„Man fühlt sich nicht ernst genommen“
Martin Nörl, 29, aus Sonthofen ist Deutschlands bester Snowboardcrosser. Vergangenen Winter gewann er den Gesamtweltcup. Ein Gespräch über Erfolg, den Aufwand dafür und fehlende Akzeptanz in der Öffentlichkeit.
Wie fällt Ihre Bilanz des Jahres 2022 aus?
Martin Nörl: Ich würde sagen, ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Ich war insgesamt sechsmal auf dem Podium gestanden und hab den Gesamtweltcup geholt. Ist ganz gut gelaufen.
Haben Sie 2022 also den Durchbruch in die Weltspitze geschafft? Oder war es eine Verkettung glücklicher Umstände?
Nörl: Ich würde zu beidem Ja sagen. Im Moment fahre ich konstant vorne rein, es passt gerade alles perfekt zusammen. Die Bretter sind wahnsinnig schnell. Körperlich bin ich in einer guten Verfassung. Und die nötige Erfahrung habe ich jetzt eben auch.
Sie sprechen es an: Beim Snowboardcross spielt die Erfahrung eine große Rolle. Renneinteilung. Renntaktik. Kann man das trainieren oder muss man dazu vor allem Rennen fahren?
Nörl: Es gibt mit Sicherheit technisch bessere Fahrer als mich. Wenn du am Start und auf der Strecke schnell bist, dann fährst du ja viel vorneweg und dein eigenes Rennen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin am Start meistens eher nicht so schnell. Das heißt, ich muss dann überholen. Und das lernt man einfach über die Jahre. Da geht es um Timing und das Auge für die Lücke.
Was zeichnet also einen guten Snowboardcrosser aus?
Nörl: Am besten ist er ein Allrounder. Er ist spritzig und kann gut starten, kann das Brett aber auch gut laufen lassen. Im Optimalfall hat er dann auch noch entsprechend viel Gewicht, was für die Geschwindigkeit ganz gut ist. Bei mir ist es so, dass mir am Start die Spritzigkeit ein bisschen fehlt. Aber dann komm ich eben über das Gleiten und vor allem das Kurvenfahren.
In Ihrer sportlichen Bilanz fehlt eigentlich nur noch eine Medaille bei einem Großereignis.
Nörl: Ich bin echt froh, wie es momentan läuft. So ein Großereignis ist dann halt doch immer nur ein Rennen – Olympia alle vier Jahre, WM alle zwei Jahre. Klar will ich da was mitnehmen. Aber wie gesagt: Es ist halt nur ein Rennen. Bei uns im Boardercross kann es so schnell passieren, dass man ausscheidet. Es ist einfach ganz ganz schwierig, alles auf ein Rennen zu setzen.
Würden Sie die sportliche Aussagekraft des Gewinns des Gesamtweltcups also höher einschätzen, da er die Leistung über eine ganze Saison widerspiegelt?
Nörl: Mit Sicherheit. Bei uns kommt ja noch dazu, dass wir sehr unterschiedliche Strecken haben auf denen immer unterschiedliche Leute gut sind. Wenn man dann aber über den gesamten Weltcup diese Form halten kann und die meisten Punkte sammelt, ist das schon was wert.
Was steht in diesem Winter noch an?
Nörl: Ende Januar geht es mit dem nächsten Weltcup weiter. Danach fahren wir noch einen in Italien. Dann geht es zur WM nach Georgien. Der Fokus liegt zwar auf der
WM, aber ich wollte natürlich schon im Dezember fit sein und das dann bis Februar halten.
Wie groß ist denn der Aufwand, den sie für den Sport betreiben? Nörl: Mein Jahr sieht so aus, dass ich am 1. Mai mit dem Training beginne. Bis Ende August mache ich fast nur Athletik. Sechs Tage die Woche, zwei bis drei Einheiten am Tag. Dann gehen wir ab September auf Schnee. Drei von vier Wochen bin ich dann unterwegs. Das geht bis Dezember, wenn die Wettkämpfe beginnen. Dann wird es ein bisschen ruhiger, was das Training betrifft. Es ist ein Vollzeitjob.
Wie viele Snowboards haben Sie? Nörl: Ungefähr acht, mit denen ich gerade aktiv fahre. Bis auf eins haben die aber immer die Techniker mit dabei. Nur mein Trainingsbrett habe ich bei mir.
Die Techniker kümmern sich dann also darum, dass die Bretter für die jeweiligen Bedingungen angepasst werden?
Nörl: Genau. Ich kenne mich da auch nur bedingt aus. Die wählen aus und sagen am Schluss: Damit fährst du jetzt. Und das machen die ganz gut.
Wie wichtig ist das Material?
Nörl: Es spielt wahnsinnig mit rein. Gerade wenn du überholen willst, ist ein Brett, das läuft, schon enorm hilfreich. Ich würde jetzt zwar nicht sagen, dass wir einen riesigen Technikvorsprung haben. Aber wir haben bei jedem Rennen extrem schnelle Bretter. Viele andere Nationen haben auch gute Bretter, aber die haben eben auch mal einen Ausreißer nach unten drin, wenn das ganze Team plötzlich schlechte Platzierungen fährt. Das kommt bei uns in den letzten Jahren quasi nicht vor.
Der Aufwand als Snowboard-Profi ist ganz offensichtlich enorm. Wie kommt man denn finanziell damit über die Runden?
Nörl: Ich habe ein paar Sponsoren, die mich auch gut unterstützen. Vor allem bin ich aber bei der Bundeswehr als Sportsoldat. Ohne die würde es nicht funktionieren.
Ist die Bundeswehr auch für die Zeit nach der Karriere eine Option?
Nörl: Schön wäre es. Ich würde gerne bei der Bundeswehr bleiben.
Sie sind Familienvater und haben zwei Kinder. Wie bekommen Sie den Sport und die Familie unter einen Hut?
Nörl: Letztendlich macht meine Frau wahnsinnig viel. Im Winter bin ich einfach oft unterwegs. Ein bisschen gleicht es sich über das Frühjahr und den Sommer wieder aus, weil ich da eher zuhause bin. Ich lebe und trainiere dann in Sonthofen und habe kurze Wege. Trotzdem ist es für meine Frau schon ein riesiger Aufwand. Andererseits gibt es auch Leute, die sind das ganze Jahr auf Montage. Im Vergleich zum normalen Bürojob bin ich aber schon viel unterwegs.
Fühlen Sie sich für den Aufwand und die Erfolge ausreichend gewürdigt?
Nörl: Wir merken schon, dass wir keine wirkliche Aufmerksamkeit bekommen. Als ich letztes Jahr den Gesamtweltcup gewonnen habe, war das dem ZDF ganze zehn Sekunden wert. Das ist schon ziemlich bitter. Wirklich ernst genommen fühlt man sich in Deutschland nicht.
Warum ist das so?
Nörl: In Deutschland wird sehr viel Wert auf die traditionellen Sportarten gelegt. Da kommt an einem Wintersportwochenende ganz klassisch Biathlon, Skispringen, Ski alpin, dann Rodeln und Bob und dann wird’s schon dünn. Letztendlich muss man aber auch sagen, dass wir uns im Vergleich zum Sommersport – Fußball ausgeklammert – gar nicht so sehr beschweren dürfen. Die haben ja teilweise noch schlechtere Medienpräsenz.