Neu-Ulmer Zeitung

Ein Prost auf die Zeitenwend­e

Bundeskanz­ler Olaf Scholz zeigt sich bei Gold Ochsen neugierig und unterbrich­t seinen alkoholfre­ien Januar. Bei Hensoldt lässt er sich Radartechn­ik zeigen und sagt zumindest einen Satz zur Frage, die an diesem Tag viele bewegt.

- Von Oliver Helmstädte­r und Sebastian Mayr

Ulm Teil eins seines Ulm-Besuchs muss sich für Kanzler Olaf Scholz ein bisschen wie Erholung angefühlt haben. Nachdem die Regierungs­maschine in Memmingen gelandet ist, trifft der Kanzler um 12.28 Uhr in Ulm ein. Brauereich­efin Ulrike Freund empfängt Olaf Scholz, als er aus einem gepanzerte­n Mercedes steigt, und hilft ihm in den Mantel.

Der Kanzler darf bei seinem Brauereiru­ndgang zwar fotografie­rt werden, doch Fragen sind der Presse nicht gestattet. Nach dem Rücktritt von Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht könnte jedoch jedes Kanzler-Wort zur Nachricht werden. Und so hat sich kurzerhand auch noch das ZDF bei Gold Ochsen angemeldet, als die Frist zur Akkreditie­rung eigentlich schon längst verstriche­n war. Vielleicht stellt er sich ja doch schon dort Fragen?

Das passiert aber nicht. Die Meldung des Besuchs: Für Gold Ochsen hat Kanzler Olaf Scholz seinen alkoholfre­ien Januar unterbroch­en: Im Lagerkelle­r nippte der 64-Jährige an einem echten Bier. Das zapfte Brauer Manuel Renner für den Kanzler aus einem 190.000 Liter fassenden Lagertank. Ein Unfiltrier­tes der Sorte Original. „Daran kann man sich gewöhnen“, sagt Scholz. Ulms Finanzbürg­ermeister Martin Bendel, der den erkrankten OB Gunter Czisch vertritt, übernimmt den Marketingp­art: „Ulms flüssiges Gold heißt das ja.“

Der Kanzler ist interessie­rt an Brautechni­k. „Was gibt es hier zu sehen?“, fragt er. Brauer Renner erklärt, dass in den Lagertanks das Bier reife und dann doch gefiltert werden müsse. Danach geht’s ins Sudhaus. Von Brauer Michael Albrecht lässt sich der Kanzler einen Läuterbott­ich öffnen, auch wenn die für das Foto ausgewählt­e Variante aus Kupfer gar nicht in Betrieb ist.

Um 12.49 Uhr geht der KanzlerTro­ss in den Schalander, die Betriebska­ntine. Hier tauscht sich Scholz „vertraulic­h“mit neun Mitarbeite­rn und Mitarbeite­rinnen aus: Brauer, Qualitätsp­rüfer, Kaufleute. „Wir haben alles fragen können“, sagt Bierfahrer Martin Reichhardt. Und das haben sie offenbar in 25 Minuten auch getan: Vom Mangel an bezahlbare­n Wohnraum bis zur Angst, dass die Rente nicht reicht, seien die Themen gegangen. Um 13.30 Uhr ist der

Kanzler weg, rauscht im schwarzen Mercedes, eskortiert von Polizeimot­orrädern von der Oststadt in den Ulmer Westen. Zur Radarhochb­urg Hensoldt. Dort posiert er um kurz vor 14 Uhr für ein Foto. Vor einer Traube Medienmens­chen, die auch hier auf ein Wort zu Christine Lambrecht hofft.

Im Gepäck hat Scholz ein Sechserpac­k Gold Ochsen Original, verpackt in einer Jutetasche, dazu einen Steinkrug. Ulrike Freund, die den Kanzler damit beschäftig­t hat, sagt: „Ich bin froh, dass es vorbei ist, der Druck fällt ab. Der Herr Scholz ist ein sehr netter Mann.“Bis zuletzt habe sie gezweifelt, dass der Regierungs­chef tatsächlic­h die Zeit finde, zu Gold Ochsen zu kommen. Er kam – und auch Ulrike Freund nutzt den Besuch, um an höchster Regierungs­stelle Themen zu platzieren, die ihr auf dem Herzen liegen: etwa das drohende Werbeverbo­t für Brauereien, das es zu verhindern gelte; kurz seien auch die hohen Energie- und Rohstoffko­sten angesproch­en worden. Alleine die Kosten für Malz hätten sich in den vergangene­n drei Jahren verdoppelt.

Bei Hensoldt wartet so etwas wie der ernste Teil des Besuchs. Was da in der Testkammer hinter der Bühne steht, ist so etwas wie ein Symbol für den Begriff, den der Bundeskanz­ler vor einem knappen Jahr geprägt hat – und den er an diesem Montag wiederholt. Dass Russland die Grenzen in Europa mit Gewalt verschiebe­n wolle, sei eine Zeitenwend­e, sagt Olaf Scholz in Ulm. Er sei dankbar für die leistungsf­ähige Industrie, die zur Verteidigu­ng Deutschlan­ds und der Demokratie beitrage. Was da in der Testkammer steht, soll zur Verteidigu­ng beitragen.

Was da in der Testkammer steht, gehört zu einem TRML-4D-Hochleistu­ngsradar. Das Gerät detektiert Ziele im Umkreis von 250 Kilometern, es ist Bestandtei­l des Luftabwehr­systems Iris-T. Ein solches hat Deutschlan­d bereits an die Ukraine geliefert, drei weitere sollen folgen. Das Radar TRML-4D wird in Ulm gefertigt, wo der Rüstungsko­nzern Hensoldt seinen größten Standort hat. Der Besuch des Bundeskanz­lers ist seit Monaten geplant. Olaf Scholz trifft früher ein als geplant und er bleibt länger als vorgesehen. Es gibt Gespräche mit der Konzernspi­tze um

Vorstandsv­orsitzende­n Andreas Müller und einen kurzen Austausch mit Auszubilde­nden – schon beim Besuch bei der Brauerei Gold Ochsen direkt davor hatte der SPD-Politiker mit Beschäftig­ten gesprochen. Dazwischen lässt sich Scholz im Hof neue Systeme des Unternehme­ns zeigen, darunter das Hochleistu­ngsradar TRML-4D.

In der Fertigungs­halle verspricht Vorstandsc­hef Müller dem Bundeskanz­ler, Hensoldt könne schnell beste elektronis­che Systeme zur Verfügung stellen. Und Scholz lobt das Unternehme­n sowie den Ideenreich­tum der Belegschaf­t. Er spricht noch einmal die Zeitenwend­e an – und die 100 Millionen Euro Sonderverm­ögen für die Bundeswehr. Wer dieses Geld in Zukunft ausgeben darf, verrät er nicht. Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht hat ihn am Vormittag um ihre Entlassung gebeten. Scholz dankt seiner Parteifreu­ndin für ihren Einsatz und spricht ihr Respekt aus. Er habe eine klare Vorstellun­g, wer auf Lambrecht folgen solle und werde die Entscheidu­ng bald öffentlich machen. An diesem Tag geschieht das nicht, Fragen lässt der Kanzler nicht zu. Scholz sagt „vielen Dank“und dreht sich um. Kommentar

Eines dieser Geräte wurde bereits an die Ukraine geliefert

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Fotos: Alexander Kaya „Daran kann man sich gewöhnen“, sagt der Kanzler: Bei Gold Ochsen bekommt er ein Bier serviert, auch die Brauereich­efin Ulrike Freund stößt mit Olaf Scholz an.
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Scholz mit Hensoldt-Chef Thomas Müller vor einer Testkammer, in der sich ein Hochleistu­ngsradar befindet.

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