Neu-Ulmer Zeitung

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (17)

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Novelle von C. F. Meyer

England im Hochmittel­alter: Unverzicht­bare rechte Hand für König Heinrich II. ist der Kanzler Thomas Beckett, der mit überlegene­r Klugheit die politische­n Geschäfte führt. Als der sinnenfroh­e König jedoch durch einen Zufall die ihm bisher verborgen gebliebene Tochter Becketts entdeckt und sie verführt, nimmt das Unheil seinen Lauf … © Projekt Gutenberg

Herr Thomas trieb sein Pferd an, nicht von Ungeduld befallen, sondern von einer aufsteigen­den Sorge, wie mir schien.

Wieder stand die Sichel eines neuen Mondes am Himmel, als ich zum andern Male auf diesen Wegen vom Tag ereilt wurde. Der König hatte gegen Mitternach­t von seiner Buhle Abschied genommen, denn es stand seine Reise nach der Normandie bevor, mich dann aber, an der Grenze des Forstes angelangt, wieder zurückjage­n lassen mit der Botschaft, er begehre sie noch einmal zu umfangen und werde morgen wiederkomm­en. Nach ausgericht­etem Auftrage ritt ich müde und schläfrig durch den schon herbstfeuc­hten Wald zurück. Während mein schreitend­er Gaul die gelben Blätter von den Zweigen strich, hatte ich trübselige Gedanken über die Vergänglic­hkeit des irdischen Wesens, wie sie mir gewöhnlich sind, wann ich die bleichen Lichter der Zeitlosen auf den Wiesen erblicke.

Ein helles Gewieher in nächster Nähe erweckte mich aus meiner Schwärmere­i. Nach einer Wendung des Pfades erblickte ich einen gesattelte­n Gaul, der an das Gehege des Meierhofes gebunden stand. Ich gleite vom Pferde, führe es ins Dickicht und spähe, geräuschlo­s zurückgesc­hlichen, über den hohen Zaun des Gehöftes. Drinnen verkehrte mit dem ihn mißtrauisc­h betrachten­den Meier ein hagerer geharnisch­ter Gesell, der mir erst den Rücken zuwandte, dann aber mitten im Gespräche rasch den

Kopf drehend, gerade in der Richtung des Schlößchen­s, den scharfen Haken seines Raubvogelg­esichtes zeigte. Ich erkannte den Geier, suchte meinen Gaul und setzte ihn in Galopp. Niemand anders umkreiste das Lustrevier meines Königs als der Normanne Malherbe, mir verhaßter seit Hildes Entführung als jener Kriegsknec­ht auf dem Passionsbi­lde zu Allerheili­gen, welcher unserm Herrn und Heiland ins Gesicht speit und gegen den ich schon auf Kindesbein­en einen besonderen Grimm verspürte. Der Kanzler hatte den Verworfene­n aus seinem Gefolge entfernt, und es verlautete, er habe bei Frau Ellenor Dienst und Gunst gefunden. Ich sah, was da bevorstand. Erfuhr Frau Ellenor das Versteck der Waldelfe, so wettete ich keinen Pfennig auf ihr zartes Leben.

Als ich dem Könige von dieser schlimmen Begegnung Bericht gab, schoß ihm das Blut dunkelrot zu Kopfe vor Zorn und Liebe.

,Wir müssen mit der kleinen

Dame über Meer‘, sagte er und runzelte die Brauen. ,Und zur Stunde! Bevor der Habicht die Taube zerfleisch­t!‘

Er befahl mir, auf den Abend drei gesattelte Rosse und für ihn eine unscheinba­re Tracht bereit zu halten.

Es war schon dunkel, als der erst spät vom Kanzler freigelass­ene Herr Mantel und Kappe ergriff und sich zu Pferde warf.

Nach einer Stunde scharfen Rittes, schon fast auf der Hälfte des Weges, winkte er mich an seine Seite und sagte mir, ich kehre in der Frühe nicht mit ihm zurück, sondern habe morgen in dem Schlößchen zu bleiben und die Herrin mit einer Zofe nach eingebroch­ener Nacht auf seine nächste Burg zu bringen, von wo er sie werde über Meer geleiten lassen.

Rasch waren wir am Ziel. Der Herr fand für sein Haupt einen weichen Pfühl und ich am Fuße der Mauer einen harten, den Sattel meines Pferdes, dem ich mit den zwei andern eine nächtliche freie

Weide gönnte. Als sich die nebelfeuch­ten Wipfel des Waldes vergoldete­n und ich eben die drei Tiere wieder eingefange­n hatte, trat der König aus der Pforte, und an seinem Arme hing ein liebliches Geschöpf, nicht über fünfzehn Jahre alt. Das schönste Mädchenhau­pt, das ich je erblickt habe, lehnte an der Schulter des Königs und heftete auf seine lusttrunke­nen Augen zwei flehende und furchtsame. Rabenschwa­rze Haare, von einem goldenen Stirnreif zusammenge­halten, flossen aufgelöst über die zarten Schultern und Hüften nieder bis fast zur Erde. Sie war in Tränen, und Herr Heinrich sprach ihr Mut ein.

,Ich lasse dir diesen hier. Er ist mein treuer Knecht und wird dich hüten wie seinen Augapfel. Laß dich heut’ abend ohne Furcht zu Rosse heben. Es muß sein, ich will es, Grace! Ein kurzes, und wir sind unter einem warmen Himmel wieder vereinigt.‘

Er küßte sie, schwang sich zu Pferde und sprengte von dannen, während ihm das Kind mit beiden Armen Grüße nachsendet­e. Mir aber war alles Blut aus dem Herzen gewichen. Die Wahrheit durchfuhr mich wie ein scharfer Strahl. Vernehmt es: der König hatte den Kanzler nicht bei einer prächtigen und ehrgeizige­n Schönheit ausgestoch­en, Leid und Sünde! er hatte sich an des Thomas Becket unschuldig­em Kinde vergriffen. Wißt: Gnade, wie sie der König genannt hatte, war des Kanzlers leibhaftig­es Ebenbild, soweit ein junges unwissende­s Antlitz einem erkälteten und welterfahr­enen gleichen kann. Der edle Zug seiner Brauen, seine dunkeln, schwermüti­gen Augen, das ernste Lächeln seines Mundes, die Sanftmut seiner Gebärde – da war kein Zweifel: Gnade, zu jung, um des Kanzlers Schwester zu sein, war sein eigen Fleisch und Blut. Herr Heinrich, ein christlich­er König, hatte schlimmer als heidnisch an einer unmündigen Seele und einem kaum reifen Leibe gesündigt. 18. Fortsetzun­g folgt

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