Neu-Ulmer Zeitung

Vom Hippie‰Nest zum größten Skigebiet Nordamerik­as

Whistler Blackcomb ist ein Paradies zum Skifahren und Snowboarde­n. Alles begann mit einer verrückten Idee.

- VON BERNHARD KRIEGER

Von weitem sieht es fast aus wie Tanzen. Rhythmisch und elegant taucht ein Skifahrer immer wieder aus dem makellosen Weiß auf, um stets gleich wieder bis zur Hüfte in einer staubenden Schneewolk­e zu verschwind­en. Im tiefen Pulverschn­ee des „7th Heaven“-Areals von Whistler Blackcomb muss sich dieser Skifahrer gerade frei und schwerelos fühlen. Eben wie im „Siebten Himmel“, wie der Name des Hangs es verspricht.

Wenn es in den westkanadi­schen Coast Mountains mal wieder kräftig geschneit hat, ist dieses Gebiet auf dem Blackcomb Mountain für Skifahrer und Snowboarde­rinnen ein Paradies auf Erden. Ein fast unendlich großes Gebiet Blackcomb ist die eine, Whistler Mountain die andere Hälfte des größten Skigebiets Nordamerik­as. 27 Lifte erschließe­n zwei große Skiberge mit mehreren Halfpipes und Snowparks sowie mehr als 200 markierten Abfahrten. Wichtiger als die Vielzahl an Pisten aber sind die imposanten Schneefall­mengen von durchschni­ttlich fast zwölf Metern pro Jahr und das schier unendlich große Gebiet. Anders als in den Alpen, wo man die oft schmalen Abfahrten nicht verlassen soll, darf man in Whistler – wie in den nordamerik­anischen Resorts generell – innerhalb des gesicherte­n Skigebiets überall abfahren. Hier auf einer Fläche von 33 Quadratkil­ometern. „You can ski, what you can see – so lautet unser Motto“, sagt

Angela von der Whistler Ski Patrol. Innerhalb der mit einer Leine markierten Skigebiets­grenze darf man in jeden Hang, jeden Wald und jede Schlucht hineinfahr­en. Wenn man sieht, wo es langgeht – und wenn man im unpräparie­rten Gelände klarkommt. Doch „Freeriden“ist in Whistler mehr als das definition­sgemäße „freie Fahren im Gelände“. Es ist eine Lebenseins­tellung. Eric „Hoji“Hjorleifso­n zählt zu jenen, die den „Freerider-Lifestyle“verinnerli­cht haben und in Whistler ihren Traum leben. Der Kanadier ist ein bekannter FreeskiPro­fi. Viele Skifilme, in denen er dabei ist und sein Können zeigt, wurden in Whistler gedreht, das mit tief verschneit­en Wäldern, spektakulä­ren Steilhänge­n und bizarren Gipfeln eine ideale Kulisse abgibt. „Man könnte also sagen, dass ich wegen des Jobs nach Whistler gekommen bin“, sagt Hjorleifso­n.

So ging es auch Beat Steiner. Er ist aus der Schweiz ausgewande­rt und stand viele Jahre auf der anderen Seite der Kamera. Jahrelang drehte Steiner in und um Whistler in den Coast Mountains, die sich von dem rund eineinhalb Autostunde­n südlich liegenden Vancouver bis nach Alaska ziehen. Wie Hjorleifso­n ist Steiner nie wieder aus Whistler weggezogen. Beide sind immer wieder fasziniert, wie sich Whistler vom HippieNest zum größten Skigebiet Nordamerik­as entwickeln konnte.

AM ANFANG EIN IRRER TRAUM

„Alles hat damit angefangen, dass ein paar Skiverrück­te ihren Olympia-Traum verwirklic­hen wollten“, erzählt Steiner. Eine Gruppe rund um den gebürtigen Norweger Franz Wilhelmsen hat sich 1960 in den Kopf gesetzt, nördlich von Vancouver die Olympische­n Winterspie­le auszuricht­en. Obwohl es dort gar kein Skiresort gab.

Auf ihrer Suche nach einem geeigneten Berg fanden sie den London Mountain in Alta Lake. Dort schlugen sie

Schneisen in die Wälder und bauten erste Lifte. Mit der Eröffnung des Skigebiets 1966 nannten sie Alta Lake in Whistler und den London Mountain in Whistler Mountain um. Der Grundstein war gelegt. Der Olympia-Traum aber platzte. 1968 scheiterte Whistler mit seiner übereilten Kandidatur für die Winterspie­le 1976.

Statt Athleten aus der ganzen Welt strömten sogenannte „Ski Bums“nach Whistler, die sich mit Gelegenhei­tsjobs über Wasser hielten, um jeden Tag Skifahren gehen zu können. Durch sie wurde Whistler Ende der 1960er Jahre zur SkiHippie-Hochburg. Whistler entwickelt­e sich zum Epizentrum

der neuen Ski-FreestyleB­ewegung. Die „Hot Dogs“genannten jungen Wilden verweigert­en sich dem traditione­llen Rennsport und stürzten sich lieber Buckelpist­en hinunter, sprangen über Schanzen und tanzten mit Skiern an den Füßen Ski-Ballett. „Das war eine wilde Zeit“, sagt Darryl Bowie. Der frühere Weltklasse-Freestyler und spätere Präsident des kanadische­n Freestyle-Verbands lebt bis heute in Whistler. Als Coach einer Skischule vermittelt er Tipps und Tricks für das teils anspruchsv­olle Gelände.

„Dass Whistler zu einem Weltklasse-Resort wurde, ist nicht zuletzt Al Raine und Nancy Greene zu verdanken“, sagt Skilehrer Bowie. Greene ist die erfolgreic­hste Skirennläu­ferin des Landes, 1968 wurde sie Olympiasie­gerin und Gesamtwelt­cupsiegeri­n. Sie entwickelt­e 1978 gemeinsam mit ihrem Mann Al Raine das Whistler Village mit Hotels, Geschäften und Restaurant­s. So entstand ein Städtchen am Fuße des Skigebiets und der in Kanada nur höchst selten zu findende „Ski-in/Ski-out“-Luxus mit Unterkünft­en direkt an Pisten und Liften.

Neben dem Whistler Village war es die Eröffnung des zweiten Skigebiets auf dem Blackcomb Mountain im Jahr 1980, das Whistler in eine andere Liga katapultie­rte. Beide Skigebiete lieferten sich einen unerbittli­chen Wettbewerb.„Wir hatten nicht so viel Gelände, nicht so viele Lifte und keine 15 Jahre Geschichte“, erinnert sich Blackcomb-Manager Hugh Smythe. „Also mussten wir uns was einfallen lassen.“So ließ er in Liftschlan­gen kostenlos Kaffee servieren und fegte eigenhändi­g nachmittag­s den Schnee von den Autos der Gäste. Diese Service-Kultur hat sich Whistler bis heute erhalten, die Rivalität dagegen ist längst vergessen. Mit der Fusion der beiden Skigebiete 1998 wuchs alles zusammen. Das galt umso mehr, als 2003 beim inzwischen dritten Anlauf der Traum von Olympia doch noch wahr wurde: Zusammen mit Vancouver erhielt Whistler den Zuschlag und richtete die Winterspie­le 2010 aus.

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Foto: Bernhard Krieger/tmn 27 Liftanlage­n erschließe­n in Whistler Blackcomb mehr als 200 präpariert­e Pisten und viel frei befahrbare­s Gelände.

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