. Regelmäßig gehe das ganze Team ins nahe Schutzgebiet Bükk und sammle die Früchte der Natur. „Danach wird in der Küche eingeweckt“. Teambuilding – nicht immer beliebt, weil es manchmal „verdammt früh rausgeht“, erzählt der Chef und schmunzelt.
Das Brot, das man zu den Gängen reicht, ist hausgebacken – genauso wie die Fruchtsäfte selfmade sind. Das Geflügel stammt aus der familieneigenen Hühnerzucht bei Szatmár und auch den berühmten Mangalitza-Speck und -Schinken produzieren Szilárd, gemeinsam mit seinem Schwager, selbst. Aus all dem zaubert der Koch Gerichte, die auf den Traditionen seiner Heimat fußen, aber modern interpretiert werden: Kraut ist ganz typisch für den Nordosten Ungarns, also gibt es im Salt eine Sauerkrautsuppe – veredelt mit geräuchertem Hirn, roten Johannisbeeren und Rhabarberwurzeln. Auch eine schlichte Schmalzstulle mit Paprikapulver bestreut ist eine Köstlichkeit, die es früher an fast jeder Straßenbahnhaltestelle als zweites Frühstück für die Arbeiter gab. „Wir belegen unser Selbstgebackenes mit hauchdünnem Speck vom Wollschwein, als kleinen Zwischengang“. Und der in ganz Ungarn beliebte Fogas – eine Zanderart, die nur im Balaton vorkommt – wird nicht, wie üblich in Paprikamehl gewendet und frittiert, sondern sanft in einem Speckmantel gebraten.
Szilárd will seine Gäste „überraschen, aber nicht überfordern, die Geschmäcker der Kindheit mit jenen der Haute Cuisine verbinden“und dabei „Nachhaltigkeit immer im Fokus behalten“. Die Preise liegen übrigens zwischen 150 Euro (sechs Gänge) und 200 Euro (elf Gänge Degustationsmenü). Das klingt alles ungeheuer modern, trendig und authentisch, aber eigentlich war es stets das Erfolgsgeheimnis der ungarischen Küche, die traditionellen, meist deftigen Gerichte von der Bauernstube in das gutbürgerliche Esszimmer zu bringen und zu verfeinern. Oder, um es mit Gwendal Poullennec, International Director des Guide Michelin zu sagen: „Unsere Inspektoren haben eine kulinarische Landschaft voller Authentizität und Tradition erlebt, angeführt von talentierten und kreativen Fachleuten, die stolz auf ihre Kultur sind und diese altehrwürdigen Rezepte verfeinern, um Feinschmecker und Reisende aus der ganzen Welt zu beeindrucken.“