Ein Prost auf die Zeitenwende
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt sich bei Gold Ochsen neugierig und unterbricht seinen alkoholfreien Januar. Bei Hensoldt lässt er sich Radartechnik zeigen und sagt zumindest einen Satz zur Frage, die an diesem Tag viele bewegt.
Ulm Teil eins seines Ulm-Besuchs muss sich für Kanzler Olaf Scholz ein bisschen wie Erholung angefühlt haben. Nachdem die Regierungsmaschine in Memmingen gelandet ist, trifft der Kanzler um 12.28 Uhr in Ulm ein. Brauereichefin Ulrike Freund empfängt Olaf Scholz, als er aus einem gepanzerten Mercedes steigt, und hilft ihm in den Mantel.
Der Kanzler darf bei seinem Brauereirundgang zwar fotografiert werden, doch Fragen sind der Presse nicht gestattet. Nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht könnte jedoch jedes Kanzler-Wort zur Nachricht werden. Und so hat sich kurzerhand auch noch das ZDF bei Gold Ochsen angemeldet, als die Frist zur Akkreditierung eigentlich schon längst verstrichen war. Vielleicht stellt er sich ja doch schon dort Fragen?
Das passiert aber nicht. Die Meldung des Besuchs: Für Gold Ochsen hat Kanzler Olaf Scholz seinen alkoholfreien Januar unterbrochen: Im Lagerkeller nippte der 64-Jährige an einem echten Bier. Das zapfte Brauer Manuel Renner für den Kanzler aus einem 190.000 Liter fassenden Lagertank. Ein Unfiltriertes der Sorte Original. „Daran kann man sich gewöhnen“, sagt Scholz. Ulms Finanzbürgermeister Martin Bendel, der den erkrankten OB Gunter Czisch vertritt, übernimmt den Marketingpart: „Ulms flüssiges Gold heißt das ja.“
Der Kanzler ist interessiert an Brautechnik. „Was gibt es hier zu sehen?“, fragt er. Brauer Renner erklärt, dass in den Lagertanks das Bier reife und dann doch gefiltert werden müsse. Danach geht’s ins Sudhaus. Von Brauer Michael Albrecht lässt sich der Kanzler einen Läuterbottich öffnen, auch wenn die für das Foto ausgewählte Variante aus Kupfer gar nicht in Betrieb ist.
Um 12.49 Uhr geht der KanzlerTross in den Schalander, die Betriebskantine. Hier tauscht sich Scholz „vertraulich“mit neun Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus: Brauer, Qualitätsprüfer, Kaufleute. „Wir haben alles fragen können“, sagt Bierfahrer Martin Reichhardt. Und das haben sie offenbar in 25 Minuten auch getan: Vom Mangel an bezahlbaren Wohnraum bis zur Angst, dass die Rente nicht reicht, seien die Themen gegangen. Um 13.30 Uhr ist der
Kanzler weg, rauscht im schwarzen Mercedes, eskortiert von Polizeimotorrädern von der Oststadt in den Ulmer Westen. Zur Radarhochburg Hensoldt. Dort posiert er um kurz vor 14 Uhr für ein Foto. Vor einer Traube Medienmenschen, die auch hier auf ein Wort zu Christine Lambrecht hofft.
Im Gepäck hat Scholz ein Sechserpack Gold Ochsen Original, verpackt in einer Jutetasche, dazu einen Steinkrug. Ulrike Freund, die den Kanzler damit beschäftigt hat, sagt: „Ich bin froh, dass es vorbei ist, der Druck fällt ab. Der Herr Scholz ist ein sehr netter Mann.“Bis zuletzt habe sie gezweifelt, dass der Regierungschef tatsächlich die Zeit finde, zu Gold Ochsen zu kommen. Er kam – und auch Ulrike Freund nutzt den Besuch, um an höchster Regierungsstelle Themen zu platzieren, die ihr auf dem Herzen liegen: etwa das drohende Werbeverbot für Brauereien, das es zu verhindern gelte; kurz seien auch die hohen Energie- und Rohstoffkosten angesprochen worden. Alleine die Kosten für Malz hätten sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt.
Bei Hensoldt wartet so etwas wie der ernste Teil des Besuchs. Was da in der Testkammer hinter der Bühne steht, ist so etwas wie ein Symbol für den Begriff, den der Bundeskanzler vor einem knappen Jahr geprägt hat – und den er an diesem Montag wiederholt. Dass Russland die Grenzen in Europa mit Gewalt verschieben wolle, sei eine Zeitenwende, sagt Olaf Scholz in Ulm. Er sei dankbar für die leistungsfähige Industrie, die zur Verteidigung Deutschlands und der Demokratie beitrage. Was da in der Testkammer steht, soll zur Verteidigung beitragen.
Was da in der Testkammer steht, gehört zu einem TRML-4D-Hochleistungsradar. Das Gerät detektiert Ziele im Umkreis von 250 Kilometern, es ist Bestandteil des Luftabwehrsystems Iris-T. Ein solches hat Deutschland bereits an die Ukraine geliefert, drei weitere sollen folgen. Das Radar TRML-4D wird in Ulm gefertigt, wo der Rüstungskonzern Hensoldt seinen größten Standort hat. Der Besuch des Bundeskanzlers ist seit Monaten geplant. Olaf Scholz trifft früher ein als geplant und er bleibt länger als vorgesehen. Es gibt Gespräche mit der Konzernspitze um
Vorstandsvorsitzenden Andreas Müller und einen kurzen Austausch mit Auszubildenden – schon beim Besuch bei der Brauerei Gold Ochsen direkt davor hatte der SPD-Politiker mit Beschäftigten gesprochen. Dazwischen lässt sich Scholz im Hof neue Systeme des Unternehmens zeigen, darunter das Hochleistungsradar TRML-4D.
In der Fertigungshalle verspricht Vorstandschef Müller dem Bundeskanzler, Hensoldt könne schnell beste elektronische Systeme zur Verfügung stellen. Und Scholz lobt das Unternehmen sowie den Ideenreichtum der Belegschaft. Er spricht noch einmal die Zeitenwende an – und die 100 Millionen Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Wer dieses Geld in Zukunft ausgeben darf, verrät er nicht. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat ihn am Vormittag um ihre Entlassung gebeten. Scholz dankt seiner Parteifreundin für ihren Einsatz und spricht ihr Respekt aus. Er habe eine klare Vorstellung, wer auf Lambrecht folgen solle und werde die Entscheidung bald öffentlich machen. An diesem Tag geschieht das nicht, Fragen lässt der Kanzler nicht zu. Scholz sagt „vielen Dank“und dreht sich um. Kommentar
Eines dieser Geräte wurde bereits an die Ukraine geliefert