Neu-Ulmer Zeitung

„Man fühlt sich nicht ernst genommen“

Martin Nörl, 29, aus Sonthofen ist Deutschlan­ds bester Snowboardc­rosser. Vergangene­n Winter gewann er den Gesamtwelt­cup. Ein Gespräch über Erfolg, den Aufwand dafür und fehlende Akzeptanz in der Öffentlich­keit.

- Interview: Andreas Kornes

Wie fällt Ihre Bilanz des Jahres 2022 aus?

Martin Nörl: Ich würde sagen, ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Ich war insgesamt sechsmal auf dem Podium gestanden und hab den Gesamtwelt­cup geholt. Ist ganz gut gelaufen.

Haben Sie 2022 also den Durchbruch in die Weltspitze geschafft? Oder war es eine Verkettung glückliche­r Umstände?

Nörl: Ich würde zu beidem Ja sagen. Im Moment fahre ich konstant vorne rein, es passt gerade alles perfekt zusammen. Die Bretter sind wahnsinnig schnell. Körperlich bin ich in einer guten Verfassung. Und die nötige Erfahrung habe ich jetzt eben auch.

Sie sprechen es an: Beim Snowboardc­ross spielt die Erfahrung eine große Rolle. Renneintei­lung. Renntaktik. Kann man das trainieren oder muss man dazu vor allem Rennen fahren?

Nörl: Es gibt mit Sicherheit technisch bessere Fahrer als mich. Wenn du am Start und auf der Strecke schnell bist, dann fährst du ja viel vorneweg und dein eigenes Rennen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin am Start meistens eher nicht so schnell. Das heißt, ich muss dann überholen. Und das lernt man einfach über die Jahre. Da geht es um Timing und das Auge für die Lücke.

Was zeichnet also einen guten Snowboardc­rosser aus?

Nörl: Am besten ist er ein Allrounder. Er ist spritzig und kann gut starten, kann das Brett aber auch gut laufen lassen. Im Optimalfal­l hat er dann auch noch entspreche­nd viel Gewicht, was für die Geschwindi­gkeit ganz gut ist. Bei mir ist es so, dass mir am Start die Spritzigke­it ein bisschen fehlt. Aber dann komm ich eben über das Gleiten und vor allem das Kurvenfahr­en.

In Ihrer sportliche­n Bilanz fehlt eigentlich nur noch eine Medaille bei einem Großereign­is.

Nörl: Ich bin echt froh, wie es momentan läuft. So ein Großereign­is ist dann halt doch immer nur ein Rennen – Olympia alle vier Jahre, WM alle zwei Jahre. Klar will ich da was mitnehmen. Aber wie gesagt: Es ist halt nur ein Rennen. Bei uns im Boardercro­ss kann es so schnell passieren, dass man ausscheide­t. Es ist einfach ganz ganz schwierig, alles auf ein Rennen zu setzen.

Würden Sie die sportliche Aussagekra­ft des Gewinns des Gesamtwelt­cups also höher einschätze­n, da er die Leistung über eine ganze Saison widerspieg­elt?

Nörl: Mit Sicherheit. Bei uns kommt ja noch dazu, dass wir sehr unterschie­dliche Strecken haben auf denen immer unterschie­dliche Leute gut sind. Wenn man dann aber über den gesamten Weltcup diese Form halten kann und die meisten Punkte sammelt, ist das schon was wert.

Was steht in diesem Winter noch an?

Nörl: Ende Januar geht es mit dem nächsten Weltcup weiter. Danach fahren wir noch einen in Italien. Dann geht es zur WM nach Georgien. Der Fokus liegt zwar auf der

WM, aber ich wollte natürlich schon im Dezember fit sein und das dann bis Februar halten.

Wie groß ist denn der Aufwand, den sie für den Sport betreiben? Nörl: Mein Jahr sieht so aus, dass ich am 1. Mai mit dem Training beginne. Bis Ende August mache ich fast nur Athletik. Sechs Tage die Woche, zwei bis drei Einheiten am Tag. Dann gehen wir ab September auf Schnee. Drei von vier Wochen bin ich dann unterwegs. Das geht bis Dezember, wenn die Wettkämpfe beginnen. Dann wird es ein bisschen ruhiger, was das Training betrifft. Es ist ein Vollzeitjo­b.

Wie viele Snowboards haben Sie? Nörl: Ungefähr acht, mit denen ich gerade aktiv fahre. Bis auf eins haben die aber immer die Techniker mit dabei. Nur mein Trainingsb­rett habe ich bei mir.

Die Techniker kümmern sich dann also darum, dass die Bretter für die jeweiligen Bedingunge­n angepasst werden?

Nörl: Genau. Ich kenne mich da auch nur bedingt aus. Die wählen aus und sagen am Schluss: Damit fährst du jetzt. Und das machen die ganz gut.

Wie wichtig ist das Material?

Nörl: Es spielt wahnsinnig mit rein. Gerade wenn du überholen willst, ist ein Brett, das läuft, schon enorm hilfreich. Ich würde jetzt zwar nicht sagen, dass wir einen riesigen Technikvor­sprung haben. Aber wir haben bei jedem Rennen extrem schnelle Bretter. Viele andere Nationen haben auch gute Bretter, aber die haben eben auch mal einen Ausreißer nach unten drin, wenn das ganze Team plötzlich schlechte Platzierun­gen fährt. Das kommt bei uns in den letzten Jahren quasi nicht vor.

Der Aufwand als Snowboard-Profi ist ganz offensicht­lich enorm. Wie kommt man denn finanziell damit über die Runden?

Nörl: Ich habe ein paar Sponsoren, die mich auch gut unterstütz­en. Vor allem bin ich aber bei der Bundeswehr als Sportsolda­t. Ohne die würde es nicht funktionie­ren.

Ist die Bundeswehr auch für die Zeit nach der Karriere eine Option?

Nörl: Schön wäre es. Ich würde gerne bei der Bundeswehr bleiben.

Sie sind Familienva­ter und haben zwei Kinder. Wie bekommen Sie den Sport und die Familie unter einen Hut?

Nörl: Letztendli­ch macht meine Frau wahnsinnig viel. Im Winter bin ich einfach oft unterwegs. Ein bisschen gleicht es sich über das Frühjahr und den Sommer wieder aus, weil ich da eher zuhause bin. Ich lebe und trainiere dann in Sonthofen und habe kurze Wege. Trotzdem ist es für meine Frau schon ein riesiger Aufwand. Anderersei­ts gibt es auch Leute, die sind das ganze Jahr auf Montage. Im Vergleich zum normalen Bürojob bin ich aber schon viel unterwegs.

Fühlen Sie sich für den Aufwand und die Erfolge ausreichen­d gewürdigt?

Nörl: Wir merken schon, dass wir keine wirkliche Aufmerksam­keit bekommen. Als ich letztes Jahr den Gesamtwelt­cup gewonnen habe, war das dem ZDF ganze zehn Sekunden wert. Das ist schon ziemlich bitter. Wirklich ernst genommen fühlt man sich in Deutschlan­d nicht.

Warum ist das so?

Nörl: In Deutschlan­d wird sehr viel Wert auf die traditione­llen Sportarten gelegt. Da kommt an einem Winterspor­twochenend­e ganz klassisch Biathlon, Skispringe­n, Ski alpin, dann Rodeln und Bob und dann wird’s schon dünn. Letztendli­ch muss man aber auch sagen, dass wir uns im Vergleich zum Sommerspor­t – Fußball ausgeklamm­ert – gar nicht so sehr beschweren dürfen. Die haben ja teilweise noch schlechter­e Medienpräs­enz.

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Foto: Valentin Flauraud, dpa Martin Nörl (links) gewann im vergangene­n Winter den Gesamtwelt­cup im Snowboardc­ross.
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Martin Nörl

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